Kategorie: Interview
"Der Mondmann ist ein Immigrant!"
Ein Gespräch mit dem Illustrator und Schriftsteller Tomi Ungerer über die Lehren und den politischen Gehalt des Zeichentrickfilms Der Mondmann, der auf seinem gleichnamigen Buch basiert.
Ein Gespräch mit dem Illustrator und Schriftsteller Tomi Ungerer über die Lehren und den politischen Gehalt des Zeichentrickfilms "Der Mondmann" , der auf seinem gleichnamigen Buch basiert.
Jean-Thomas Ungerer, genannt Tomi Ungerer, wurde 1931 in Straßburg geboren und wuchs als Sohn einer bekannten Uhrmacherfamilie auf. Mitte der 1950er-Jahre begann er in den USA seine Karriere als Grafiker, Maler, Illustrator und Schriftsteller. Als Autor veröffentlichte er mehr als 140 Bücher für Kinder und Erwachsene, die weltweit in über 28 Sprachen übersetzt wurden. Für seine beliebten Kinderbücher, etwa Die drei Räuber und Der Mondmann, wurde er unter anderem mit dem renommierten Hans Christian Andersen Preis ausgezeichnet. Im Jahr 2000 wurde Tomi Ungerer vom Europarat zum Sonderbotschafter für Jugend und Erziehung ernannt. Tomi Ungerer lebt in Irland und in seiner Geburtsstadt Straßburg.
Herr Ungerer, haben Sie als Kind an den Mann im Mond geglaubt?
Nein, aber man hat mir davon erzählt. Da gab es Varianten. Die einen sagten zum Beispiel, der Mond sei aus Käse und da müssten die Mäuse hin. Aber ich muss Ihnen sagen: Ich bin sehr, sehr mondsüchtig. Schon als Kind hat mich der Mond unglaublich fasziniert. Das ist ein ganz anderes Licht. Diese Faszination mit dem Mond hat, glaube ich, jedes Kind. Schon die Nacht hat etwas Mysteriöses an sich und dann steht der Mond da oben am Himmel.
Ihr Buch ist 1966 noch vor der Mondlandung erschienen …
Ja, doch bei mir ist das umgekehrt: Da ist es der Mond, der zu uns kommt und nicht wir Menschen, die dort hingehen.
Wie sind Sie damals auf die Idee zum Buch Der Mondmann gekommen?
Ich habe darauf keine klare Antwort. Ich bin ein spontaner Mensch, und wenn ich plötzlich eine Idee habe, kann ich nicht sagen, woher sie kommt.
Stephan Schesch hat Ihr Buch als Zeichentrickfilm fürs Kino adaptiert. Waren Sie an dem Entstehungsprozess beteiligt?
Ja, und wie! Was ist ein Kinderbuch? Das ist Standard, das hat 32 Seiten. Das ist nicht genug für einen Film. Stephan Schesch und ich haben mehrere Tage zusammen gesessen und die Geschichte gemeinsam entwickelt. Zum Beispiel hat er ganz wunderbar entwickelt, wie der Mondmann zum menschlichen Sprechen kommt. Das ist etwas, das mir wirklich am Herzen liegt: den Kindern die Notwendigkeit und auch die Freude daran zu vermitteln, eine andere Sprache sprechen zu können. Das ist eine Lehre des Films.
Die politische Situation wurde – im Vergleich zum Buch – für den Film verschärft. Es gibt jetzt einen größenwahnsinnigen Alleinherrscher, der den Planeten Erde regiert.
Das war mein Wunsch. Meine Kinderbücher sind alle politisch. Zum Beispiel Otto. Autobiographie eines Teddybären ist über den Faschismus und über die Shoah. Neue Freunde erzählt von einem kleinen Schwarzen in einer weißen Nachbarschaft, und Die blaue Wolke handelt vom Zivilkrieg. Wir haben uns entschieden, dieser Geschichte eine größere politische Bedeutung zu geben. Die Menschheit wird sich nicht ändern und wird immer mit Gewalt, Unrecht und Diktaturen zu tun haben. Und ich meine, man kann Kinder nicht früh genug davor warnen, was hinter Politik und blinden Fanatismus steckt. Das ist mein Engagement in meinen Kinderbüchern.
Der Mondmann ist für den Präsidenten ein Eindringling, eine Bedrohung. Wollen Sie damit zeigen, wie wir mit dem Fremden umgehen?
Das ist eine weitere Lehre der Geschichte: unsere Umgangsart mit Fremden. Was ist dieser Mondmann? Er ist ein Immigrant! Er wäre ein Gastarbeiter geworden! Und so, wie der Mondmann empfangen wird, empfangen wir die Immigranten: He’s not one of us – er ist keiner von uns! Und wenn wir Probleme mit Einwanderern haben, dann liegt es meist daran, dass sie nicht in die Gesellschaft integriert sind. Und eine weitere Lehre – wie in fast allen meinen Kinderbüchern – liegt im Triumph des Individualismus'. Meine ersten Bücher handelten von Kraken, Schlangen, Ratten, Geier – Tiere, die normalerweise als ekelhaft bezeichnet werden. Aber: Wir sind alle gleich und wir sind alle unterschiedlich. Und es ist der Unterschied, der uns die Identität gibt.
Was lag Ihnen bei der Verfilmung Ihres Buches besonders am Herzen?
Das Politische war für mich das Wichtigste. Es muss ein Film mit Engagement sein. Die meisten Trickfilme und so weiter sind nur für den Spaß. Doch was lernt man dabei? Die Kinder müssen doch etwas bekommen, das sie mit ins Leben nehmen können!
Was sollen die Kinder aus der Mondmann-Geschichte mitnehmen?
Dass sie wahrnehmen, in welcher Welt sie leben. Schauen Sie sich etwa die Konflikte in der arabischen Welt an! All überall werden Minoritäten unterdrückt. Ob das nun die Kopten in Ägypten sind oder Minderheiten anderswo. Ist er anders als die Anderen, wird er verfolgt. Und das passiert überall auf der Welt.
Wie kann man Ihrer Meinung nach pädagogisch mit Zum Filmarchiv: "Der Mondmann" arbeiten?
Die Kinder sollten eine Art Fragebogen bekommen, als Hinweis für die verschiedenen Bedeutungen, die in der Filmgeschichte enthalten sind. Also etwa: Wie würdest du reagieren, wenn du dem Mondmann begegnen würdest? Was würdest du ihm sagen? Würdest du ihn mitnehmen zu dir nach Hause zum Abendessen? Man vergisst immer, auch Kindern Fragen zu stellen. Es geht um ihre eigenen Meinungen, denn sie haben ebenso gute Meinungen wie wir. Meistens noch bessere. Man muss Kindern zuhören und sie ernst nehmen.