Natja Brunckhorst begann ihre Filmkarriere im Alter von 13 Jahren mit der Hauptrolle in "Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (1981). Später absolvierte sie ein Studium an der Schauspielschule Bochum und spielte in diversen Filmen und Serien mit, darunter Tom Tykwers . Seit 1998 arbeitet sie als Zum Inhalt: Drehbuchautorin für Kino- und TV-Produktionen, 2001 gab sie zudem ihr Regiedebüt mit dem Kurzfilm "La Mer" . Im gleichen Jahr wurde Brunckhorst mit dem Deutschen Filmpreis für ihr Drehbuch zu ausgezeichnet. Zum Filmarchiv: "Amelie rennt" ist ihr erstes Buch für einen Kinder- und Jugendfilm.

In Ihrem Drehbuch zu "Wie Feuer und Flamme" haben Sie eigene Erlebnisse verarbeitet, bei "Amelie rennt" beruht die Hauptfigur nun auf Erfahrungen Ihrer Tochter. Wie kam Ihnen die Idee, dass das ein Filmstoff sein könnte?

Ich denke, dass man beim Schreiben auf die eine oder andere Art immer die intensiven Momente der eigenen Biografie mit aufnimmt. Die Asthma-Erkrankung meiner Tochter war eine prägende Erfahrung, aber die Geschichte von "Amelie rennt" ist natürlich nur daran angelehnt. Als erstes hatten Philipp Budweg [Produzent des Films; Anm d. Red.] und ich vor allem die Idee, einen Kinder- und Jugendfilm zu machen, und mir schwebte schnell ein Abenteuerfilm vor. Zufällig war ich kurz vorher in den Bergen und habe gemerkt, wie heilsam die Natur sein kann. So kamen wir dann auf diese Mischung aus Fish-out-of-Water-Story, einem Abenteuerfilm in den Bergen und der Geschichte meiner Tochter.

Worin besteht die Herausforderung, ein Drehbuch für einen Kinderfilm zu schreiben?

Es ist ganz wichtig, dass man Kinder nicht für doof verkauft. Sie sind meist deutlich intelligenter als wir Erwachsenen denken. Kinder schauen auch sehr genau hin. Ich persönlich mache deshalb keinen großen Unterschied zwischen einem Erwachsenen- und einem Jugendfilm. Natürlich achtet man zum Beispiel auf den Humor, wenn der Film für ein jüngeres Publikum sein soll, aber am wichtigsten ist es, die Kinder ernst zu nehmen.

Die Protagonistin Amelie steht in der Tradition frecher, rebellischer Kinderfiguren, wie man sie etwa aus den Büchern von Christine Nöstlinger kennt, deren Buch "Maikäfer, flieg!" ebenfalls kürzlich Zum Filmarchiv: "verfilmt wurde". Gab es Vorbilder dieser Art?

Aus Filmen oder aus der Literatur gab es kein konkretes Vorbild – nur eben meine Tochter. Sie hat die Krankheit damals auch verleugnet. Manchmal kam sie aus dem Krankenhaus zurück in die Schule und hat so getan, als wäre sie woanders gewesen. Sie hat das vor der Klasse nicht zugeben können. Andererseits war sie schon früh eine durchsetzungsfähige Frau und hatte eine Kraft, die ich heute an vielen jungen Frauen bewundere: Die können sowohl Stöckelschuhe tragen als auch Bohrmaschinen benutzen. Das war mein Vorbild für die Amelie.

Für die Entwicklung der Amelie bildet die Zum Inhalt: Bergwelt eine symbolische Kulisse.

Die heilende Kraft der Natur hatte ich schon erwähnt, und der Berg als Symbol hat sich dann geradezu aufgedrängt. Es passt einfach, dass die beiden zum Gipfel aufbrechen – wo Amelie eigentlich niemals hinkäme –, um mit dem rituellen Sprung über das Feuer ihre Krankheit zu heilen. Der Reiz des Films besteht dann darin, dass diese zwei Menschen so verschieden und zugleich so ähnlich sind. In der Sturheit treffen sie sich ja doch.

In den Dialogen zwischen den beiden spielt das Fluchen eine große Rolle. Bart nennt Amelie zum Beispiel den ganzen Film über "Muhackl". Gibt es das Wort überhaupt?

(lacht) Das gibt es wirklich, ja. Es gibt allerdings verschiedene Definitionen zur Bedeutung von "Muhackl". Meistens wird es als "grantiger Kerl" definiert. Aber in einer anderen Definition bezeichnet es jemanden, der stur wie ein Ochse ("Mu") und zugleich ein wenig schräg ist, einen Haken ("Hackl") hat. Diese Mischung hat mir sehr gefallen. Auf solche sprachlichen Details kam ich während der Recherchen zum Drehbuch, für die ich mehrfach nach Südtirol gefahren bin, gerade weil ich mit dem dortigen Dialekt bisher nicht vertraut war. "Muhackl" ist allerdings eher in den bayerischen Dialekten verbreitet.

Samuel Girardi, der Bart spielt, hat für "Amelie rennt" seine erste Rolle in einem Kinofilm übernommen. Wie kann man die Leinwandpräsenz jugendlicher Darsteller erklären, die noch keine Schauspielausbildung absolviert haben?

Beim Schauspiel gibt es so etwas wie eine "erste Naivität", wenn jemand noch nie etwas mit Filmen zu tun gehabt hat. Gerade Menschen im Alter zwischen 13 und 15 zeigen manchmal eine faszinierende Zerbrechlichkeit. Es gehören aber auch Mut und Talent dazu, so offen vor der Kamera zu agieren. Später gibt es bei Schauspielerinnen und Schauspielern oft einen Knoten, meistens in der Ausbildung, wenn man seine bisherigen Ansätze in Frage stellt. Eine "zweite Naivität" muss man sich dann erst wieder erspielen. Das ist ein längerer Weg.

Das Leitmotiv des Films ist die Erkrankung der Protagonistin. Inwiefern war Ihnen wichtig, dass es sich dabei um Asthma handelt?

In einem Film braucht der Protagonist oder die Protagonistin immer auch eine Wunde. Amelies Wunde ist die Wut auf ihre Krankheit, nicht mal die Krankheit an sich. Das Asthma ist dabei für mich deshalb relevant, weil es ein Stück weit eine verleugnete Krankheit ist. So wie es der Film erzählt, habe ich es mit meiner Tochter erlebt: Man benutzt das Asthma-Spray hinter einer Ecke, weil man diese Schwäche nicht zugeben will. Man sieht es den Menschen auf der Straße ja nicht an, aber die Krankheit ist doch weit verbreitet.

Hat der Film, gerade das Ende, in dieser Hinsicht auch eine didaktische Note?

Der Film sensibilisiert Kinder für gewisse Fragestellungen: Wo liegt meine Schwäche? Warum will ich das nicht zugeben? Inwiefern trennt mich das von anderen? Ich versuche aber nicht, pädagogisch zu sein und dafür zu plädieren, dass sich alle helfen lassen sollen. Vor allem möchte ich von interessanten Charakteren erzählen, die sich wandeln. Aber es wird auch kein Wunder suggeriert, die Krankheit ist ja noch da. Amelie hat noch einen weiten Weg vor sich.

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