Ein Foto als Ausgangspunkt

Ein Foto, drei Männer. Anwälte sind sie, vertraut miteinander, das kann man sehen. Gemeinsam kämpfen sie für eine anderen Staat. Die Bundesrepublik Deutschland sehen sie als Unterdrücker politischer Freiheit. Wir schreiben das Jahr 1973: Die Rechtsanwälte Otto Schily und Hans-Christian Ströbele verteidigen in Berlin ihren Kollegen Horst Mahler, der wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt ist. Nie wieder, so scheint es im Nachhinein, werden sie sich – räumlich wie gedanklich – so nah sein wie in diesem Moment.

Zeitgeschichten

Hans-Christian Ströbele

RealFiction Filmverleih

"Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte" forscht den Geschichten hinter diesem Foto, dem Verlauf der Biografien nach – und erzählt damit Zeitgeschichte. Denn mehr als drei Jahrzehnte später ist aus dem einen Protagonisten ein ehemaliger SPD-Innenminister geworden, der für seine restriktive Sicherheitspolitik gefürchtet war, aus dem Anderen einer der bekanntesten Politiker der Grünen und aus dem Letzten ein Neo-Nazi, der den Holocaust leugnet und wegen Volksverhetzung im Gefängnis sitzt. Drei Männer, drei Karrieren, wie sie unterschiedlicher kaum hätten verlaufen können. Drei Leben, die die jüngere Geschichte der Bundesrepublik Deutschland widerspiegeln.

Drei Leben

Schily, Ströbele und Mahler begegnen sich Ende der 1960er-Jahre in Berlin. Was die Anwälte damals eint, ist ihr Engagement im Umfeld der Außerparlamentarischen Opposition (APO). Sie schlagen sich auf die Seite der protestierenden Studenten/innen und vertreten Oppositionelle in Gerichtsprozessen: Rainer Langhans oder Fritz Teufel aus der Kommune 1, Gudrun Ensslin und Andreas Baader, schon bevor sie die Rote Armee Fraktion (RAF) gründeten. Auch bei der Gerichtsverhandlung gegen die Terrorgruppe in Stuttgart-Stammheim, die Reinhard Hauff in seinem Film "Stammheim" (Deutschland 1985) rekonstruiert hat, stehen Schily und Ströbele - letzterer wurde jedoch vor Prozessbeginn ausgeschlossen - der RAF als Verteidiger zur Seite.

Getrennte Wege

Horst Mahler

RealFiction Filmverleih

Spätestens mit der linksextremen Radikalisierung von Mahler, einem der Gründer der RAF, driften ihre Biografien auseinander. Birgit Schulz zeichnet in "Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte" die weiteren Lebenswege der drei Männer bis in die Gegenwart nach und damit auch, zumindest für Ströbele und Schily, den "Marsch durch die Institutionen". Die streng chronologische Erzählweise setzt jedoch, was die politische Einordnung der Protagonisten betrifft, einiges an historischem Vorwissen voraus. Die Hintergründe der Prozesse, in denen die drei Protagonisten aktiv sind, bleiben bisweilen im Dunklen und erst gegen Ende des Films erfährt man überhaupt von Mahlers Wandlung zum Rechtsextremisten.

Im Zeugenstand

Doch grundsätzlich bringt Birgit Schulz die Geschichte des Trios in ihrem Zum Inhalt: Dokumentarfilm lebendig auf die Leinwand, indem sie den Selbstauskünften der Anwälte geschickt Archivmaterial gegenüber stellt. Dabei sind viele der alten Aufnahmen bekannt, etwa aus TV-Dokumentationen oder Filmen wie (Andres Veiel, Deutschland 2001) oder "Starbuck Holger Meins" (Gerd Conradt, Deutschland 2001). Aber die Filmemacherin montiert (Glossar: Zum Inhalt: Montage) sie mit unbekanntem Material und der vorwärts treibenden Musik des Electronica-Projekts Pluramon (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) zu einem Sog aus Bildern, der dem Zuschauenden eine vergangene Zeit vor Augen führt. Den roten Faden bilden dabei die Interviewszenen mit den Anwälten, bei denen die Filmemacherin jedoch nicht als Fragende in Erscheinung tritt. Aufgenommen in einem neutral wirkenden Gerichtssaal erzwingen die Bilder geradezu eine Konzentration auf die Aussagen der Protagonisten.

Selbstauskünfte

Otto Schily

RealFiction Filmverleih

Birgit Schulz versucht in diesen Gesprächen den unterschiedlichen Wandlungen der drei Protagonisten, wobei Mahlers Entwicklung ohne Frage als radikalste hervorsticht, auf den Grund zu gehen. Doch die drei sind erprobt im Umgang mit Medien. Sie geben zwar auch intimere Einblicke, etwa zur prägenden Rolle ihrer Mütter, zu vielem aber verweigern sie schlicht die Aussage oder lavieren rhetorisch geschickt. So vermag Schily keinen Verrat an den eigenen Werten von einst feststellen. "Nur Idioten ändern sich nicht", stellt er lakonisch fest. Birgit Schulz wählt den einzigen Weg, der ihr bleibt: Sie verzichtet auf Zeugnisse von Weggefährten/innen und Zeitgenossen/innen, stützt sich aber gleichwohl nicht nur auf die Aussagen ihrer Gesprächspartner, sondern bringt biografische Details, Ausschnitte aus Reden und alten Interviews in Stellung, um die Psychologie ihrer Protagonisten zu ergründen.

Offene Fragen

So bleiben die Motive, die zum Wandel von oder auch zum Festhalten an politischen Überzeugungen führen, letztendlich im Ungefähren. Gleiches gilt für die psychologischen Aspekte der politischen Macht: Denn wie schmerzhaft es für die drei ehemals Verbündeten gewesen sein muss, als Politik und Freundschaft sich immer mehr voneinander entfernten, wie die Macht den Menschen verändert, wird im Film nur angedeutet. Dennoch ist "Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte " eine erste gelungene Annäherung an einen ganzen Komplex spannender Fragen, die diese drei miteinander verwobenen Biografien aufwerfen.

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