Kategorie: Hintergrund
Super, diese Helden
Über die Zusammenhänge von Kulturgeschichte, Comics und Kino
Superhelden werden häufig als Spaßfaktor gewertet. Dabei stehen sie in einer komplexen kulturhistorischen Tradition.
Superhelden werden häufig als Spaßfaktor mit hohem Unterhaltungspotenzial betrachtet. Deswegen beschert auch dieser Sommer den Fans eine Reihe von Neustarts, um sie auch in den traditionell publikumsärmeren Monaten ins Kino zu locken. Männer mit Riesenkräften kämpfen in Filmen wie (Peter Berg, USA 2008) oder "" ("The Incredible Hulk" , Louis Leterrier, USA 2008) gegen das Böse in sich und der Welt und müssen sich in einer Parodie wie "Superhero Movie" (Craig Mazin, USA 2008) gar durch den Kakao ziehen lassen. Filmhistorisch stehen sie in einer langjährigen Tradition: Der klassische Held hatte bereits die Leinwand erobert, kaum dass sie begonnen hatte, zu flimmern. Der erste Film über Odysseus wurde schon im Jahr 1905, wahrscheinlich von den griechischen Filmpionieren, den Gebrüdern Manakis, abgedreht. Und der edle Siegfried schwang 1924 unter der Regie von Fritz Lang in "Die Nibelungen" sein unbesiegbares Schwert. Dennoch wurde in der Filmliteratur nicht viel über den Auftritt der Heroen aus den alten Epen nachgedacht. Das änderte sich erst, als der Schöpfer einer ganz bunten und trivialen Kinowelt auf ihre mythologischen Wurzeln verwies: Regisseur George Lucas gab an, dass er sich in der Figurengestaltung und Handlungsstruktur von Zum Inhalt: Star Wars (George Lucas, USA 1977) bewusst auf den bedeutenden Mythenforscher Joseph Campbell – namentlich dessen Buch Der Heros in tausend Gestalten ("The Hero with a Thousand Faces" , 1945) – bezogen habe.
Tun, was das Rechte ist
Offensichtlich kommt kein erzählendes Medium ohne die Idee des Helden aus, Literatur nicht, Religion nicht, das Kino nicht und selbstverständlich auch der Comic nicht. "Als Mensch der Gegenwart ist der Held gestorben“, sagt Joseph Campbell, "als universaler Mensch wird er wiedergeboren." Er wird wiedergeboren in Romanen, Filmen oder Comicstrips, um das zu tun, was der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel dem Helden als Aufgabe zugeschrieben hat: "Ausführen, was das Rechte und Sittliche ist." In einer Welt erfahrbaren Unrechts, schwindenden Glaubens an eine göttliche Logik und sich verändernder Sitten steht der Held da und tut – simpel gesagt – das Gute. Er tut es nicht als Delegierter von Staat oder Gesetz, sondern aus eigener Freiheit heraus. Deswegen ist er in Zeiten des Rechtsstaats eigentlich eine fragwürdige Erscheinung.
Gezeichnete Heroen
Dennoch hat kein anderes Medium die uralte Idee vom Helden so sehr gerettet wie der amerikanische Comicstrip. Zwar waren durch die Literatur des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zahlreiche Männer geritten, die unglaubliche Abenteuer überlebten, doch übermenschliche Kräfte besaßen sie nicht. Dann trat 1938 Superman auf, unverwundbar, versehen mit erstaunlichen Fähigkeiten – und ein durchschlagender Erfolg beim jungen Lesepublikum der neuen Publikationsform Comicheft (bis dahin waren Comics ausschließlich als Fortsetzungsgeschichten in Tageszeitungen erschienen). Ihm folgte bald Batman, ein selbsternannter Verbrecherjäger ohne Riesenkräfte, dafür reich und mit modernster Technologie ausgestattet. Noch erfolgreicher wurde allerdings eine Zeitlang Captain Marvel. An dieser Figur zeigt sich, wie sehr Helden in der Welt der Moderne Märchencharakteren gleichen und wie stark die Rückbezüge auf die Heroen der Antike sind. Der Weisenjunge Billy Batson kann sich durch das Aussprechen der Zauberformel "Shazam" in Captain Marvel verwandeln. Und diese Formel setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben der Namen Salomo, Herkules, Atlas, Zeus, Achilles und Merkur.
Unfreiwillige Filmparodien
Captain Marvel hat 1941 eine Kinoserie bekommen, Batman 1943 und Superman 1948. Das waren keine großen Kinofilme, sondern Billigproduktionen für Double Features, Beiprogramme zum Hauptfilm. Entsprechend trugen diese Comicverfilmungen die Tendenz zur Parodie bereits in sich. Mittelmäßige Schauspieler, hineingezwängt in merkwürdige Kostüme, versuchen durch jämmerliche Tricktechnik nahezu allmächtig zu erscheinen. Hier führt die Fallhöhe zwischen hohem Anspruch und billiger Realisierung zur lächerlichen Bruchlandung. Dennoch zeigen sich bereits in dieser Frühphase die kommerziellen Möglichkeiten der cross-medialen Verwertung von Comics und ihren Filmadaptionen. Der erfolgreiche Comic zieht seine Fans ins Kino, eine gute Comicverfilmung wiederum kann eine Auflagensteigerung der gezeichneten Textvorlage bewirken.
