Stefan Rogall ist Lektor, Dramaturg, Roman- und Drehbuchautor (Glossar: Zum Inhalt: Drehbuch). Für das ZDF schrieb er die vierteilige Miniserie Zum Filmarchiv: "Deutscher", die den Alltag in einer Kleinstadt nach dem Wahlsieg von Rechtspopulisten beschreibt.

kinofenster.de: Wie kamen Sie auf die Idee zu "Deutscher" ?

Stefan Rogall: Durch das Verfolgen der Nachrichten. Mich besorgt, dass der rechte Populismus nicht nur weltweit an Einfluss gewinnt, sondern auch dass entsprechende Politiker/-innen und Parteien bereits in einigen Ländern in der Regierungsverantwortung stehen. Ich habe mich dann gefragt, wie man die Konsequenzen davon so erzählen kann, dass ein möglichst breites Publikum abgeholt wird. Das funktioniert nicht, wenn sich der Plot auf die Politik konzentriert. Stattdessen sollte das Alltagsgeschehen im Vordergrund stehen.

kinofenster.de: Ist darin die Wahl der Schauplätze begründet?

Stefan Rogall: Die Serie spielt in einer Klein- oder einer Vorstadt irgendwo in Deutschland. Deswegen haben wir bewusst auf Lokalkolorit verzichtet und als Schauplätze (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) Vorgärten und andere Orte gewählt, die eine Vielzahl von Menschen repräsentieren.

kinofenster.de: Die Protagonistinnen und Protagonisten, die Schneiders und die Pielckes, wohnen Tür an Tür in ähnlichen Häusern. Was unterscheidet die beiden Familien?

Stefan Rogall: Beide Familien waren in der Vergangenheit freundschaftlich verbunden und die Söhne sind es auch weiterhin. Zu Beginn wird deutlich, dass die Wahl der Rechtspopulisten von ihnen unterschiedlich bewertet wird. Während Schneiders dem ablehnend gegenüber stehen, verbinden Pielckes damit die Hoffnung, dass sie von einem versprochenen wirtschaftlichen Aufschwung profitieren. Es kristallisiert sich heraus, dass sie bereits einmal insolvent waren. Die damit verbundene Existenzangst und die wirtschaftliche Nähe zum Geschäftsmann Günther Kellenburg macht vor allem Frank Pielcke anfälliger für dessen rechtes Gedankengut. Wir wollten aber die Methode der Typisierung der Milieus nicht so weit führen, dass die Figuren ins Klischeehafte abgleiten.

kinofenster.de: Die Anfälligkeit für Rechtspopulismus wird nicht nur bei den Pielckes deutlich. In der Apotheke, in der Frau Schneider arbeitet, wird ihr Kollege Burak Derzidan von einer älteren Dame rassistisch beleidigt. Verdeutlicht diese Szene den politischen Paradigmenwechsel?

Stefan Rogall: Diese Zum Inhalt: Szene spielt unmittelbar nach der Wahl und verdeutlicht, was passiert, wenn Politiker den Rechtspopulismus befeuern: Die Hemmschwelle, sich öffentlich rassistisch zu äußern, fällt weg. Es ist ein Irrglaube, davon auszugehen, dass Rassismus nur am rechten Rand vorkommt. Er kommt direkt aus der sogenannten bürgerlichen Mitte. Die Serie zeigt, was passieren kann, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft verschieben und ein rechtes Regime gewählt wird. Dann ist es möglich, dass auch die Nachbarn, von denen man es nie vermutet hätte, die Masken fallen lassen. Hate Speech taucht dann nicht mehr anonym im Internet auf, sondern von Angesicht zu Angesicht. Demokratie und damit verbundene gesellschaftliche Werte sind nicht in Stein gemeißelt, sondern erfordern täglich einen neuen Kampf.

kinofenster.de: Was verbirgt sich hinter dem Titel "Deutscher" ?

Stefan Rogall: Der Titel ist bewusst mehrdeutig gehalten. Darin spiegelt sich einerseits die Frage wider, was es heutzutage heißt, eine Deutsche oder eben ein Deutscher zu sein. Ebenso kann das Wort als Steigerung des Adjektivs deutsch verstanden werden und damit die absurde Forderung von Rechtspopulisten illustrieren, es oder man – wer auch immer das ist – solle wieder "deutscher" werden. Dahinter verbirgt sich der Wunsch nach stärkerer Abgrenzung, wobei es im Gegenteil in der Politik wichtiger sein sollte, das Gemeinsame statt das Trennende zu betonen.

kinofenster.de: Warum tauchen Figuren mit Migrationshintergrund nur als Nebenrollen auf?

Stefan Rogall: Wir mussten die Entscheidung treffen, uns auf zwei Familien zu beschränken, anhand derer wir einen Gegensatz aufzeigen. Das ist eine dramaturgische Entscheidung. Darüber fragte ich mich, ob ich den Alltag einer Familie mit türkischen Wurzeln hätte authentisch erzählen können, was ich klar verneinen musste. Cansus Familie und Burak verdeutlichen aber die Problematik der Frage, wer "deutsch" ist und wer als deutsch wahrgenommen wird. Sie erfahren kaum Solidarität – weder Cansus Vater nach dem Brandanschlag auf seinen Imbiss, noch Burak, nachdem sein Vertrag in der Apotheke nicht verlängert wurde. 2006 läutete das sogenannte Sommermärchen im Zuge der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland eine "Schönwetterperiode" ein. Die Leute trugen T-Shirts mit "Deutsche Helden heißen Özil", und rechtspopulistisches Gedankengut war grundsätzlich verpönt. Seit einigen Jahren wird aber deutlich, dass sich die Gesellschaft polarisiert. Und menschenverachtende, nationalistische Äußerungen wurden salonfähig und gerade auch in den sozialen Medien gegenseitig ermutigt. Die Betreffenden schämen sich nicht mehr dafür, sondern klopfen sich auf die Schulter.

kinofenster.de: Am Ende der vierten Folge bleiben einige Aspekte offen, beispielsweise was mit Olaf, dem Drahtzieher der rechten Clique passiert. Deutet das auf eine mögliche Fortsetzung (Glossar: Zum Inhalt: Sequel) hin?

Stefan Rogall: Ich finde eine Fortsetzung reizvoll und denkbar, um die Familien weiter zu begleiten. "Deutscher" ist aber erst einmal in sich so abgeschlossen. Dass dabei Fragen offen bleiben, finde ich wichtig. Man kann nicht auf alles Antworten geben. Das ist Teil des Lebens. Und ist es nicht besser, wenn sich die Zuschauenden selbst Gedanken machen, statt alles fertig serviert vorgesetzt zu bekommen?

kinofenster.de: Was können Kinder und Jugendliche durch "Deutscher" lernen?

Stefan Rogall: Ich hoffe, dass sie Empathie entwickeln. Viele der Figuren leiden. Die eigene Perspektive als Zuschauende/-r zu erweitern und sich in die Lage von anderen hinzuversetzen – damit wäre viel gewonnen.