"Small Axe: Education"

"Exit" steht auf der Karte, die Kingsley im Unterricht vorlesen soll. Tatsächlich würde auch der 12-Jährige am liebsten die Flucht ergreifen. Seit kurzem besucht er eine Schule, die vermeintlich auf die Bedürfnisse "besonderer" Kinder ausgerichtet ist. Doch im Schulalltag ist davon nichts zu spüren: Die Lehrer/-innen zeigen keinerlei Interesse, ihren Schüler/-innen etwas beizubringen oder sie gar zu fördern. Dabei ist Kingsley ein aufgeweckter und neugieriger Junge, der sich für das Weltall und Raumfahrt interessiert. Nur das Lesen fällt ihm schwer und das reichte als Begründung aus, um ihn als Sonderschüler abzustempeln. Zunächst glaubt seine Mutter dem Direktor, der ihrem Sohn eine geringe Intelligenz bescheinigt. Doch als sie eines Tages von einer Black-Education-Movement-Aktivistin besucht wird, beginnt sie zu zweifeln. Sollte Kingsley tatsächlich Opfer einer rassistischen Bildungspolitik geworden sein, die gezielt Schwarze Kinder stigmatisiert und benachteiligt?

Kinsgleys Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten. Sie steht beispielhaft für eine britische Schulpolitik der frühen 1970er-Jahre, in deren Zuge Kinder aus Familien mit afrokaribischen Wurzeln systematisch aus normalen Schulen ausgegliedert und in schlechteren Einrichtungen untergebracht wurden – mit fatalen Folgen für ihre berufliche und persönliche Zukunft. An diese Praxis erinnert "Education" , der als eigenständiger Film die fünfteilige BBC-Fernsehreihe "Small Axe" abschließt, die sich mit der Geschichte der Schwarzen Community im London (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) der 1960er- bis 1980er-Jahre beschäftigt. Regisseur Steve McQueen (Zum Filmarchiv: "Twelve Years a Slave", 2013) konzentriert sich bei seiner Zum Inhalt: Inszenierung voller Empathie auf seine Figuren. Im Gegensatz zu Hollywood-Produktionen benötigt der in der Tradition des britischen "Kitchen Sink"-Dramas stehende Film keine große dramatische Zuspitzung. Er lebt vielmehr von den kleinen Beobachtungen und seinem Gespür für Details, während er abwechselnd die Perspektiven von Kingsley und seiner Mutter einnimmt.

"Education" wie auch die anderen Filme der "Small Axe" -Reihe liegen derzeit nur in der englischen Originalfassung vor, was entsprechende Sprachkenntnisse erfordert. Grundsätzlich bietet sich der Film in Unterrichtsfächern wie Englisch, Deutsch oder Sozialkunde als Ausgangspunkt an, um sich mit strukturellem Rassismus zu beschäftigen. Dabei können insbesondere die im Film dargestellten Folgen dieser Diskriminierung und der Zusammenhang zwischen Bildung, Identität, Chancen auf dem Arbeitsmarkt und Selbstverwirklichung analysiert werden. Interessant ist zudem die Frage, ob und inwiefern vergleichbare Benachteiligungen auch hierzulande existiert haben und noch immer existieren. Auch ein Blick auf die dargestellten Rollenbilder bietet sich an: Es sind vor allem Frauen, die in "Education" für Gerechtigkeit und das Wohl ihrer Kinder auf die Barrikaden gehen. Sie decken die diskriminierende Schulpolitik auf und organisieren für die Mädchen und Jungen privaten Heimunterricht, um Defizite auszugleichen. Dazu gehört auch das Wissen um die Geschichte ihrer Vorfahren, die in der weißen Perspektive vor allem auf ihre Rolle als Sklaven und Sklavinnen reduziert werden. So regt der Film dazu an, sich kritisch mit Geschichtsschreibung auseinanderzusetzen und Bezüge zur Black-Lives-Matter-Bewegung herzustellen. Sofern es zeitlich machbar ist, lässt sich "Education" im Kontext der gesamten "Small Axe" -Reihe diskutieren und die Handlungen der Filme können historisch verortet werden. Filmästhetisch bietet sich unterdessen ein Vergleich mit den sozialkritischen Filmen von Ken Loach an.