Kategorie: Videointerview
Thomas Heise über "Stau – Jetzt geht's los" (1992)
Der Regisseur Thomas Heise erzählt, wie er Kontakt zu den rechtsextremen Protagonisten seines Films knüpfte und was das Ende der DDR für die damaligen Jugendlichen und deren Eltern bedeutete.
Thomas Heise wurde 1955 in Ost-Berlin geboren. Nach einer Druckerlehre und Regieassistenzen im DEFA-Studio für Zum Inhalt: Spielfilme studiert er an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg. Ab 1982 arbeitete er freiberuflich als Autor und Regisseur für Film, Fernsehen und Theater und war Professor für Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Einen Namen hat sich Heise unter anderem mit seiner "Neustadt-Trilogie" gemacht, zu der auch der Dokumentarfilm "Stau – Jetzt geht's los" gehört. Thomas Heise ist am 29. Mai 2024 in Berlin verstorben.
Unter dem Videointerview finden Sie das Gespräch auch in schriftlicher Form. Der Text weicht von der Hörfassung leicht ab.
Das Interview mit Thomas Heise führte Raphael Jung 2018 für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).
Thomas Heise: Wir fuhren vorbei, sahen ein Auto brennen, keine Sau kümmerte sich. Da brannte halt ein Auto, fertig, ist halt so. Okay, dann halten wir an und drehen wir das.
Wie haben Sie Kontakt zu Ihren Protagonisten aufgebaut?
Thomas Heise: Am Anfang, als ich angefangen habe mit dem Film, habe ich auch nicht gewusst, wie ich ihnen Guten Tag sagen sollte. Ich wusste nicht, wer da ist. Ich wusste nur, da ist dieses Roxy. Das ist den komischen Flachbau, den im Film sieht. Und ich bin dahingelaufen. Es war irgendwie um Weihnachten, es lag Schneematsch. Ich bin auf dem Weg dorthin im Dunkeln einer Frau begegnet. Ich habe sie überholt. Und die hat mich von hinten angequatscht und gefragt, ob ich ins Roxy gehen würde. Ich sagte, ja. "Können Sie mir da helfen?" Ich sagte: "Klar, was ist denn?" Sie sagt, ihr Sohn sei da drin und sie traue sich nicht hinein. Damit hatte ich einen wunderbaren Grund dort reinzugehen. Das war toll für mich. Da hatte ich sofort ein Motiv und konnte im Auftrag dieser Mutter handeln. Das habe ich dann auch so gemacht, ich bin dann reingegangen und habe nach dem Sohn gesucht und ihm gesagt: "Deine Mutter ist draußen, kannst du mal raus?" und so konnte ich am Tresen stehen, weil ich von anderen gesehen worden war, habe ein paar Biere getrunken und war dann wieder raus. Und dann bin ich da jeden Tag hingegangen, habe ein paar Bier getrunken, und ich habe gedacht, irgendwann quatscht mich jemand an.
Filmszene: Das Roxy im Dunkeln aus der Ferne. Man hört Gesänge "Jetzt geht's los!". Schnitt ins Innere des Roxys: Junge Leute tanzen beim Fasching Polonaise.
Thomas Heise: Wir mussten irgendwann überlegen, womit fangen wir an zu drehen? Und ich habe gesagt, wir fangen mit dem Fasching an, weil der war geplant. Alle wollen feiern, alle wollen sich verkleiden, alle wollen etwas machen und alle sind beschäftigt mit sich und wir können machen, was wir wollen. Das war ganz simpel. Wenn ich so blöd bin, das mit einem Interview anzufangen, dann habe ich natürlich verloren. Dann kann man gleich wieder aufhören.
Was bedeutet das Ende der DDR für diese Jugendlichen?
Thomas Heise: Die haben ihre Eltern scheitern sehen. Also, alle diese Jungs, die man im Film sieht, kommen alle aus geschiedenen Elternhäusern. Bis auf den einen mit dem sechs bis sieben Geschwistern. Da sind überall Ehen kaputt gegangen. Die wohnen alle bei der Mutter und ersetzen auf einmal alle den Vater zu Hause. Sofort nehmen sie eine Rolle ein und machen, was sie sich ausgedacht haben. Das hat schon was damit zu tun, es ist nicht nur Ideologie.
Filmszene mit jungen Männern: "Ich stehe dazu. Da gibt es nichts zu erklären, finde ich." – "Wir sind schön und dafür können wir nichts." – Wir sind nicht die letzten von gestern, sondern die ersten von morgen." – "Ganz normale Leute, ganz normal, nur ein bisschen rechts." – "Nicht die Rechtsradikalen und die Skinheads sind gewalttätig, sondern das System, in dem wir leben, ist gewalttätig." – Das Wort zum Sonntag. Amen." – "Amen."
Thomas Heise: Auf der anderen Seite muss man auch sagen – es ist mir später aufgefallen –, wenn ich mir angucke, was die NSU-Leute angeht, dass das dieselbe Klientel ist. Das ist der Jahrgang, den wir hier gesehen haben. Die kommen aus denselben Verhältnissen. Es ist nicht anders. Das fand ich interessant und was daraus werden kann. Das war zu diesem Zeitpunkt 1992 noch so, dass, wenn man so will, das noch formbar oder in Bewegung war. Während es später, was mit den Leuten passiert, die dann letzten Endes die NSU ausgemacht haben – mit denne hat im Lauf eder 90er-Jahre keiner mehr geredet. Die waren immer mehr in sich. Das hat zur Folge gehabt, dass, wie man sehen konnte bei der RAF oder anderen Geschichten, es irgendwann irrational wird und dann schlägt es zu.
Filmszene: Ein junger Mann schießt im Freien auf das Ziffernblatt einer Uhr
Wie hätte man mit den Jugendlichen umgehen sollen?
Thomas Heise: Für mich zumindest war damals der Eindruck, dass sie sehr unverstanden waren. Und dass man es nur wegdrücken wollte. Ich glaube, es wäre eine Chance gewesen, dass es damals wenigensten noch die Möglichkeit gegeben hätte, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Das hat man aber da nicht gemacht, weil es immer nur hieß: "Nazis raus!". Es gab so eine Gegenhaltung, wo drunter stand "Wohin denn?". Die sind ja nun mal da. Ich habe sie am Hals, also muss ich damit irgendwie umgehen. Und das kann ich nicht, indem ich sie immer nur aussperre. Das ist ein ähnliches Problem, was mit dieser Dingsda, mit dieser Partei haben.