Kategorie: Videointerview
Dieter Schumann über "flüstern & SCHREIEN" (1988)
Der Film "Flüstern & Schreien" dokumentiert die alternative DDR-Musikszene Ende der 1980er-Jahre. Regisseur Dieter Schumann über die "fröhliche Opposition" jener Zeit vor der Kamera einer staatlichen Filmproduktion.
Dieter Schumann wird 1953 im mecklenburgischen Ludwigslust geboren. Im Alter von 17 Jahren wird er Matrose und studiert später Zum Inhalt: Regie an der Babelsberger Filmhochschule. Nach seinem Abschluss (1983) wird er Regisseur beim DEFA Studio für Dokumentarfilme. Dort dreht er 1987 Zum Filmarchiv: "flüstern & SCHREIEN" über die unabhängige Musikszene der DDR. Der Zum Inhalt: Dokumentarfilm beschreibt das Lebensgefühl junger Leute kurz vor dem Mauerfall. Seit 1990 arbeitet er als Regisseur fürs Kino und Fernsehen.
Unter dem Videointerview finden Sie das Gespräch auch in schriftlicher Form. Der Text weicht von der Hörfassung leicht ab.
Das Interview mit Dieter Schumann führte Raphael Jung für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
Wie konnte FLÜSTERN & SCHREIEN entstehen?
Dieter Schumann: Was in den öffentlichen Medien, auch im Fernsehen, für eine Widerspiegelung stattfand, hatte mit der Realität und mit dem Lebensgefühl junger Menschen nichts mehr zu tun. Aber das spürten natürlich auch entscheidende Funktionäre, die auch noch jünger waren und die gesagt haben: "Wenn das so weitergeht, dann haben wir alle keine Zukunft mehr", die also auch bereit waren, etwas zu riskieren, und dann zum Beispiel entstand der Film von Helke Misselwitz Zum Filmarchiv: "Winter Adé". Diese beiden Filme sind zeitgleich so entschieden worden, genau aus dieser Intention einer bestimmten Schicht von Kultur-Verantwortlichen und Funktionären, dass sie gesagt haben: "Wir wollen und wir müssen hier auch eine Öffnung betreiben, damit uns dieses Land und die Menschen nicht verloren gehen".
Es war so eine fröhliche Opposition. Man durfte nicht zu frech sein, man durfte nicht militant sein, man durfte nicht ideologisch daherkommen: Dann griff der Staat sehr durch. Aber die Musik hatte immer das Verschlüsselte, das Immer-mit-Andeutungen-zu-Arbeiten und mit dieser Fröhlichkeit. Dann fiel es den Leuten des Apparats schwer zu sagen: "Das ist alles Scheiße" und "Das ist böse". Diese Fröhlichkeit, auch gerade bei Feeling B, hat sie geschützt.
Da ist ein Bedürfnis artikuliert, Widerstand zu leisten oder sich zu spüren, auf der anderen Seite ist es aber sehr fröhlich. Wenn die lachen sieht und das ist so ein Battle, und es gibt ein schönes Schwenken, da sieht man durch die zwei Strandkörbe, da guckt einen Bürger durch. Das ist auch im Kino sehr gut. Der guckt so misstrauisch auf diese Jugendlichen, die so komisch aussehen. Eigentlich siehst man in den Blick: "Die hätten wir die noch vor zehn Jahren … das wären die noch weggefahren worden. Und jetzt machen da irgendwelche Filmemacher ein Film über die. Offensichtlichen ist das professionell, es ist vom Staat gewollt. Wo sind wir hingekommen?"
Wie waren die Reaktionen auf den Film?
Dieter Schumann: Der Studiodirektor, der durchaus auch mir und dem Projekt wohlgesonnen war, meinte "die Zum Inhalt: Szene und die Szene" – es ging um diese Bahnhofsnähe im Bahnhof Lichtenberg, wo Stachel auftritt und sagt: Hahaha, ich habe keine Arbeit und die Kumpels hier die ernähren mich!" Und das war ein heikles Thema, weil Arbeitslosigkeit gibt es nicht in der DDR. Da meinte er: "Mann, Dieter, muss das sein, wir haben schon so viel anderes, man muss das nicht auf die Spitze treiben!" Aber ich bin da hart geblieben und habe gesagt: "Nein!" Das konnte man eben, das war das Interessante und insofern, war es so, dass ich gesagt habe. "Ich mache das nicht". Dann sagte er Okay und ging einer Stufe höher zum Kulturminister, zu Pehnert. Da gab es die staatliche Abnahme. Der hat sich das angeguckt und da war er doch erschrocken. Er hatte es am Anfang gutgeheißen, das ganze Projekt, und als er dann die Realität sah und diese schrägen Gestalten, die bis dato nie in der Öffentlichkeit präsentiert wurden, schon ga nicht im Fernsehen und im Kino, dann hat er gesagt: "Oh Gott, wer soll das verantworten?"
Was macht den Film heute noch interessant?
Dieter Schumann: Die Geschichtsschreibung ist eine politische oder im bestenfalls kulturelle. Aber es ist nie eine Geschichtsschreibung des Alltags oder der Komplexität von Zeitgeist oder vom Lebensgefühl. Das wird immer reduziert. Ich glaube dieser Film zeigt sehr gut, dass das Leben, auch das von jungen Leuten, überhaupt nicht eindimensional war. Dass sie nicht nur gelitten haben und die Einschränkungen, und unbedingt in den Westen wollten sondern, dass sie in dieser Zeit geliebt, gelebt, Widerstand geleistet haben, auch sich angepasst haben und dort ein, wie soll ich das sagen, ganz differenzierte vielfältiges Jugendleben auch vorhanden war, das eben auch seinen Ausdruck in der entsprechenden Musik fand.