Muriel Coulin und ihre Schwester Delphine sind in Lorient aufgewachsen, einer Hafenstadt in der Bretagne. Muriel Coulin arbeitete zunächst als Kameraassistentin, unter anderem bei Louis Malle, Krzysztof Kieślowski und Aki Kaurismäki, dann als Kamerafrau fürs Kino und als Regisseurin für TV-Dokumentarfilme. Delphine Coulin koproduzierte Zum Inhalt: Dokumentationen für den TV-Sender Arte, bevor sie als Schriftstellerin vier Romane publizierte, zuletzt Samba pour la France (2011). Parallel realisierten die Schwestern zusammen fünf Kurzfilme. Zum Filmarchiv: "17 Mädchen" ist ihr erster gemeinsamer Spielfilm und beruht auf einer wahren Begebenheit.

Frau Coulin, Sie haben in der Zeitung von einer Gruppe Mädchen in den USA gelesen, die sich gemeinsam entschlossen haben, schwanger zu werden. Was hat Sie und Ihre Schwester Delphine dazu bewogen, daraus einen Spielfilm zu machen?

Wir waren uns sofort einig, dass dies eine großartige Geschichte für einen Film abgeben würde. Wie kommen diese Mädchen darauf, etwas so Verrücktes, Wunderschönes und zugleich Verzweifeltes zu tun? Das Zwiespältige an ihrer Entscheidung hat uns gereizt.

Inwiefern ähneln sich die Handlung des Films und die realen Vorkommnisse in den USA?

Kaum, schon weil wir die Handlung in die Bretagne verlegt haben. Im Unterschied zu den USA besitzt Frankreich ein sehr gutes Sozialsystem. Wenn ein Mädchen schwanger wird, bekommt es finanzielle Unterstützung und eine gute medizinische Betreuung. Das ist in den USA nicht selbstverständlich. Die Utopie, die unser Film entwirft – die kollektive Schwangerschaft als Gegenentwurf zu einem vorgezeichneten Leben – wäre in den USA von vornherein zum Scheitern verurteilt. In Frankreich hingegen kann man einen Moment lang daran glauben, dass die Mädchen es schaffen könnten. Das macht den Film erst spannend.

Begreifen die Mädchen im Film ihre Entscheidung als feministischen Akt?

Ja, ganz und gar. Uns war es wichtig, dass wir starke, intelligente Mädchen zeigen, keine Opfer. Sie haben sich bewusst für die Verwirklichung ihrer Utopie entschieden. Sie benutzen ihren Körper als Waffe und unterscheiden sich damit nicht so sehr von den Feministinnen der 70er-Jahre. Wie diese wollen sie selbst bestimmen, wann sie ein Kind bekommen. Nur wollen sie jetzt sofort ein Baby, nicht nachdem die berufliche Karriere angelaufen ist.

Gegen was rebellieren die Mädchen genau?

Gegen eine Zukunft, die ihnen zu beengt erscheint. Sie sollen brav zur Schule gehen, studieren, eine Arbeit finden, heiraten und dann erst Kinder kriegen – in dieser Reihenfolge. Aber sie wollen etwas Größeres erleben. Wie viele junge Menschen haben die Mädchen keine Lust, sich auf den kriselnden Arbeitsmarkt zu begeben und dem Geld hinterher zu hecheln. Sie suchen nach alternativen Lebensentwürfen. Uns interessierte vor allem der Wille der Mädchen, sich nicht mit gängigen Modellen zufrieden zu geben und etwas Neues auszuprobieren. Ihre Schwangerschaft ist quasi ein politischer Akt. Sie wollen selbst etwas aufbauen, nach eigenen Werten leben und das mit den Menschen, die ihnen am liebsten sind, ihren Freundinnen.

Hat die Utopie der Mädchen überhaupt eine Chance?

Nein, mit der Schwangerschaft wählen sie das falsche Mittel für ihren Kampf. In dem Moment, in dem eine von ihnen körperliche Probleme bekommt, beginnt die Utopie zu bröckeln. Der Körper, der die Mädchen erst stark gemacht hat, lässt sie im Stich. Schwangerschaft ist keine kollektive, sondern eine zutiefst individuelle Erfahrung, bei der sich vieles um einen selbst und die eigene Gesundheit dreht.

Warum spielen die jungen Väter kaum eine Rolle?

Der Film heißt nun einmal Zum Filmarchiv: "17 Mädchen" und um sie herum entfaltet sich die Geschichte. Um sie den Zuschauern näher zu bringen, muss man zeigen, wie sie leben und was sie jeden Tag machen. Deshalb haben wir viele Alltagsbeobachtungen in den Film eingefügt. Die Jungen geraten dadurch in den Hintergrund, was aber nicht heißt, dass sie weniger wichtig sind. Aber ganz ehrlich, mit noch mehr Hauptfiguren wären wir nicht klargekommen.

Welche Funktion hat die Figur der Mathilde, die als einzige in der Clique kein Baby will?

Die Mädchen bilden keine extremistische oder diktatorische Gruppe, die Andersdenkende ausschließt. Mathilde bleibt ihre Freundin und ist Teil der Clique, obwohl sie nicht schwanger ist. Sie nimmt die Rolle der Kritikerin ein und bildet eine Art Opposition innerhalb der Gruppe.

Sie zeigen im Film jedes Mädchen ein Mal alleine in den echten Zimmern der Schauspielerinnen. Die Handlung steht in dieser Zeit still. Warum diese quasi- Zum Inhalt: dokumentarischen Szenen?

Das war für den Rhythmus des Films wichtig. Der jugendliche Überschwang musste hin und wieder durch Momente der Melancholie, des Zweifels und des Kummers gebrochen werden, die ebenso zur Pubertät gehören wie das ausgelassene Zusammensein mit Freunden.

Wen wollen Sie mit Zum Filmarchiv: "17 Mädchen" erreichen?

Wir haben beim Dreh an keine besondere Zielgruppe gedacht und wollten auch nicht belehren. Wenn man eine Lehre daraus ziehen will, dann diese: Ein junges Mädchen, das träumt, kann man nicht aufhalten. Auch wenn diese besondere Geschichte zum Scheitern verurteilt ist, die Ausgangsidee einer auf Freundschaft basierenden Frauengemeinschaft ist doch sehr schön. Lasst uns also weiter träumen.