Kategorie: Film
"Oeconomia"
Wie hängen Vermögen, Wachstum und Verschuldung zusammen? In ihrem Dokumentarfilm "Oeconomia" geht Carmen Losmann dieser Frage nach.
Unterrichtsfächer
Thema
Einmal reich werden auf Kosten der anderen: Dieses Prinzip hat Monopoly populär und zum Kapitalismus-Spiel schlechthin gemacht. Die Erfinderin Elizabeth Magie Phillips – ihre ursprüngliche Version hieß The Landlord's Game (1904) – hatte ideologisch allerdings etwas anderes im Sinn. Neben dem heute bekannten Spielmodell entwarf sie eine Variante, in der die Spielenden das durch Grundstücke erzielte Vermögen kollektiv aufteilen. Phillips wollte die sozialökonomische Theorie von Henry George spielerisch vermitteln – und vor den Folgen ungleicher Besitzverhältnisse warnen. Ironie der Geschichte: Dieser Aspekt von Monopoly hat sich auf dem Markt nicht durchgesetzt. Im Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Oeconomia" dient dieses Spiel der Regisseurin Carmen Losmann als Leitmotiv, um die Rolle des Geldes im Kapitalismus und populäre Irrtümer darüber zu beleuchten.
Ein Zoom auf den modernen Kapitalismus
Die Form des Filmes wird durch eine selbstreflexive und didaktische Erzählebene bestimmt, die das komplexe Thema für Zuschauende veranschaulicht. So führt Carmen Losmann gleich zu Beginn eine Art digitale Mindmap als strukturierendes Element ein, das sie im weiteren Verlauf immer wieder aufgreift, um Zusammenhänge zu erklären: Auf der Leinwand erscheint der Desktop-Bildschirm eines Computers. Per Klick wird ein Grafikprogramm mit dem Entwurf eines volkswirtschaftlichen Schaubilds geöffnet; ein Zum Inhalt: Zoom-In mit dem Cursor symbolisiert die Suchrichtung des Films, die Vertiefung makroökonomischer Fragen. Als Zum Inhalt: Voiceover formuliert die Regisseurin den Ausgangspunkt ihrer Recherche. Seit Jahrzehnten zeigten Statistiken zugleich ökonomisches Wachstum, mehr Schulden und größere soziale Ungleichheit: "Gibt es einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftsleistung, Verschuldung und privaten Vermögen? Worin bestehen die Spielregeln dieses Systems?"
Um diese Fragen zu diskutieren, inszeniert Losmann ein spezielles Setting, das eine weitere Ebene des Films bildet. Es zeigt eine Gruppe von Ökonomie-Expert/-innen, die in einer Fußgängerzone an einem runden Tisch über das Wirtschaftssystem ins Gespräch kommen. Sie spielen ein realistischeres Monopoly – eine überarbeitete Version, die der Frankfurter Arbeitskreis Wirtschaft um die Publizistin Samirah Kenawi entwickelt hat. Anders als im Original setzen die Spielenden hier keine angesparten Geldscheine für den Häuserkauf ein, sondern nehmen Kredite auf: Denn in der Realität entsteht Geld - als benötigtes Investitionsmittel für ökonomisches Wachstum - tatsächlich meist dann, wenn jemand Schulden bei der Bank macht. Gleichzeitig ist Wachstum jedoch auch Grundbedingung für die Geldschöpfung. Diesen für die Volkswirtschaft so elementaren wie paradoxen Prozess, hält Losmann anschließend in einem ihrer Computerschaubilder fest: "Die Wirtschaft wächst, wenn Kredite vergeben werden. Kredite werden vergeben, wenn die Wirtschaft wächst."
Geldmenge und Verschuldung wachsen im Gleichschritt
Dass Losmann für "Oeconomia" einen immensen Rechercheaufwand betrieben hat – die Arbeit am Film begann 2012 – zeigt sich in den Interviews (Glossar: Zum Inhalt: Talking Heads), die sie mit Bankern oder Managern in den Zentralen der Konzerne und Institutionen führt. Ihre grundsätzlichen, nur scheinbar naiven Fragen aus dem Zum Inhalt: Off überraschen die Wirtschaftsprofis, etwa wenn der ehemalige Chefökonom der Europäischen Zentralbank, Peter Praet, erklären soll, wie die EZB die Geldmenge in der Eurozone beeinflusst. "Wir haben die große Macht, Geld selbst zu erzeugen", sagt Praet, und beschreibt den elektronischen Vorgang als Metapher. "Stellen Sie sich vor, ich sitze in meinem Büro und drucke Geldscheine." Um Wachstum zu fördern, steigt die Geldmenge – auch aufgrund der EZB-Politik – seit Jahrzehnten an. Im Gleichschritt wächst die Verschuldung von Staats- und Privathaushalten.
Die Erkenntnisse aus den Gesprächen sind per se nicht neu, aber in der argumentativen Struktur des Films vermitteln sie etwas Wesentliches: Der Kapitalismus mag ein komplexes System sein, getragen aber wird er durch menschliche Entscheidungen. Die Fragilität einer durch private Bankkredite finanzierten Volkswirtschaft ist den politischen und ökonomischen Verantwortlichen spätestens seit dem Schock der Finanzkrise von 2008/2009 bewusst. Bleibe Wachstum aus, sagt etwa der Investmentbanker Andrew Bosomworth an einer Stelle, sei die Verschuldung vieler Länder schlichtweg zu groß. Wenn man sich den Wirtschaftszyklus als Fußballspiel denke, dann sei man wieder deutlich in der zweiten Halbzeit – die nächste Krise wäre demnach bereits absehbar.
Eine doppelte Krise ist vorprogrammiert
Bei der argumentativen Klarheit des Films wäre es eigentlich nicht nötig gewesen, noch den Eindruck investigativer Enthüllungen zu erwecken. So hört man in nachgestellten Telefongesprächen manchmal anonyme Insider aus der Finanzbranche, die recht undifferenzierte Behauptungen aufstellen – über die Macht der Konzerne und die Ohnmacht der Staaten. Ein gewisser suggestiver Anschein einer abgeschlossenen Machtsphäre steckt auch in den Bildern, wenn die Kamera in sorgfältig komponierten Zum Inhalt: Einstellungen die sterile Architektur der Wolkenkratzer vermisst: Glasfassaden, Spiegelfenster, Werbetafeln. Beiläufig rücken immer wieder Service-Angestellte oder Reinigungskräfte in den Blick, die auch an diesen Orten verkehren.
"Oeconomia" formuliert als fundamentale Kritik, dass im Streben nach kontinuierlichem Wachstum gleich zwei Krisen vorprogrammiert sind: eine ökonomische und eine ökologische. Argumente für diese Position liefert nicht zuletzt die systemkritische Gruppe aus Frankfurt, die der Film im Kontrast zu den Interviews als offenen Tisch der Ideen inszeniert. "Wenn wir eine ökologische Wirtschaft wollen", sagt Kenawi etwa, "sollte der Konsum tendenziell sinken; aber ein Sinken des Konsums würde im heutigen System zur Krise führen." Einen konkreten Reformvorschlag macht "Oeconomia" nicht, aber sein Schluss lässt sich als nachdrücklicher Appell verstehen: Recherchiert nach Alternativen!