Kategorie: Podcast
"Individualismus war im Osten etwas Politisches"
Aelrun Goette erzählt im Interview, warum es ihr wichtig war, einen Film über die Modeszene in der DDR zu machen, welche Bedeutung die Mode der Subkultur hatte und wie sie persönliche Erfahrungen und fiktionale Elemente im Film miteinander verbunden hat.
Aelrun Goette, 1966 in Ostberlin geboren, musste nach der 10. Klasse die Schule verlassen. Sie wurde Krankenschwester und arbeitete als Mannequin für den VHB Exquisit und das Modejournal Sibylle. Nach dem Mauerfall holte sie ihr Abitur nach und studierte Zum Inhalt: Regie an der Filmuniversität Babelsberg. Für ihre Dokumentar- und Zum Inhalt: Spielfilme hat die Regisseurin und Zum Inhalt: Drehbuchautorin zahlreiche Preise gewonnen, etwa 2004 den Deutschen Filmpreis für den Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Die Kinder sind tot" . Aelrun Goette arbeitet zudem regelmäßig für das Fernsehen. Ihr aktueller Kinofilm Zum Filmarchiv: "In einem Land, das es nicht mehr gibt" spielt in der DDR-Modeszene und basiert auf eigenen Erlebnissen.
Unter dem Podcast finden Sie das Gespräch auch in schriftlicher Form. Der Text weicht von der Hörfassung leicht ab.
kinofenster.de: In dem Film "In einem Land, das es nicht mehr gibt" erzählt die Regisseurin Aelrun Goette von Suzie, einem jungen Mädchen, dass 1989 in Ostberlin kurz vor dem Abitur von der Schule fliegt und danach in einer Fabrik arbeiten muss. Durch einen Zufall wird sie Mannequin und taucht in die Ostberliner Mode-Subkultur ein. Anna Wollner hat mit Aelrun Goette über den Film gesprochen. – Was hat Sie zur Geschichte inspiriert?
Aelrun Goette: Mein eigenes Leben und mein Hineinwachsen in die Bundesrepublik, und letztendlich natürlich auch die Schablone, die sich im Laufe der Jahre auf die DDR gelegt hat. Die Literatur versucht schon seit längerer Zeit, diesem Bild, das wir heute von der DDR haben, Dinge hinzuzufügen. Ich habe einmal – das fand ich sehr spannend – eine junge Bonner Historikerin gehört, die sagte, dass die DDR bis heute historisch nicht aufgearbeitet worden sei, sondern im Wesentlichen politisch oder ideologisch. Viele Kollegen, wie gesagt Schriftsteller, auch Fotografen und Fotografinnen, Filmemacher, Filmemacherinnen, sind schon seit geraumer Zeit dabei, dem etwas Neues hinzuzufügen. Und jetzt ist die Zeit, in der sich Menschen aus dem Westen dafür interessieren, was es denn da alles noch gab, und in der die Sehnsucht der Menschen aus dem Osten wächst, dass auch jenseits von Staatsterror ihre Vergangenheit betrachtet wird.
kinofenster.de: Wie nehmen Sie Kinogeschichte über die DDR wahr? Und was war Ihnen in Ihrem eigenen Erzählansatz wichtig, um mit diesen sicherlich in vielen Köpfen verankerten Schablonen zu brechen?
Aelrun Goette: Wir haben, was den Osten betrifft, eine Tradition von großartigen Kolleginnen und Kollegen. Ich nenne nur Andreas Dresen oder auch Andreas Kleinert, viele andere auch, die sich sehr verdient gemacht haben, was die Perspektive auf den Osten betrifft. Natürlich habe ich mich mit all diesen Filmen vorab auseinandergesetzt und habe gedacht, was ist das, was wir dem eigentlich noch hinzufügen können? Was mir dabei stark am Herzen lag, war etwas über diese Freiheit, die Frechheit und die Aufmüpfigkeit der Menschen zu erzählen, was in so einer Nische auch wachsen kann. Die DDR, wie viele Diktaturen, war auch eine Nischengesellschaft. Man muss dazu sagen, dass die DDR auch unterschiedliche Gesichter hatte, abhängig davon, welche Zeit wir beschreiben. In den 50er- und 60er-Jahren hatte dieses Land sicherlich ein vollkommen anderes Gesicht als Ende der 80er-Jahre, wo vieles schon auseinanderbrach. Im Laufe der Entwicklung habe ich gemerkt, dass das Spannende ist – und das ist das, was ich in dem Film versuche – sachlich, konkret und nah an der Welt eine Geschichte auch über unsere heutige Zeit zu erzählen, indem ich die Frage stelle, welchen Preis wir bereit sind zu zahlen für das Leben, das wir leben wollen. Das Spannende ist, dass Ende der 80er-Jahre das schon alles sehr brüchig war, viel auseinanderfiel, die Strukturen aufgeweicht waren. Das schlägt natürlich eine Brücke ins Heute, weil wir uns auch heute mit starken Veränderungen konfrontiert sehen und neu nach unserem Platz und unseren Visionen und Utopien suchen müssen.
kinofenster.de: Sie waren selbst Mannequin in der DDR. Welche Erfahrungen haben Sie aus der Zeit in die Geschichte mit einfließen lassen?