Spiel mit Sprechblasen
Die Parodie blieb lange ein Nebeneffekt von Comicverfilmungen. Die Fernsehserie Batman, die der US-amerikanische Sender ABC Mitte der 1960er-Jahre startete, setzte parodistische Comicelemente sowie in die Realhandlung eingeblendete Sprechblasen mit Lautwörtern ("SPLASH!" oder "GULP!") spielerisch ein. Der Spielfilm "Batman" (Leslie H. Martinson, USA 1966) übernahm das Verfahren und bezog daraus Humor und Charme. Als man Superman nach 1978 mit drei Filmen in Folge wiederum zum Kinohelden machte, wurden mit Richard Donner und Richard Lester Regisseure beauftragt, die als Komödianten und Filmsatiriker galten. Doch der Humor dieser Kinoserie mit Christopher Reeve in der Titelrolle blieb verhalten. Die Regie nutzte vielmehr die fortgeschrittene Tricktechnik dazu, den Superhelden erstmals glaubwürdig auf der Leinwand agieren zu lassen.
Der intermediale Markt
Perfekte Tricks und präzise aufeinander abgestimmte crossmediale Vermarktungsstrategien von Verlagen, Verleihen, Fernsehsendern, dem Internet oder Merchandising-Verkäufen machen wohl den Erfolg der jüngsten Superheldenwelle in den Kinos aus – vor allem in Deutschland, wo dieses spezielle Comicgenre bislang keine große Leserschaft fand. Hierzulande kann der Hype einer Filmadaption von wenig bekannten Comicfiguren wie Daredevil, Spawn oder Elektra das Kinopublikum dazu anregen, sich auch für die zugrundeliegenden Hefte zu interessieren. Die mediale Interaktion hilft den Verlagen von Superheldencomics, die auch in den USA in die Nachfragekrise geraten waren – kein Wunder, da seit 70 Jahren dieselben Geschichten immer neu erzählt werden. Deshalb hat der Marvel Verlag (verantwortlich unter anderem für Spider-Man, Die Fantastischen Vier oder Iron Man) jetzt sein eigenes Kinolabel gegründet. So können künftig auch Figuren wie Thor, Captain America und The Avengers eine cineastische Zuschauerschaft finden. Denn Heldenverfilmungen garantieren meist volle Kinokassen, weil das jugendliche Publikum grelle, computergenerierte Actionszenen auf der Leinwand liebt.
Sehnsucht nach dem starken Mann
In diesem Verwertungszusammenhang nehmen die Superhelden des Kinos derzeit fast alle einen anderen Weg als ihre gedruckten Pendants. Diese waren zunehmend gebrochen und düster geworden. Fast näherten sie sich moralisch ihren Widersachern an. Die Kinohelden dagegen tun – mit wenigen Ausnahmen wie beispielsweise Batman oder Hulk in Ang Lees gleichnamigem Film (USA 2003) – weiterhin frisch und fröhlich ganz unreflektiert das Gute. Sie sollen mit einfachen Plots kommerziell einträglich unterhalten und nicht nachdenklich darüber stimmen, dass die Geschichten von Superhelden bei den Zuschauenden fast immer die Sehnsucht nach dem starken Mann bedienen, der dem Individuum verantwortliches Handeln abnimmt. In den Printversionen stehen diesen Recken durchaus starke Frauen wie Elektra, Supergirl oder Catwoman zur Seite. Auf den Kinoleinwänden jedoch ist die männliche Dominanz unübersehbar. Grund ist wohl auch die von solchen Filmen in erster Linie anvisierte Zielgruppe männlicher Jugendlicher.
Schutzengel und Höllenwesen
In den USA scheint der Glaube an die Wirksamkeit der synthetischen Helden offenbar so groß zu sein, dass sich die Comicfiguren Superman, Spider-Man und andere nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 bei ihrer Leserschaft dafür entschuldigen mussten, sie nicht verhindert zu haben. Schade allerdings, dass die Supermänner darüber hinaus meist nur als Unterhaltungsfaktor gewertet werden und das Interesse an ihren kulturhistorischen Ursprüngen weitgehend ausbleibt. Dass sie fliegen können wie Schutzengel, dass andererseits immer mehr von ihnen der Hölle entspringen (Hellboy, Spawn, Constantine) – solche mythologischen und religiösen Zusammenhänge wären mancher Überlegung wert.