Der kleine Ryan hat sich etwas schwankend am niedrigen Couchtisch hochgezogen und strahlt seine Mutter an. Die lächelt stolz zurück. Jessica ist zierlich, trägt eine helle Strähne im langen dunklen Haar, Jeans und Turnschuhe. Sie sieht ein bisschen müde aus. Wie viele Mütter im ersten Jahr. Als ihr Sohn vor fast elf Monaten geboren wurde, hatte sie gerade ihren 17. Geburtstag gefeiert und war damit noch ein Teenager. Über das Jugendamt bekam sie eine Wohnung im Mutter/Vater-Kind-Heim des Pro Max e.V. in Berlin-Wedding vermittelt, in der sie jetzt mit ihrem neuen Partner lebt. Das Mehrfamilienhaus wurde von dem gemeinnützigen Verein angemietet, um hilfsbedürftigen Müttern, speziell auch minderjährigen, separate Wohnmöglichkeiten mit Betreuung zu bieten: Die jungen Familien können hier eine Zeit lang leben und sich je nach Bedarf regelmäßig oder manchmal helfen lassen durch Gespräche, Unterstützung bei Ämtergängen, durch Babysitten und sonstigen Beistand. Die Mädchen und Frauen lernen dabei, allein mit ihren Kindern ihr Leben zu meistern. Jessica und ihre Familie haben vor einem Jahr eine Zwei-Zimmer-Wohnung bezogen. Am Fenster der großen Wohnküche flattert eine leichte, rote Gardine, in einem Regal hinter dem Fernseher stehen Babyfotos, eine Haartönung neben einem Bild von Jessica in Blond, und eine Daniela Katzenberger-DVD. Das gemütliche Kinderzimmer ist gleich hinter dem Schlafzimmer, aus dem Fenster schaut man auf eine Kirche, dahinter, wie praktisch, ein Spielplatz.

Eine eigene Familie

Ryan ist ein Wunschkind. "Ich wollte eigentlich immer Kinder haben", sagt Jessica, und erzählt, dass sie mit ihrem gleichaltrigen Ex-Freund damals den Familienzuwachs bewusst geplant habe. Obwohl alle abgeraten hatten. "Ich weiß nicht genau, wieso", sagt sie, aber sie habe sich von jeher reifer als andere gefühlt. "Teenie war ich noch nie, das habe ich übersprungen", erklärt sie und lacht ein bisschen verlegen. Ihre Oma, bei der sie im Spreewald aufgewachsen ist, war immer arbeiten. "Ab der 1. Klasse war ich auf mich allein gestellt, sogar schon im Kindergarten." Zu ihrer Mutter, die nur 19 Jahre älter ist als Jessica, hat sie jetzt wieder sporadisch Kontakt, zu ihren jüngeren Geschwistern, die ebenfalls nicht bei der Mutter leben, eher selten. Bevor sie in die Mutter-Kind-Wohnung zog, lebte sie eine Weile in einem Heim.

Eine schwere Zeit: die Schwangerschaft

Vom leiblichen Vater des Kindes hat sie sich kurz nach der Geburt getrennt: "Ich hatte lange eine rosarote Brille auf", sagt sie, und erzählt, wie sie erst einmal Mut sammeln musste, wie sie die Trennung vor sich hergeschoben hat, weil sie nicht wahrhaben wollte, dass er Angst vor der Verantwortung hatte, und in eine unangenehme Szene geraten war. Jetzt holt Ryans Vater seinen Sohn einmal in der Woche und bringt ihn abends wieder zurück. Die Beziehung zwischen Jessica und ihm hat sich beruhigt. Die schwierige Zeit mit ihm war auch eine Belastung für ihre Schwangerschaft: Obwohl sie ansonsten auf viel Verständnis in ihrer Umgebung stieß – "meine Freundinnen haben mich immer unterstützt" -, war die Erfahrung ein Schock. "Das habe ich mir schon anders vorgestellt", sagt sie. Jessica musste ab dem fünften Monat wegen Frühwehen im Krankenhaus liegen, sie bekam eine Schilddrüsenstörfunktion, hatte Rückenschmerzen, konnte kaum mehr laufen, und erkannte ihren Körper nicht wieder. Nach der Geburt brauchte sie einige Wochen, bis sich endlich das Glück einstellte, mit dem sie fest gerechnet hatte: "Ich habe am Anfang jeden Tag geweint, sobald er nur mal gepiept hat." Doch körperliche Probleme während der Schwangerschaft, Schlafdefizit und Wochenbettdepressionen kennen viele Mütter, ganz unabhängig vom Alter. Fiel es Jessica nie schwer, immer so stark zu sein? Nein, sagt sie, und sie vermisse auch nichts. "Ich war nie der Feiermensch."