Aelrun Goette: Der Film basiert auf meinem Leben und auf meinen Erfahrungen. Das heißt, es ist nicht alles meine Geschichte, aber vieles von dem, was ich erlebt habe. Natürlich ist es fiktional zugespitzt. Aber diese gesamte Detailgenauigkeit stimmt. Das beginnt damit, dass ich ähnlich wie meine Hauptfigur aus dem Bahnhof Grünau kam und die Polizei mich wegen des Aufnähers "Schwerter zu Pflugscharen" verhaftet hat. Ich musste mich damals in einen Lada, keinen Barkas, setzen und meine Personalien wurden aufgenommen. Auch ich musste einen Beruf erlernen, den ich nicht wollte, und ich konnte kein Abitur in der DDR machen. Und auch ich wurde auf der Straße entdeckt. Vieles von dem, was meine Hauptfigur erlebt, ist aus meinem Leben, aber auch vieles, was die anderen Figuren erleben. Also, ich bin jede einzelne Figur, ich bin auch die kleine Schwester. Ich bin ebenso die Figur der Elsa, wie auch die Figur der Männer. Auch die sind zusammengesetzt aus vielen Begegnungen in meinem Leben. Das Wesentliche für uns alle, die an diesem Film gearbeitet haben, war, dass wir uns sehr, sehr nah an der Wirklichkeit orientieren. Das heißt, auch die ganze Kleidung, die Klamotten, die Mode ist nah an dem erzählt worden, was damals in den 80er-Jahren im Osten in die Exquisit-Geschäfte kam. Dadurch konnte ich mich cineastisch ein bisschen "bigger than life" bewegen. Natürlich, und das muss man ganz klar sagen, haben wir einen Kinofilm gemacht mit dem ehrenwerten Anspruch der Unterhaltung.
kinofenster.de: Neben ihrer eigenen Biografie tauchen auch andere Personen des realen Lebens auf. Der von Sabin Tambrea gespielte Rudi zum Beispiel ist angelehnt an die DDR-Stilikone Frank Schäfer. Wie wollten Sie mit Personen des realen Lebens in der Fiktionalisierung umgehen?
Aelrun Goette: Das war natürlich eine große Herausforderung. Deshalb haben wir uns beispielsweise mit Frank Schäfer, der, wie Sie vollkommen richtig sagen, nachvollziehbar und wiedererkennbar ist, von Anfang an zusammengetan. Der kennt die Entwicklung der Geschichte, ist auch sehr nah an unserem Projekt und wir arbeiten eng und sehr positiv mit ihm zusammen. Auch Ute Mahler hat Fotos für den Film gemacht. Fotos von ihr sind im Film zu sehen. Das ist natürlich eine große Aufgabe, der ich mir von Anfang an bewusst war, weil ich über eine Zeit erzähle, die bisher so noch keine Plattform bekommen hat. Und Menschen, die in dieser Zeit gelebt haben, wollen einerseits, dass endlich einmal die Welt, die bisher immer im Schatten war, ans Licht kommt und sie auch mit ihrer Individualität vorkommen. Gleichzeitig musste ich sehr vorsichtig sein, um mich nicht zu nah an den Figuren zu bewegen, weil das sicherlich Empfindlichkeiten treffen kann, auf die ich gar nicht vorbereitet bin.
kinofenster.de: Wie wichtig war Mode als Ausdruck von Freiheit oder als Protest in der DDR?
Aelrun Goette: In dieser Welt, in der dieser Film spielt, war das die zentrale Ausdrucksform von Individualismus. Und Individualismus war im Osten etwas Politisches, weil man sich dadurch ganz klar gegen das Kollektiv gestellt und gesagt hat: "Ich bin es, es geht um mich, es geht um mein Sein, meine Andersartigkeit." Damit war man automatisch politisch.
kinofenster.de: Was können vor allem junge Zuschauer/-innen aus dem Film mitnehmen?
Aelrun Goette: Ich wünsche mir, dass der Film sie dazu inspiriert, dass ihr Leben auch verrückt und wild und ziellos sein kann. Dass es gut ist, wenn man jung ist, dass man nicht unbedingt weiß, was morgen ist. Dass das trotzdem eine kreative und wichtige Zeit sein kann. Ich wünsche mir, dass die jungen Menschen den Mut und die Stärke in sich spüren, fördern und entwickeln, zu dem zu stehen, was sie sind. Auch wenn ihre Peergroup oder ihre Echokammer das nicht gutheißt. Und, dass Freiheit ein Weg ist, den man sich immer wieder neu erobern kann und darf und vielleicht auch muss. Und dass das trotz aller Widerstände zu einem tollen Leben führen kann.
kinofenster.de: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Aelrun Goette: Ich danke Ihnen.