Kenneth Branaghs Film Zum Filmarchiv: "Belfast" (GB 2021) kreist zentral um den familiären Konflikt zwischen Bleiben und Fortgehen. Unsere Videoanalyse zeigt wie der Konflikt nicht nur auf der Ebene des Dialogs, sondern auch visuell erzählt wird.

Szenenanalyse: Belfast – Bleiben oder Fortgehen? (© kinofenster.de 2022)

Im Folgenden können Sie die Videoanalyse auch im Textformat nachlesen:

Buddy: "Granny macht sich immer Sorgen um irgendwas." – Vater: "Sie ist eben sehr fürsorglich. Und so etwas zehrt an den Nerven, wie bei Mummy." – Buddy: "Mummy macht sich auch Sorgen, oder nicht? … Daddy, müssen wir jetzt weg aus Belfast?"

Sprecher: Fortgehen oder Bleiben? Diese Frage stellt sich die Familie des neunjährigen Buddy aus Belfast, der Hauptstadt von Nordirland. Einerseits ist die Familie dort verwurzelt. Andererseits muss der Vater schon jetzt nach England pendeln. Und dann die Gewalt: Im Sommer 1969 bekämpfen sich katholische und protestantische Gruppen auf offener Straße. Vater: "Kinder in dem Alter wie unsere sind auf der Straße erschossen worden." – Mutter: "Ja, wir müssen aufpassen." – Vater: "Du kannst sie nicht rund um die Uhr kontrollieren. Und du musst ihnen ihre Kindheit lassen."

Sprecher: Die Familie von Regisseur Kenneth Branagh war in einer ähnlichen Lage. Der Film "Belfast" beruht lose auf seinen Kindheitserinnerungen. Vater: "Die Steuernachzahlung ist fast erledigt. Zehn Pfund jeden Monat, drei verdammte Jahre lang. Jetzt können wir über einen Neuanfang nachdenken." – Mutter: "Ich kenne nichts außer Belfast." – Vater: "Ja genau, eine ganze Welt wartet da draußen."

Sprecher: Wir werden uns eine Schlüsselszene aus der Mitte des Films zweimal anschauen. Zunächst mit der Tonspur des Films und ohne Kommentar. Ein paar schriftliche Hinweise im Bild helfen bei der Analyse. Was erzählt die Szene vom Konflikt zwischen Fortgehen und Bleiben?

Szene: Der Bus zum Flughafen: Busfahrer (aus dem Zum Inhalt: Off): "Der Bus nach Aldergrove geht in drei Minuten. Jetzt letzte Fahrkarten!" – Vater: "Mein Chef hat sich gemeldet. Die wollen, dass ich bleibe. Eine dauerhafte Arbeit in England. Die wollen mich für die Geschäftsführung. Das bringt mehr Geld. Ein Haus wird uns auch gestellt. Wir bekommen es mietfrei! Mit der Chance, es zu kaufen, falls es gut laufen sollte! Es wäre ein bisschen größer als unseres hier. Die Jungs bekämen eigene Zimmer. Es gibt auch einen kleinen Garten." – Buddy: "Darf man in dem Garten auch Fußball spielen, Daddy?" – Vater: "Ja, klar. … Wenn ich zusage, gibt es gleich mehr Geld. Wir könnten die Steuerschulden viel leichter abbezahlen. Unsere Familie bekommt so eine Chance in dieser Stadt nicht, nicht jetzt." – Mutter: "Hey! Gut auf den Verkehr aufpassen, ja!" – Buddy: "Ich pass‘ schon auf, Mummy. Alles gut." – Busfahrer (aus dem Off): "Es wird Zeit. Zwei Minuten. Wer mitfährt, bitte einsteigen. Letzte Fahrkarten." – Mutter: "Klingt, als würden sie dich wirklich haben wollen. … Was willst du denn?" – Vater: "Ich will, dass meine Familie bei mir ist. … Ich will dich."

Sprecher: Die Zum Inhalt: Szene etabliert mit einer kunstvollen Einstellung den Schauplatz: Abfahrt des Vaters zum Flughafen. Auffällig: die Reflektionen auf der Busoberfläche. Ein Polizei-Hubschrauber hebt ab – der politische Konflikt von Nordirland schwebt über dem familiären. Dann die Figuren: Buddy draußen, die Eltern drinnen. Die Häuserfassade spiegelt sich auf dem Busfenster und setzt die Frage auch ins Bild: Fortgehen oder Bleiben? Das Fenster als Bildrahmen: Grenze zwischen Kind und Erwachsenen. Die Erzählung wechselt – immer wieder in dem Film – zwischen diesen beiden Perspektiven. Buddy schaut herauf: Aus seiner Sicht sind sich die Eltern – hier auch bildlich getrennt – über den Umzug nicht einig. Die Eltern blicken herab. Sie werden die Entscheidung über die Zukunft allein fällen. Zum Höhepunkt der Szene, ein Schnitt in den Innenraum. Nah rückt die Kamera heran: beide, Vater und Mutter, bleiben dabei im Bild vereint. Die Familie hält zusammen – davon erzählt "Belfast" . Auch wenn die politischen Umstände sie zum Fortgehen bewegen werden.