Kategorie: Film
"Pre-Crime"
Verbrechen verhindern, bevor sie geschehen: Der Dokumentarfilm beleuchtet Formen der präventiven Ermittlungstechnik und fragt nach den gesellschaftlichen und persönlichen Folgen dieser Überwachungssysteme.
Unterrichtsfächer
Thema
Der Dokumentarfilm "Pre-Crime" ist kostenfrei als Zum externen Inhalt: Streaming-Angebot in der bpb-Mediathek (öffnet im neuen Tab) verfügbar.
Wie viele Jugendliche hat Robert McDaniel aus Chicago Marihuana ausprobiert und sein Glück im Spiel gesucht. Das waren seine einzigen Vergehen gegen das Gesetz. Doch ein Brief des Polizeidepartments erklärt ihm, dass er auf den vordersten Plätzen der sogenannten SSL (Strategic Subject List) gelandet ist. Dort werden Namen von Menschen geführt, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit entweder in Zukunft selbst straffällig oder einem Gewaltverbrechen zum Opfer fallen werden. Ein mathematischer Algorithmus bildet die Grundlage dieser polizeilichen Prognose. Der Afroamerikaner Robert McDaniel steht auf dieser Liste, weil sein bester Freund ermordet wurde und er damit einer Risikogruppe zugerechnet wird. Er wird nun ständig überwacht und hat keine Chance jemals wieder von dieser "Heat List" gestrichen zu werden. Wie genau die Berechnung des Algorithmus funktioniert, lässt sich nicht überprüfen.
Was wie Zukunft klingt, ist bereits Gegenwart
Es klingt wie Science-Fiction, nur ist der Afroamerikaner Robert McDaniel keine fiktionale Figur, sondern Protagonist in dem Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Pre-Crime" von Monika Hielscher und Matthias Heeder. Wobei der Filmtitel Philip K. Dicks im Jahr 2054 spielender Kurzgeschichte "The Minority Report" (1956), Zum Inhalt: Vorlage für den von Steven Spielberg, entlehnt wurde: "Precrime" heißt bei Dick eine Polizeiabteilung, die durch Vorhersagen Morde verhindern soll. Dass diese Form der Verbrechensbekämpfung keineswegs eine Zukunftsvision ist, zeigen Hielscher und Heeder in ihrem Film: In den USA, in Großbritannien und Frankreich und – in geringerem Maße – auch in Deutschland werden Computerprogramme eingesetzt, die zukünftige Verbrechen verhindern sollen. Die Software sammelt verschiedene personenbezogene Daten, wertet Material von Überwachungskameras aus und berechnet auf dieser Basis, in welchem Umfeld kriminelle Handlungen wahrscheinlich sind und von wem sie möglicherweise begangen werden könnten.
Predictive Policing – Segen oder Fluch?
Polizeibeamtinnen und -beamte aus den genannten Ländern demonstrieren im Film, wie Überwachungssysteme namens "Beware" (USA) oder "Predpol" (Deutschland) funktionieren und welche Zielvorgaben hinter dem Predictive Policing, der vorausschauenden Polizeiarbeit, stehen. So zeigt sich, dass die Polizei mithilfe dieser Technologie Stadtviertel mit höheren Verbrechensraten besser kontrollieren kann, und die Software bei der Aufklärung von Verbrechen gute Dienste leistet. Hielscher und Heeder stellen diesen Aussagen die Meinungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Insidern aus Wirtschaft und Institutionen entgegen, die mehrheitlich die negativen Auswirkungen der Überwachung darstellen. Die Expertinnen und Experten erläutern detailliert, dass diese Computersysteme nicht unfehlbar sind. Sie kritisieren, dass mit der Nutzung von Big Data, dem digitalen Schatten der Menschheit, auch ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen einhergeht.
Digitale Fußabdrücke
Je mehr rechtliche Freiräume das jeweilige Land für die Datennutzung zur Verbrechensbekämpfung einräumt, desto lückenloser lassen sich Einzelpersonen offiziell erfassen. Dabei wird auch deutlich, wie "gläsern" der Mensch mittlerweile geworden ist. Einen großen Anteil der gewonnenen Daten stellen durchschnittliche User/-innen über soziale Netzwerke wie Facebook, Whatsapp und Twitter quasi freiwillig zur Verfügung. Bereits mit der Nutzung eines Smartphones kann jemand getrackt werden. Der Handel mit diesen digitalen Spuren, die jeder im Internet oder beim Telefonieren hinterlässt, floriert. Das Individuum – so stellt es der Film dar – wird als Kunde und Kundin, Kreditnehmer, politisch Aktive, Krankenversicherter oder eben auch als Straftäterin kalkulierbar und bewertbar.
