"Slacker" , dem Regiedebüt von Richard Linklater von 1991, war seinerzeit trotz positiver Kritiken kein kommerzieller Erfolg beschieden. Doch der Titel seines Films wurde in den 1990er-Jahren zum Synonym für die "Twenty-Somethings", die im selben Jahr auch der amerikanische Schriftsteller Douglas Coupland in seinem Roman Generation X beschrieb. "Slacker" hat keine Handlung im eigentlichen Sinne, Hauptfiguren gibt es in Linklaters Film auch nicht. Die Kamera von Lee Daniel, der in Zum Filmarchiv: "Boyhood" (USA, 2014) zum siebten Mal mit Linklater gearbeitet hat, macht in knapp hundert Minuten nicht mehr, als den namenlosen Protagonisten/innen bei (Selbst-)Gesprächen zuzuhören oder ihre merkwürdigen Aktivitäten (eine junge Frau will einen angeblich echten Abstrich von Madonna verhökern) zu observieren.

Sympathie für eine ziellose Generation

"Slacker" folgt seinen Charakteren ohne dramaturgische Höhepunkte. Die Kamera verweilt für eine Szene bei einem Protagonisten/innen, um sich nach einigen Minuten einer anderen Person an die Fersen zu heften. Mit seiner offenen, improvisierten Erzählweise war Linklater nicht nur stilbildend für das US-Independentkino der 1990er, ihm gelang auch ein kurioses Generationenporträt: das mit subtilem Humor gezeichnete Bild nicht mehr ganz junger Menschen, die über viel Zeit zum Reden und Nachdenken verfügen, ohne – wie letztlich auch Linklaters Film – ein Ziel vor Augen zu haben. "Slacker" wurde zur sympathischen Bezeichnung für Hänger/innen und Außenseiter/innen, die sich durch das Leben treiben lassen.

Einfühlsamer Chronist der Jugend

"Boyhood" (2014) von Richard Linklater

Foto: Universal Pictures

Linklater behandelte in "Slacker" Ideen, die er in den kommenden zwanzig Jahren bis hin zu seinem neuen Film Zum Filmarchiv: "Boyhood" (USA 2014) wiederholt aufgriff. Zwar beschreibt "Boyhood" in erster Linie die Adoleszenz des jungen Mason, doch Linklaters Jugendporträt besitzt aufgrund seiner aufwendigen Produktionsgeschichte über einen Zeitraum von zwölf Jahren auch den Charakter einer Chronik. Politische Ereignisse wie die US-amerikanische Präsidentschaftswahl 2008 sowie aktuelle Popsongs und Kinofilme situieren die Geschichte von Mason und seiner Familie in den 2000er-Jahren, gleichzeitig stellen sie einen biografischen Kontext her. So ergibt sich das interessante Paradox, dass "Boyhood" ein "historischer" Film ist, die einzelnen Episoden aus Masons Leben aber in der jeweiligen Gegenwart der Geschichte entstanden sind.

Biografie als Erinnerung

Biografische Erfahrungen fungieren in vielen Filmen Linklaters als erzählerisches Motiv. Sein Frühwerk war noch stark geprägt von persönlichen Erinnerungen. "Slacker" entstand im unmittelbaren Freundeskreis des Regisseurs, viele Bekannte und befreundete Musiker überredete er zu Kurzauftritten. Den Nachfolger "Confusion - Sommer der Ausgeflippten" (Dazed and Confused, 1993) bezeichnete Linklater später als Zum Inhalt: Remake seiner eigenen Highschool-Jahre. Und wieder übernahm der Zeitverlauf der Handlung eine entscheidende dramaturgische Funktion. In einer einzigen Nacht begleitet "Confusion - Sommer der Ausgeflippten" über ein Dutzend Charaktere beim Herumhängen und Feiern und schafft mit seiner losen Erzählstruktur das differenzierte Stimmungsbild eines letzten unbeschwerten Sommers in den ausklingenden 1970er-Jahren. Die Zweifel und Ängste der Jugendlichen im Anbetracht des neuen Lebensabschnitts nimmt Linklater dabei ebenso ernst wie den Sex, die 'Drugs' und den Rock'n'Roll von Black Sabbath und Alice Cooper, mit dem die Jugendlichen gegen die konservativen Vorstellungen ihrer Eltern rebellieren.

Die "Before"-Trilogie: drei Filme in achtzehn Jahren

"Before Midnight" (2013) von Richard Linklater

Foto: Euromedien Video

Linklater hat in Interviews mehrfach gesagt, dass ihn interessieren würde, was aus seinen Figuren wohl geworden sei. In der "Before"-Trilogie, die 1995 mit "Before Sunrise" als philosophische Liebeskomödie ihren Anfang nahm, widmet er sich dieser hypothetischen Frage auf ungewöhnliche Weise. Die Trilogie, die Linklater und seine Darsteller Ethan Hawke und Julie Delpy noch nicht als abgeschlossen betrachten, folgt einem Pärchen über einen Zeitraum von achtzehn Jahren: von einer romantischen Zufallsbekanntschaft bis zur ersten Ehekrise während eines Familienurlaubs ("Before Midnight" , 2013).

Langzeitstudie einer Liebesbeziehung

Wie in "Boyhood" verzichtete Linklater auch in den "Before"-Filmen auf dramatische Überhöhungen. Ihm geht es vielmehr um die Wahrhaftigkeit des Augenblicks und die Chemie zwischen den Charakteren, die seinen Filmen einen unverwechselbaren Naturalismus verleihen. Um diesen Effekt zu erzielen, arbeitet er akribisch mit seinen Darstellern/innen an den Figuren. Das biografische Moment seiner Filme wird auf diese Weise um eine zusätzliche Nuance bereichert, weil die Schauspieler/innen ihre persönlichen Erfahrungen einfließen lassen dürfen. Die Charaktere von Delpy und Hawke verwandeln sich in Alter Egos ihrer Darsteller/innen. Gleichzeitig kann auch der Zuschauende, der den beiden Figuren wie alten Bekannten begegnet, in deren wechselhafter Beziehung viel von sich und seinen eigenen Erfahrungen wiedererkennen. Die "Before"-Filme sind im Laufe der Jahre nicht nur zur Langzeitstudie einer Liebesbeziehung expandiert, sie haben auch in der Sozialisation ihrer Fans Spuren hinterlassen.

Ernsthafte Auseinandersetzung auch im Genre

Um kulturelle Prägungen geht es auch in (2003) und dem Baseball-Film "Die Bären sind los" (2005), zwei kommerziellere Arbeiten Linklaters mit einer durchaus pädagogischen Botschaft. Inhaltlich schlagen sie einen Bogen zurück zu seinen frühen Filmen, denn in den erwachsenen Hauptrollen sind zwei hoffnungslose "Slacker" (Jack Black als erfolgloser Musiker, Billy Bob Thornton als zynischer Alkoholiker) zu sehen, die die Verantwortung für einen Haufen schwer disziplinierbarer Kinder übertragen bekommen. Beide Filme bedienen sich im wesentlichen der klassischen Hollywood-Formel, dass jeder, der nur an sich glaubt, auch Großes vollbringen kann. Doch Linklaters Qualität, aus einer konventionellen Jugenderzählung durch eine gute Beobachtungsgabe und die ernsthafte Auseinandersetzung mit seinen jungen Darstellern/innen eine humorvolle und bei aller Sentimentalität nie rührselige Studie über das Heranwachsen zu machen, ist in beiden Filmen bereits deutlich erkennbar. Es sind Studien über das Erwachsenwerden, die Richard Linklater in "Boyhood" beeindruckend fortsetzt.