Frau Samdereli, in Zum Filmarchiv: "Almanya – Willkommen in Deutschland" erzählen Sie mit viel Humor die Geschichte einer türkischen Gastarbeiterfamilie in Deutschland. Verstehen Sie Ihren Film als Gegenentwurf zu vielen problematisierenden Filmen, die sich mit Ehrenmord oder Jugendkriminalität auseinandersetzen?

Auf jeden Fall wollte ich mit meiner Schwester Nesrin, mit der ich auch das Drehbuch geschrieben habe, schon sehr bewusst einen Film machen, der eine andere Sichtweise auf die Dinge hat. Denn ich hatte immer das Gefühl, was uns von den Anfängen unserer Familie in Deutschland erzählt wurde, war nicht so düster, wie man es oft wahrnimmt. Wir wollten auch dieses Gefühl aus unserer Kindheit wiedergeben. Ich finde natürlich, dass es sehr wichtig ist, dass Filme wie Zum Filmarchiv: "Die Fremde" gedreht werden. Es ist aber ebenso wichtig, dass es auch die anderen Filme gibt.

Komödien, die sich mit deutsch-türkischen Identitätsfragen beschäftigen, sind im Vergleich eher selten.

Richtig. Wir wollten einen Film machen, wie er uns gefällt und der der Gruppe entspricht, die wir darstellen. Wir hatten immer das Gefühl, dass über diese Gruppe von Leuten, die das alles gut hinbekommen haben und keine großen Dramen durchleiden mussten, niemand spricht. Es geht meistens nur um die pöbelnden Schläger und nicht um den Redakteur, der erfolgreich seinen Job macht. Wir wollten das Gegenbeispiel zeigen: Leute wie unsere Familie, die hier sehr gut leben, sich immer sehr bemüht haben, offen und tolerant waren.

Ist Ihre Familie so etwas wie eine integrierte Musterfamilie?

Jein. Wir sind in erster Linie eine ganz normale Familie mit allem, was dazu gehört. Ich glaube aber schon, dass meine Familie sehr offen und modern war und ist. Nicht jeder Vater zieht schließlich los, um einen Ehrenmord anzuzetteln, auch wenn er sehr unglücklich damit ist, welchen Weg die Tochter einschlägt. Das wäre bei einem erzkatholischen Bayer aber nicht anders.

Welche autobiografischen Bezüge stecken in Zum Filmarchiv: "Almanya"?

Was sehr starke autobiografische Bezüge hat, sind die Eindrücke von der Ankunft in Deutschland, von der uns unsere Großeltern oft erzählt haben. Oder auch die Dinge, die die Kinder wahrnehmen – daher auch die kindliche Perspektive. Weihnachten zum Beispiel war für uns Kinder ein absolutes Muss. Wir haben unsere Mutter regelrecht gezwungen, dass sie uns Weihnachten ausrichtet. Das war dann genauso schrecklich, wie wir es im Film dargestellt haben. Denn wenn man das Ritual nicht kennt, macht man es halt "Pi mal Daumen".

Ab wann hat Sie die Frage beschäftigt, wie deutsch und wie türkisch Sie eigentlich sind?

Ich weiß noch, dass ich in der Pubertät eine schwierige Haltung dazu hatte und dachte, dass mich die Deutschen sowieso nicht wollen und ich für die eine Art Kuckucksei bin. Es kamen ja oft solche Sätze wie: Wann gehst du denn wieder nach Hause?

Und was haben Sie darauf geantwortet?

Ich war erstmal irritiert, weil ich klären musste, was die überhaupt damit meinten: Das Zuhause in Dortmund? Das Hier und Jetzt? Als ich Kind war, war es ja immer noch ein Thema, wann die Gastarbeiter denn alle wieder zurückgehen würden.

Fühlen Sie sich eher deutsch oder türkisch?

Eher deutsch, glaube ich. Ich bin ja hier aufgewachsen und lebe tagtäglich hier. So sehr ich den Anteil der türkischen Kultur in mir schätze, er ist natürlich kleiner. Ich spreche auch viel besser Deutsch als Türkisch, der deutsche Anteil ist einfach gelebter. Schon als Kind war ich im Spielmannszug und meine Schwester Funkenmariechen.

Welche filmischen Vorbilder hatten Sie für Zum Filmarchiv: "Almanya"?

Ich glaube nicht, dass wir ganz bewusst irgendwelche filmischen Vorbilder hatten. Mein Bild aus der damaligen Zeit ist eher durch die Zum Inhalt: Super 8Super-8-Aufnahmen meines Großvaters geprägt.

Was kann Ihr Film einem jungen Publikum vermitteln?

Ich denke, was junge Leute an Zum Filmarchiv: "Almanya" spannend finden könnten, ist zu erfahren, wie es zu all dem kam. Es gab Zeiten, in denen Gastarbeiter sehr willkommen in Deutschland waren. Und das darf man nicht vergessen. Zu sehen, dass der millionste Gastarbeiter mit Blaskapelle begrüßt wurde, hat mein Herz höher schlagen lassen. Dass wir hier sind, hat schließlich gute Gründe, und es ist wichtig, dass sich alle Deutschen, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, das vor Augen führen.

Wen möchten Sie mit dem Film erreichen?

Wir würden gern ein gemischtes Publikum ansprechen – Deutsche und Türken. Wir hoffen, dass man da gemeinsam mit- und übereinander lachen kann.