Kategorie: Filmbesprechung
"Rosenstraße"
Margarethe von Trotta erinnert an den Frauenaufstand in der Berliner Rosenstraße 1943, bei dem die Demonstrantinnen die Freilassung ihrer jüdischen Ehemänner verlangten.
Unterrichtsfächer
Thema
New York, 2001: Ruth hat ihren Mann Robert verloren. In Trauer verhängt Ruth alle Spiegel in der Wohnung, wie es das jüdische Trauerritual Shiwa gebietet. Ruth will sich an diese jüdisch-orthodoxe Tradition halten. Ihre Tochter Hannah verblüfft die plötzliche "Jewishness". Ruth untersagt ihr sogar, das klingelnde Telefon zu beantworten, obwohl es Luis sein könnte, Hannahs Freund und Verlobter, der extra aus Nicaragua zu ihnen unterwegs ist. Ruth wird als Erwachsene während des Films nur noch kurz auftauchen, bis sie am Schluss wieder zu sehen ist, wie sie mit Hannah gemeinsam am Tisch sitzt und beide einen Ring tauschen. Sie wird dann auch die Hochzeit von Hannah und Luis mitfeiern, gegen die sie eingangs noch war, weil Luis kein Jude ist.
Ein Schlüssel zur Vergangenheit
Und doch ist Ruth die Schlüsselfigur der Handlung, die alles auslöst und dramaturgisch wie eine Klammer funktioniert. Hannah hat sie über Jahre hinweg nichts von ihrer Kindheit im Nationalsozialismus erzählt, davon, wie sie während jener denkwürdigen sieben Tage im Februar/März 1943 Lena Fischer in der Rosenstraße begegnete und von ihr aufgenommen wurde. Sieben Tage Shiva in New York, sieben Tage Widerstand damals in Berlin – eine biblische Chiffre. Ruth hat Lena viel zu verdanken, alles womöglich, ihr Leben jedenfalls. Hannah weiß davon noch nichts, doch sie ahnt, dass der Schlüssel zum Verständnis ihrer Mutter in Berlin liegt, und sie macht sich auf, Lena Fischer in Deutschland, in der neuen alten Hauptstadt Berlin zu suchen. Dort lebt die inzwischen 90-Jährige auch heute noch.
Verdrängtes und Vergessenes
"Rosenstraße" ist die jüngste Arbeit der deutschen Zum Inhalt: Autorenfilmerin Margarethe von Trotta ("Die bleierne Zeit " , BRD 1981; "Rosa Luxemburg" , BRD 1986), die seit ihrem Berlinale-Eröffnungsfilm "Das Versprechen " (DE 1995) in den letzten Jahren primär für das Fernsehen arbeitete ("Winterkind" 1997; "Dunkle Tage" , 1999). Mit "Rosenstraße," der 2003 als einziger deutscher Beitrag im Wettbewerb von Venedig sowie in Toronto lief, blickt die Regisseurin auf das historisch lange an den Rand gedrängte Phänomen des Widerstands einiger Frauen gegen die Inhaftierung ihrer jüdischen Männer in der Berliner Rosenstraße und bindet es ein in verschiedenste Liebeskonstellationen zwischen dem Gestern und dem Heute. Ihr Film eröffnet somit auf breiter Ebene die Möglichkeit der Diskussion um die Jahrzehnte lang stiefmütterlich behandelten, beinahe negierten Ereignisse, die sich zwischen dem 27. Februar und dem 7. März des Jahres 1943 in Berlin abspielten.
Überwindung tradierter Rollenmuster
"Rosenstraße" greift verschiedene fiktive Einzelschicksale vor dem authentischen Hintergrund des einzigartigen Frauenaufstandes in der Berliner Rosenstraße vor 60 Jahren auf: Deutsche, "arische" Frauen, die mit jüdischen Männern in so genannten "Mischehen" lebten, sammelten sich damals vor dem Gefängnis in der Rosenstraße und warteten beharrlich auf die Freilassung ihrer von Deportation bedrohten Männer. Aus wenigen, aus einem Dutzend nur, wurden bald Hunderte. Aus passivem Warten entwickelte sich aktives Protestieren. Hierbei ist es von entscheidender Bedeutung, wie von Trotta die Rollenprägung der Frau im Wandel der Jahrzehnte des ausgegangenen 20. Jahrhunderts bis hin in unsere Gegenwart versteht: das allmähliche Abstreifen eben dieser tradierten Rolle durch so genanntes feministisches, emanzipatorisches oder einfach individuelles Denken. Der Aufstand war ein situativ bedingter Akt der Solidarität und der Zivilcourage. Die Männer kamen am Ende tatsächlich frei.
Politisches und Privates auf drei Zeitebenen
"Rosenstraße" , im Zum Inhalt: Cinemascope-Format gedreht, ist gelebte und erdachte Geschichte zugleich. Stilistisch und formal ist das Zum Inhalt: Drama, werkimmanent betrachtet, dem Zum Inhalt: Biopic "Rosa Luxemburg" sehr verwandt. Hier wie dort findet sich die enge Verknüpfung von Privatem und Politischem. Nahezu jeder Film der Regisseurin reflektiert Vergangenheit, sowohl individuell als auch politisch, die "personal story" und die "history", die einander zumeist auch bedingen. Der Film spielt in drei Zeiten, erzählt nicht linear, nicht in einem kontinuierlichen Handlungsstrang, sondern alterniert mittels Zum Inhalt: Rückblenden zwischen drei Epochen: dem Berliner Vorkriegsjahr 1932, dem Kriegsjahr 1943, ebenfalls in Berlin in der Rosenstraße, und dem New York und Berlin des Jahres 2001. Diese drei Zeiten und Ebenen kontrastieren inhaltlich, stilistisch und auch formal, heben sich deutlich erkennbar voneinander ab. In seiner Zum Inhalt: Farbgestaltung unterscheidet sich das Jahr 1943 von den beiden anderen Zeitebenen maßgeblich: Es ist in einem beinahe schon bleiernen, entfärbten Blaugrau gehalten, das die Schwere, die auf den Menschen lastet, spürbar macht. Es leuchtet nichts in diesen Zum Inhalt: Szenen, keinerlei Farbtupfer – außer dem Gelb der Judensterne und dem blutigen Rot der Hakenkreuz-Embleme.
Ein Liebesfilm zum Nachdenken
Der Film will auf die sich aufdrängenden Fragen zu Recht keine eindeutigen Antworten geben, lässt die Dinge explizit offen. Gab Goebbels nun die Anweisung? Oder war die Freilassung der Internierten ohnehin vorgesehen? "Rosenstraße" ist primär ein bewegender Liebesfilm auf mehreren Zeit- und Beziehungsebenen, besetzt mit namhaften Schauspieler/-innen von den Haupt- bis hin zu den kleinsten Nebenrollen – und mit einer Katja Riemann, die wohl noch nie so gut und überzeugend war. Das mit seinen 136 Minuten Laufzeit etwas zu lang geratene Drama fügt sich nahtlos in die organische Arbeit der Regisseurin ein und ergänzt sie um ein noch fehlendes Puzzlestück: Bisher gab es keinen im Nationalsozialismus spielenden Film von ihr.