Kategorie: Interview
"Anime-Filme bearbeiten auch harte Themen"
Ein Gespräch mit Ralf Vollbrecht, Professor für Medienpädagogik an der Technischen Universität Dresden.
Ein Gespräch mit Ralf Vollbrecht, Professor für Medienpädagogik an der Technischen Universität Dresden, über den Anreiz von Animes für Kinder und Jugendliche und ihre Bedeutung für die Bildungsarbeit.
Zum Inhalt: AnimeAnimes und Mangas sind verhältnismäßig junge Genres auf dem deutschen Zeichentrick- und Comicmarkt. Trotzdem sprechen sie Kinder und Jugendliche häufig stärker an als US-amerikanische oder europäische Produktionen. Warum ist das so?
Jüngeren Kindern gefallen besonders die Langsamkeit der Erzählung und die Niedlichkeit der Figuren, also deren übergroße Augen und ausgeprägte Gesichtsmimik. Niedlich sind Disney-Filme zwar auch – zumal die Zeichentrickproduktionen in Japan und den USA voneinander lernen –, aber Disney transportiert eine Moral, die Problematisches ausblendet. Zum Inhalt: AnimeAnime-Filme bearbeiten auch harte Themen, mit denen sich schon Kinder beschäftigen – zum Beispiel Tod. Hauptfiguren können durchaus sterben. Jugendliche hingegen finden Zum Inhalt: AnimeAnimes und Mangas spannend, weil sie körpernah erzählt sind, sprich viele Bewegungen und Körperdarstellungen enthalten. Sie sind sexualisierter als europäische oder amerikanische Produktionen, in denen Figuren meist wenig realistisch sind oder nur aus asexuellen Köpfen, so genannten "talking heads", bestehen. In der Pubertät sind die Veränderungen des Körpers allerdings eine wichtige Erfahrung.
Welches Kindheitsbild entwirft Hayao Miyazaki in seinen Filmen?
Miyazaki traut Kindern etwas zu. Seine Figuren kommen immer wieder in Situationen, in denen sie sich bewähren müssen. Sie werden allein gelassen, haben Angst oder trauen sich bestimmte Dinge nicht zu. Aber dann lernen sie, damit fertig zu werden, finden neue Freunde und wachsen daran. Dadurch schafft Miyazaki starke Identifikationsfiguren. Außerdem greift er kindliche Fantasien auf, die sich in übernatürlichen Bildern und Geschehnissen äußern.
Durch Fernsehserien, die weniger auf Qualität bedacht sind, sondern auf schnelle Verwertbarkeit und den hohen Absatz von Merchandising-Artikeln, gibt es viele Vorbehalte gegen Zum Inhalt: AnimeAnimes. Inwiefern unterscheiden sich Kino- Zum Inhalt: AnimeAnimes davon?
Kinoproduktionen sind sowohl technisch als auch inhaltlich anspruchsvoller. Technisch kann man das sehr einfach zeigen: Eine Folge einer Fernsehserie besteht ungefähr aus 20.000 Cells, also 20.000 Einzelbildern, wobei Key Cells – Schlüsselbilder – vielfach verwendet werden. Ein Kinofilm in hoher Qualität schafft leicht 200.000 bis 300.000 Einzelbilder. Die inhaltliche Qualität macht sich natürlich an ganz anderen Dingen fest. In Miyazakis Filmen etwa merkt man, dass er viel von Kindern versteht und davon, wie sie Filme wahrnehmen. Das ist bei den Fernsehproduktionen im Nachmittagsprogramm oft nicht der Fall. Aber es gibt Ausnahmen: "Sailor Moon" ist ein Beispiel für eine qualitativ ansprechende Serie, die viele Bedürfnisse von Mädchen aufgreift.
Wie erklären Sie, dass sich laut einiger Umfragen vor allem Mädchen für Zum Inhalt: AnimeAnimes und Mangas interessieren?
Möglicherweise weil sie mehr von ihren Themen bekommen. Jungs-Themen wie Kraft, Stärke und Durchsetzungsvermögen werden auf vielerlei Weise von anderen Medien bedient. Freundschafts- und Liebesgeschichten wie sie speziell in Mangas und Animes erzählt werden und Anschlusstätigkeiten wie Malen, Zeichnen und Kostümieren sprechen Mädchen besonders an. Charakterlich starke Mädchen- und Frauenfiguren gab es vorher im Comic kaum. Interessant ist, dass sich der hiesige Comicmarkt dadurch völlig gedreht hat. Zuvor zu 90 Prozent auf eine männliche Zielgruppe ausgerichtet, bestimmen Mangas heute zu zwei Dritteln den Markt. Andere Comics laufen nicht mehr so gut. Etablierte amerikanische Verlage wie Marvel adaptieren inzwischen sogar den Mangastil.
Inwiefern sind Zum Inhalt: AnimeAnimes und Mangas für die Bildungsarbeit von Interesse?
Neben thematischen Anknüpfungspunkten bieten sie sich an, um Symbole verstehen zu lernen. Es gibt viele Symbole, die Kinder nicht unbedingt entschlüsseln können, aber in denen sie intuitiv eigene Probleme oder Entwicklungsschritte wiederfinden. Und natürlich sollten gute Filme generell einen Platz in der Bildungsarbeit haben. Unsere Kultur ist schließlich bildorientiert und Filme sind ein wesentlicher Bestandteil. Wie Schreiben und Lesen muss man auch Filme verstehen lernen. Meiner Meinung nach muss man bei dem ansetzen, was Kinder und Jugendliche tatsächlich gucken – zum Beispiel Zum Inhalt: AnimeAnimes. Man muss ihnen zeigen, warum der eine Film qualitätsvoller als der andere ist: Wie sind Filme gemacht? Welche Tiefe haben Handlung und Figuren? Welche Konflikte tauchen auf und wie werden sie gelöst? Miyazakis Filme bieten sich hierfür an, weil seine Geschichten mehr Tiefe haben als die meisten Anime-Serien. Wenn man sie miteinander vergleicht, dann bekommt man ein Gefühl für Qualität. Und darum geht es in der Bildungsarbeit.
Auf Eltern und Lehrkräfte, die nicht mit Zum Inhalt: AnimeAnimes und Mangas groß geworden sind, wirkt das Genre oft befremdlich. Wie könnte man sie daran heranführen?
Erwachsenen sollte man einen Film empfehlen, der nicht nur Kinder anspricht. Sie kennen oft nur Splitter von Zum Inhalt: AnimeAnimes aus dem Fernsehen und haben dann Vorurteile. Gegen Vorurteile helfen nur positive Erfahrungen. Wenn sie zum Beispiel einen Film von Miyazaki sehen würden, dann würden sie merken, wie vielschichtig Zum Inhalt: AnimeAnimes sein können.