"Ich wünsche mir, dass zu meinem Konzert auch so viele Menschen kommen. Dass sie mir auch so zujubeln", erzählt die 18-jährige Sonita, während sie ein Foto einer tobenden Konzertmenge aus einer Zeitschrift ausschneidet, um es in ihr Notizbuch zu kleben. Die junge Afghanin möchte Rap-Musikerin werden. Als Achtjährige floh Sonita mit ihrer Familie vor den Taliban aus Afghanistan. Seitdem lebt sie mit ihrer Schwester und Nichte im Iran in ärmlichen Verhältnissen und ohne Papiere als illegale Migrantin. Ihre Mutter und Brüder wohnen wieder in ihrem afghanischen Heimatort Herat. Während Sonita im fernen Teheran von einem selbstbestimmten Leben träumt, plant ihre Familie, sie für 9.000 Dollar als Ehefrau an einen fremden Mann zu verkaufen. Der Preis für das junge Mädchen soll die Braut ihres heiratswilligen Bruders finanzieren. Sonita aber wehrt sich. Sie will nicht zurück, sondern im Iran umgeben von Frauen, die sie unterstützen, bleiben, um weiter an ihrer Karriere als Rapperin zu arbeiten.

Rappen als Rebellion

Ihre traumatischen Fluchterlebnisse verarbeitet Sonita mit anderen Kindern und Jugendlichen in einer sozialen Einrichtung. Viele Mädchen, die sie dort trifft, sollen ebenfalls verheiratet werden. Sie sind nicht glücklich über ihr Schicksal, aber keine von ihnen zeigt sich so rebellisch und willensstark wie Sonita. "Genau das würde ich gerne meinem Vater sagen", erzählt ihr eine Freundin, als Sonita einen Auszug ihres Texts "Brides for Sale" vorträgt. "Wir verkaufen unsere Tochter, davon leben wir" ist einer der Sätze aus dem Song, in dem Sonita der afghanischen Gesellschaft vorwirft, Mädchen als Ware zu behandeln.

Sonita, Trailer (© Real Fiction)

Dem Rap schreibt sie eine bedeutende Rolle zu und kehrt damit zu seinem Ursprung zurück – einer subversiven Gegenkultur, die in musikalischer Form einer unterdrückten Minderheit eine Stimme verleiht. Allerdings ist Sonita als Frau das öffentliche Singen verboten, denn Solo-Konzerte von Sängerinnen vor gemischtem oder männlichem Publikum gelten in der iranischen Gesellschaft offiziell als schamlos. Sonita aber will trotzdem weitermachen. In ihren Liedtexten verarbeitet sie ihr drohendes Schicksal einer arrangierten Ehe. Ihr Gesang klingt wütend, manchmal sogar aggressiv. In ihrem Musikvideo trägt sie ein Brautkleid, doch ihr Gesicht sieht aus, als wäre sie gerade verprügelt worden. Der Hintergrund besteht aus einer schwarzen Wand.

Kampf gegen Traditionen und Herrschaftsverhältnisse

Sonita stellt Herrschaftsverhältnisse infrage: nicht nur das Patriarchat, auch die Nationalität, die ihr, der geflohenen Afghanin ohne Ausweis, zugeschrieben wird. In einem Projekt soll sie einen "Reisepass" herstellen und gibt sich als Sonita Jackson und damit als fiktive Tochter des verstorbenen Popstars Michael Jackson aus. Auch kritisiert sie das Verhalten ihrer Mutter, die an der Tradition der Zwangsheirat festhält, anstatt sich für die Belange ihrer Tochter einzusetzen. Die Apathie der Mutter gegenüber Sonitas Träumen und Wünschen schürt den Generationskonflikt. Anders als ihre Tochter hat sie die patriarchalischen Verhältnisse und Mechanismen vollkommen verinnerlicht. In Sonitas Argumentation für ihre Selbstbestimmung zeigt sich deutlich, dass sie eine kämpferische Jugendliche ist, die nichts mehr will als ihre Freiheit.

Sonita, Szene (© Real Fiction)

Von der Beobachterin zur Akteurin

Regisseurin Rokhsareh Ghaem Maghami selbst verlässt während der Dreharbeiten zunehmend ihre Rolle als beobachtende Zum Inhalt: Dokumentarfilmerin und wird zu Sonitas Komplizin. Bereits in der Kameraführung wird ihre besondere Nähe und Fürsorge für die junge Künstlerin deutlich. Dabei wirkt Ghaem Maghamis Blick oft ebenbürtig. Sitzen Sonita und ihre Schwester auf dem Boden, tut es die Kamera auch. Einzige Ausnahme ist die Verhandlung von Sonitas Verkauf. Dann spricht das Mädchen aus der Zum Inhalt: Froschperspektive und schaut zur Filmemacherin hinauf: "Kaufe mich frei", bittet sie, denn der Druck der Familie wird immer stärker.
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Diese Nähe zu der Porträtierten stellt die Filmemacherin vor eine besondere Herausforderung, denn sie wird selbst zu einer entscheidungstreffenden Protagonistin. Sie möchte Sonita helfen, aber gleichzeitig nicht in ihr Leben eingreifen. Schließlich bestehe ihre Rolle darin, "die Realität zu filmen" und nicht, diese zu beeinflussen. Vor laufender Kamera wird sie von ihrer Filmcrew ermahnt, Sonitas Biografie nicht zu manipulieren. Als die Mitarbeiterinnen der sozialen Einrichtung aber nicht genügend Geld an Sonitas Mutter zahlen können, um sie freizukaufen, muss Ghaem Maghami eine Entscheidung treffen. Sollte Sonita verheiratet werden, ist ihr Filmprojekt genauso beendet wie der Traum des Mädchens von einer Musikkarriere. Das Verhältnis zwischen Filmemacherin und Protagonistin verändert sich, da die Regisseurin ihre Position hinter der Kamera verlässt und von der Beobachterin zur Akteurin wird. Schließlich geht es um das Schicksal eines jungen Menschen, für das die Regisseurin letztendlich mit Konventionen des Dokumentarfilms bricht.

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