Inwiefern trägt ihr Film autobiografische Züge?

Ich habe während meines Ersatzdienstes in Oswiecim ehemalige Häftlinge betreut oder Seminare für deutsche und polnische Jugendliche organisiert. Anders als Sven habe ich mich aber bewusst für diesen Ort entschieden. Ich war politisch geprägt und hielt es für sehr wichtig, dass man sich dieser Vergangenheit annimmt. Insgesamt hat der Film weniger ganz konkrete autobiografische Bezüge, sondern ich habe eher Stimmungen, bestimmte Erfahrungen oder Gefühle in die Geschichte eingearbeitet, um damit die Situationen und Charaktere im Film anzufüllen. Beispielsweise wollten damals viele polnische Jugendliche in meinem Alter eigentlich aus der Stadt weg. Das ist in den Charakter der Ania eingeflossen. Oder dass an diesem Ort noch ehemalige Häftlinge wohnen – das habe ich dann in der Figur des Krzeminski aufgegriffen.

Warum verweilen Menschen freiwillig an einem Ort, an dem sie Grauenhaftes erlebten?

Damals haben dort noch fünf ehemalige Häftlinge gewohnt, davon drei direkt auf dem Museumsgelände zwischen Stacheldrahtzaun und Krematorium. Das kam mir zuerst fast absurd vor. Aber je länger ich dort war, desto besser habe ich sie verstanden. Es war für sie gewissermaßen ein Sieg, dass sie heute dort leben. Sie haben das Museum aufgebaut, es ist ihre Lebensaufgabe, dazu beizutragen, dass die Toten nicht in Vergessenheit geraten. Außerdem: In den 50er-Jahren herrschte Wohnungsmangel und die gut erhaltenen Gebäude wie die Kommandantur wurden zu Wohnungen ausgebaut.

Für bestimmte Szenen mussten Sie Teile des Museums nachbauen. Warum durften Sie nicht direkt auf dem Gelände von Gedenkstätte und Museum drehen?

Die Gedenkstätte vertritt die Linie, keine Spielfilme mehr auf dem Gelände zuzulassen. Man will zum Beispiel vermeiden, dass bei Dreharbeiten zu einem historischen Film ein ehemaliger Häftling einem Schauspieler in einer SS-Uniform gegenüber steht. Es war ein seltsames Gefühl, Orte, wie den Raum mit den Koffern, zu gestalten. Wir haben sozusagen die Überreste der Geschichte nachgebaut.

Im Film erlebt Sven Jugendliche, die sich für die historische Bedeutung dieses Ortes kaum interessieren. Können Gedenkstätten oder Denkmäler Erinnerungsarbeit unterstützen?

Als ich in der Begegnungsstätte arbeitete, habe ich Jugendliche getroffen, für die Geschichte sehr weit weg war, auf der anderen Seite war es manchmal erstaunlich, mit welchem Interesse sich Jugendliche damit auseinandersetzten. Grundsätzlich finde ich Gedenkstätten sehr wichtig, weil sie die historischen Orte konservieren und uns daran erinnern, was geschehen ist. Gedenkstätten sind allerdings nicht so gut finanziert wie beispielsweise ein Mahnmal in der Mitte von Berlin [das "Holocaust-Mahnmal" – Denkmal für die ermordeten Juden Europas; Anm. d. Red.]. Das ist ein richtiger touristischer Anziehungspunkt, da kann man Geschichte gewissermaßen konsumieren. Und das merkwürdige ist, je eindeutiger wir uns durch so ein Mahnmal zur Geschichte bekennen, desto weiter rückt sie von uns weg: Das war einmal, wir haben uns dazu bekannt, ein Denkmal hingestellt, das kann man jetzt auch fotografieren und damit ist nun auch mal langsam genug. Das ist bei einer Gedenkstätte anders.

Besteht an solchen authentischen historischen Orten nicht auch die Gefahr einer Faszination des Schreckens?

Da schnürt es einem manchmal wirklich die Kehle zu, wenn Leute sich im Stammlager in so einen Stehbunker stellen oder sich unter dem Schriftzug "Arbeit macht frei" fotografieren lassen. Und trotzdem ist es auf der anderen Seite eine Art, sich mit dieser Geschichte zu beschäftigen. Das ist halt das Zwiespältige daran. Wenn ein Schüler aus einer ganz spontanen Regung heraus einen ehemaligen Häftling fragt: "Kann ich mal ihre Nummer sehen?", dann ist das im ersten Moment erschreckend. Aber auf der anderen Seite ist es ein Versuch, ein persönliches Gefühl zu dieser Geschichte herzustellen.

Wie haben Sie die Vermittlung des Nationalsozialismus und des Holocaust in Ihrer eigenen Schulzeit erlebt?

Ich hatte sehr engagierte Lehrer aus der 68er-Generation, die noch mit einem stark moralischen Impetus unterrichtet haben. Es war Teil ihrer politischen Sozialisation, in den eigenen Eltern auch den potenziellen KZ-Wächter zu sehen. Bei den heutigen Schülern sind teilweise bereits ihre Großeltern nach dem Krieg geboren, dann läuft dieser moralische Appell ins Leere.
ndererseits finde ich es schwierig, dass oft eine bestimmte Haltung verlangt wird, wenn es um dieses Thema geht. Ich habe in meiner pädagogischen Arbeit gemerkt, dass man Betroffenheit nicht verordnen kann. Die kommt dann vielleicht nicht im Museum sondern drei Tage später an der Bushaltestelle. Auch im Film versuche ich, den Zuschauern ihre Emotionen nicht vorzuschreiben.

Wie könnte sinnvolle Geschichtserziehung heute aussehen?

Wenn ich das so genau wüsste, dann wäre ich eher Lehrer als Filmemacher geworden. Natürlich zeigt der Film die Gefahren in einem institutionalisierten Umgang mit Geschichte oder die Schwierigkeit bei der pädagogischen Vermittlung. Und trotzdem zeigt er auch, wie Sven auf einer ganz privaten Ebene, in der Beziehung zu dem ehemaligen Häftling Krzeminski und in seinen Diskussionen mit der Polin Ania, ein Gefühl dafür bekommt, was damals passiert ist. Er entscheidet sich dafür, auf eine ganz konkrete Art und Weise innerhalb seiner persönlichen Möglichkeiten daran mitzuarbeiten, dass die Verbrechen der Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten. Das klingt moralisch – aber für ihn bedeutet das, Tickets abzustempeln für eine Schulklasse oder einen ehemaligen Häftling zur Krankengymnastik zu fahren. In diesem Sinne plädiere ich für persönliche Erfahrungen oder Begegnungen.