Helke Misselwitz wird 1947 in Zwickau geboren. Nach dem Abitur, einer Lehre als Tischlerin und einer Ausbildung als Physiotherapeutin arbeitet sie in Berlin als Moderatorin, Regieassistentin und Regisseurin beim Fernsehen der DDR. Der Sender schickt sie 1978 an die Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg zum Zum Inhalt: Regie-Studium. Danach macht sie sich als freischaffende Autorin und Regisseurin selbstständig. Mit Gelegenheitsjobs, unter anderem als Kellnerin in einer Bahnhofsgaststätte, hält sie sich finanziell über Wasser. Als Meisterschülerin von Regisseur Heiner Carow an der Akademie der Künste der DDR realisiert sie den Zum Inhalt: Dokumentarfilm Zum Filmarchiv: "Winter adé" (1988).

Unter dem Videointerview finden Sie das Gespräch auch in schriftlicher Form. Der Text weicht von der Hörfassung leicht ab.

Das Interview mit Helke Misselwitz führte Raphael Jung für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).

Helke Missewitz: "Der gesellschaftliche Fortschritt lässt sich am besten ermessen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechtes (die Hässlichen eingeschlossen)“ – Karl Marx an Kugelmann, 1868.

Wie entstand "Winter Adé" ?

Helke Misselwitz: Im Studio war es so: Studiodirektor, Gruppenleiter. Es gab keine Frauen, die Gruppenleiterin waren im DEFA-Studio für Dokumentarfilme, und meines Erachtens gab es das auch nicht im Zum Inhalt: Spielfilm. Und der Filmminister war auch ein Mann und seine Abteilungsleiter waren auch Männer. Ich merkte, dass ich in diesem Exposé Beispiele genannt habe, die ich gesammelt hatte und merkte, dass [die Männer] immer mäkelten. Es fehlt jeden irgendwie seine Traumfrau. Ich habe dann nach dem vierten oder fünften Konzept, das ich erarbeitet hatte, einfach eine Frau erfunden, die ich etwas länger beschrieben habe. Die war aber aus vielen Frauen zusammengesetzt und sie hatte Konflikte, es war nicht konfliktlos, aber sie hat sich letzten Endes wieder sanft untergeordnet.

Wie sind sie bei der Umsetzung umgegangen?

Helke Misselwitz: Es sind nicht nur die Gespräche, die intensiven Begegnungen, die verabredeten Begegnungen, auch zufällige Begegnung. Und dann gibt es diese Alltagsbeobachtungen, die erzählen, wie auch bestimmte Verhaltensweisen, Konventionen, weitergegeben werden.

Filmszene: Weibliche Stimme aus dem Off in einer Tanzschule: "Meine Damen, kommt den Männern zart entgegen! … Bitte, ihr müsst ganz charmant zu den Männern sein. Ihr sollt nur sagen: Wir wickeln die so um den kleinen Finger. … So, nun geht's ja los! Zuerst war das ja langweilig! Vor, Seit, Schluss. Vor, Seit, Schluss. Und rechts drehen. Links!"

Helke Misselwitz: Aus all dem kann man sich Rückschlüsse ziehen. Sowohl von den wirklich gelebten Erfahrungen, von denen die Frauen berichten, als auch was wir ihnen auch anbieten, was sie beobachten können, wo sich dann Zuschauerinnen und Zuschauer selber auch Gedanken machen können: "Wie lebe ich denn? Wie bin ich denn aufgewachsen? Was wurde mir denn erzählt? Was sind denn meine Vorbilder? Wie werde ich denn geschätzt?"

Was wollten Sie in "Winter Adé" zeigen?

Helke Misselwitz: Es gibt natürlich immer wieder Filme über Frauen, "Wäscherin" von Jürgen Böttcher aus Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre; natürlich die großen und schönen Filme von Volker Köpp, die ganze Reihe zu Wittstock, "Mädchen in Wittstock" . Aber wirklich über Leben zu reden, das gab es eigentlich bis dato noch nicht vor der Kamera. Was Leben so ausmacht: die Familie und Kinder und Beruf und wo man herkommt. Das Bild, das es gab in der Öffentlichkeit, also in den Zeitungen oder im Fernsehen, das war natürlich ein völlig anderes als das, was ich wahrgenommen habe oder die Erfahrung, die ich gemacht habe, die sag ich nicht widergespiegelt.

Filmszene: Eine Arbeiterin in einer Fabrik reinigt den Boden mit einem Wasserstrahl und blickt dann ernst und wortlos in die Kamera.

Wie haben die politischen Verantwortlichen auf den Film reagiert?

Helke Misselwitz: Also, die 160 Minuten waren vorbei, das Licht ging an. Der Filmminister, also Horst Pehnert stand auf: "Ich finde den Film ein bisschen zu lang, ein bisschen zu lang. Aber ich wüsste auch nicht, wo man schneiden könnte. Ich entschuldige mich dafür, keine Frau zu sein. Danke." Und ist rausgegangen.