Aurora Gossé ist in Norwegen vor allem als Regisseurin von Kinderfilmen und -serien bekannt. Mit Zum Filmarchiv: "Dancing Queen" (NO 2023) kommt nun erstmals einer ihrer Filme in die deutschen Kinos. Im Interview spricht sie über ihr Interesse für Tanz, die Arbeit mit den jungen Schauspieler/-innen, die Musikauswahl und warum es so besonders ist, Filme gemeinsam im Kino zu erleben.

kinofenster.de: In Ihrem Film geht es um die 12-jährige Mina, die beginnt, Hip-Hop zu tanzen. Viele Tanzfilme erzählen eher von älteren Jugendlichen. Was hat Sie daran gereizt, einen Tanzfilm für junge Teenager zu inszenieren?

Aurora Gossé: Ich mag das Zum Inhalt: Coming-of-Age-Genre einfach besonders. Mich interessiert dieses Alter [der frühen Pubertät, Anmerkung der Redaktion], in dem sich so vieles ändert und Dinge zum ersten Mal erlebt und gefühlt werden. Es passte gut, das in einem Tanzfilm zu zeigen. Als Teenager war es mir auch oft unangenehm, mich bei Tanzfesten in der Schule zu bewegen, bis ich bei einer Reise nach Kenia erlebt habe, wie frei und ungezwungen Tanz sein kann. Für mich liegt die Schönheit in dieser Freiheit, dass nichts perfekt oder richtig sein muss. Und gleichzeitig kann es so peinlich sein, wenn in diesen Momenten jemand ins Zimmer kommt. Ich war sehr neugierig darauf, wie man damit in der Zum Inhalt: Inszenierung arbeiten kann.

kinofenster.de: Einige der Protagonist/-innen können gut tanzen, Mina bewegt sich am Anfang noch sehr unbeholfen. Worauf haben Sie während des Castings und des Drehs geachtet?

Aurora Gossé: Alle jungen Schauspieler/-innen außer Mina tanzen seit Jahren Hip-Hop. Das war wichtig, weil es lange dauert, eine Choreografie zu lernen. Für die Rolle der Mina war aber entscheidend, dass sie gut schauspielern kann. Bei Liv (Elvira Kippersund Larsson) war ich mir sicher, dass sie auch die emotional schwierigen Zum Inhalt: Szenen meistern würde. Sie war damals zehn Jahre alt und hatte auch schon Modern und Hip-Hop getanzt, aber nicht so viel wie die anderen. Beim Dreh war es dann schwierig für Liv, so zu tun, als ob sie nicht tanzen könnte. Sie fand es peinlich, dass alle ihr zuschauen. Wir haben viel darüber gesprochen, weil uns so wichtig war, dass sie den Eifer und die Spontaneität zeigt, ohne zu wissen, was sie wirklich tut. Mina ist ja sehr interessiert und hat nur einfach ihre eigene Art zu tanzen.

kinofenster.de: Um besser zu werden, bekommt Mina Tanzunterricht von ihrer Oma. Welche Rolle spielt sie für Minas Entwicklung?

Aurora Gossé: Ich liebe diese Figur. Sie war schon in sehr jungen Jahren eine großartige Tänzerin. Und nun ist sie nicht diese warme und kuschelige Oma, sie ist super hart und bietet in vielerlei Hinsicht eine Art Realitätscheck. Es ist schön zu sehen, wie sich eine erwachsene Person ganz anders verhält, als man es gewohnt ist. Sie steht dafür, sich selbst treu zu bleiben, Dinge auszuprobieren und Risiken einzugehen. Ich glaube nicht, dass sie und Mina früher viel Zeit miteinander verbracht haben, aber durch den Tanz entsteht eine enge Beziehung.

kinofenster.de: Mina macht sich zu Beginn wenig Gedanken über ihren Körper. Erst nach einer verletzenden Bemerkung zu ihrem Gewicht fängt sie an, anderen Mädchen nachzueifern. Wie sind Sie an das Thema Bodyshaming herangegangen, ohne Mina dabei zur Schau zu stellen?

Aurora Gossé: Zunächst hatte ich ein bisschen Angst, weil hinter der Rolle Mina ja auch ein echter Mensch steckt. Wir haben uns viel mit der Hauptdarstellerin und ihrer Familie ausgetauscht, die zum Glück sehr offen mit dem Thema umgegangen sind. Schwieriger war es für die Jungs. Sie haben sich zuerst nicht getraut, gemeine Bemerkungen zu machen. Viljar (Knutsen Bjaadal), der E.D.Win spielt, fühlte sich unwohl, weil er diesen Typ nicht verkörpern wollte. Wir haben lang über seinen Charakter und die Situation geredet, damit es zwischen den Schauspieler/-innen nicht unangenehm wird. Für die Inszenierung wollte ich, dass Mina kindlichere Kleidung (Glossar: Zum Inhalt: Kostüm/Kostümbild) trägt, die zwar nicht wirklich zu klein ist, aber die zu ihrer Kindheit gehört. Als sie versucht, wie Bella auszusehen, ändert sich auch ihr Stil. Zur Hip-Hop-Welt gehören bequeme und lockere Klamotten, das ist auch visuell ein Übergang weg von der Kindheit.

kinofenster.de: Im Soundtrack (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) mischen sich Hip-Hop-Beats mit norwegischem Schlager und dem berühmten Song "Dancing Queen" von ABBA. Wie haben Sie die Musik ausgewählt?

Aurora Gossé: Wir haben einfach die Musik ausgesucht, die wir selbst auch mögen, die uns zum Tanzen bringt und ein Gefühl von Freiheit vermittelt. Dann ging es darum, die Stile zu mischen, die die Welt der Großmutter und die Hip-Hop-Welt repräsentieren. An dem Song "Dancing Queen" liebe ich besonders die akustische Version nach der Szene, in der E.D.Win gemein zu Mina ist. Wir kennen den Song als fröhliches Lied, bei dem man leicht lächeln und tanzen kann, aber er kann auch eine ganz andere Stimmung hervorrufen.

kinofenster.de: Am Ende werden Mina und Markus zu einem Videodreh nach Hollywood eingeladen. Wie geht es mit den beiden weiter?

Aurora Gossé: Das erzählen wir in einer Fortsetzung (Glossar: Zum Inhalt: Sequel), die wir gerade drehen. Es beginnt nach dem Sommer der Mjøsa-Challenge. Beide sind nun 13 Jahre alt und bekommen einen neuen Einblick in die Welt der Erwachsenen. Sie treffen auf die harte Realität von Hollywood, die ganz anders ist als das, was sie aus ihrer kleinen Stadt kennen. Und dazu kämpfen Minas Eltern mit ihrer Beziehung und einer möglichen Scheidung und auch damit muss Mina umgehen.

kinofenster.de: "Dancing Queen" hatte seine Weltpremiere 2023 bei der Berlinale Generation, bei der auch viele junge Zuschauer/-innen im Publikum waren. Welche Rolle spielt Filmbildung, um eine junge Zielgruppe an Filme heranzuführen?

Aurora Gossé: Bei der Berlinale hat mich erstaunt, wie offen die jungen Zuschauer/-innen ihre Fragen gestellt haben und wie frei sie reagierten. Es ist sehr wichtig, dass Schulklassen ins Kino gehen und im Anschluss über die Themen, die Charaktere und die visuelle Sprache sprechen und darüber diskutieren, wie der Film die Gefühle des Publikums durch die Musik und die Kameraführung manipulieren kann.