Überwachung und ihre filmische Umsetzung
Hielscher und Heeder führen den Begriff der "Versicherheitlichung" von Gesellschaften ein und fragen, welcher Preis dafür gezahlt werden muss und wieviel Sicherheit überhaupt garantiert werden kann. Reenactments, also nachgestellte Zum Inhalt: Szenen tatsächlicher Ereignisse, veranschaulichen im Film polizeiliche Einsätze. Damit das Publikum das Überwachungssystem auch nachempfinden kann, arbeitet die Regie im Stil der Augmented Reality: Mit Zum Inhalt: visuellen Effekten und Zum Inhalt: Überblendungen simulieren sie, welche Daten gerade erfasst werden; die Zuschauenden sollen sich vor einem Überwachungsmonitor wähnen. Einige szenische Ideen scheinen durch das Computerspiel "Watch Dogs" inspiriert. In dem Spiel befindet man sich als Hacker in einem dystopischen "Informationskrieg". Diese Atmosphäre greift der Film durch zahlreiche Drohnenaufnahmen auf. Zudem wirken die ausgewählten Zum Inhalt: Schauplätze für Interviews oft düster und erinnern an konspirative Treffpunkte. Auch der Soundtrack verstärkt die bedrohlich wirkende Stimmung. Die angewandten filmischen Mittel suggerieren einen investigativen Ansatz. Der Interpretationsrahmen der im Film getroffenen Aussagen wird dadurch jedoch deutlich beeinflusst.
Wiederholt setzt sich Regisseur Matthias Heeder auch selbst in Szene, und zwar in freier und wilder Natur. Während das Meer gegen die Felsen brandet, resümiert er am Ufer sitzend die bisherigen Rechercheergebnisse. Der digitalen Welt setzt er eine analoge entgegen: Er zeichnet Schaubilder auf seinen Notizblock und veranschaulicht so seine persönlichen Assoziationen.
Eine Gefahr für den Rechtsstaat?
Eine wichtige Frage, die "Pre-Crime" aufwirft, bezieht sich auf den in Verdacht geratenen Robert McDaniel: Warum stellen in den USA afroamerikanische Männer den größten Anteil auf den Überwachungslisten? Ist das gesetzlich verbotene Racial Profiling – also Fahndungsmethoden, die an dem äußeren Erscheinungsbild, der ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder Herkunft von Personen anknüpfen – etwa der Software eingeschrieben, die Menschen einer Risikogruppe zurechnet? Im Film wird dieser Verdacht mehrfach geäußert. Doch die Berechnungsgrundlage der in den USA genutzten Software bleibt in dieser Hinsicht geheim. Mit einer Zum Inhalt: Parallelmontage suggeriert der Film auch Zweifel, ob die aufgezeigten Vorteile moderner Polizeitechnik allen Menschen in gleichem Maße zugute kommen: So kann die Polizei von Chicago den Mörder von Roberts Freund nicht finden, den Mord an einer Polizistin aber anhand ihres lückenlosen Tracking-Systems in kurzer Zeit aufklären. Wer initiiert Datenerfassungen und wem nutzen sie? Monika Hielscher und Matthias Heeder sind in ihrer Haltung jedenfalls eindeutig: Sie sehen im Predictive Policing eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat – und damit auch für die Gleichheit seiner Bürgerinnen und Bürger.
Weiterführende Links
- External Link Website des Films
- External Link filmportal.de
- External Link bpb.de: Big Data (Aus Politik und Zeitgeschichte)
- External Link Watch your web: Big Data – Das große Datensammeln
- External Link bpb.de: Predictive Policing: Dem Verbrechen der Zukunft auf der Spur
- External Link Informationen zu den barrierefreien Kinofassungen
- External Link Pre-Crime in der bpb-Mediathek
- External Link Vision Kino: FilmTipp