Zukunft mit Job und Kind

Jessica wirkt entspannt und aufgeräumt, eine kleine, zurückhaltende, ganz junge, und dennoch erstaunlich vernünftige Erwachsene. Auch ihre Zukunft plant sie bereits: Eigentlich habe sie die Mittlere Reife machen wollen, die Schwangerschaft kam dazwischen. Um den Hauptschulabschluss musste sie dann kämpfen, vor allem, seit sie im fünften Monat im Krankenhaus lag: "Ich habe dann die Aufgaben zu Hause gemacht und zensieren lassen." Sie hat den Abschluss geschafft, und sich bereits um einen Ausbildungsplatz als Einzelhandelskauffrau beworben. Es hat noch nicht geklappt, aber "ich versuche es nächstes Jahr wieder". Und was wird sie tun, wenn das Kind mal krank ist, und sie arbeiten muss? "Zu Hause bleiben", versichert sie, "ich bin ein ehrlicher Mensch, ich würde das beim Vorstellungsgespräch auch so sagen." Eine Qualität, die die raren kinderfreundlichen Unternehmen hoffentlich zu schätzen wissen. Und Jessica nicht, wie so oft üblich, als Risikokandidatin Mutter ablehnen.

Ohne Disziplin geht es nicht

Im Hintergrund klimpern Ryan und Jessicas Partner im Kinderzimmer herum. Ihr Freund arbeitet im Schichtdienst, er kümmert sich gern um Ryan, aber er kann natürlich nicht immer: "Wenn ich Hilfe brauche, weil Ryan krank ist oder mal jemand aufpassen soll, frage ich hier im Haus", erzählt sie. Regelmäßig besuchen sie Mitarbeiter/innen des Pro Max e.V., einem im Jugendhilfebereich tätigen Verein, um zu schauen, wie es Jessica und ihrer Familie geht. Sie gibt sich Mühe, fehlende Lebenserfahrung wettzumachen: Während der Schwangerschaft las sie körbeweise Hefte und Bücher zum Thema Kindererziehung. "Man muss Disziplin haben", sagt sie, dürfe nicht in eine Teeniephase zurückfallen. "Dass es so gut klappt, gibt es nicht so oft", meint sie skeptisch, den meisten anderen Mädchen in ihrem Alter würde sie nicht empfehlen, eine solche Entscheidung zu treffen. Die meisten anderen Mädchen in ihrem Alter würden sich aber auch statt Babyfotos lieber Robert Pattinson-Bilder an die Wand hängen.

Keine Zeit zum Schwärmen

Während des Gesprächs muss Jessica Ryan die Windel wechseln. Der kleine Junge gluckst fröhlich und schlägt die dunkel bewimperten Augen nieder. Er sei ein richtiger Sonnenschein, sagt Jessica, und dass sie heute stolz auf alles sei, auf jeden Fall ein zweites Kind wolle, wann, das könne sie noch nicht absehen. Vielleicht dauert es ja noch ein wenig. Aus dem Mutter-Kind-Wohnhaus muss sie in absehbarer Zeit ausziehen, dann kommen wieder neue finanzielle, planerische und soziale Herausforderungen auf sie, ihren Partner und Ryan zu. Bei denen noch mehr Vernunft und Disziplin gefragt ist. Für Teenager-Hauptbeschäftigungen wie Schwärmen, Träumen und Kreischen ist in Jessicas Leben eben gerade sehr wenig Platz.