Die Idee eines Homunculus, eines künstlichen, auf chemischem Wege geschaffenen Menschen, hat nicht nur Goethes teufelspaktierenden Doktor Faust umgetrieben. Sogar ernst zu nehmende Forscher haben über diesen uralten Menschheitstraum gegrübelt. So gab Paracelsus in seiner Schrift De natura rerum eine Anleitung zum Wachstum solcher Wesen innerhalb von 40 Tagen. Urin, Sperma und Blut sollten das Ausgangsmaterial sein. Bedenkt man, dass nach heutigem Wissenstand Sperma und Blut Träger des genetischen Codes sind, in den die Gen-Industrie zunehmend manipulativ eingreift, so ist die Annahme des Paracelsus gar nicht so falsch gewesen. Eine magische Variante dieser Vorstellung ist jene von der Alraune, einem Wurzelmenschen, der aus dem Sperma von Erhängten entsteht. Schließlich ist die mechanische Neuschöpfung von Androiden seit den Mythen der Antike bekannt. Die berüchtigte Pandora, von der alle Übel der Menschheit ausgehen, ließ Zeus schmieden, um sich am Rebellen Prometheus zu rächen.

Da der Film kaum andere Stoffe kennt, als jene der Märchen, Mythen und Träume, ist es ganz selbstverständlich, dass er immer wieder von künstlichen Menschen erzählt hat. "Homunculus" ist der Titel eines deutschen Films von 1916 (Otto Rippert), in dem ein Retortenmensch, von Hass gegen seine Schöpfer zerfressen, einen apokalyptischen Krieg auslöst. In "Alraune" von Henrik Galeen, mit Brigitte Helm in der Titelrolle (DE 1927), wird aus dem Sperma eines Lustmörders ein männerverschlingender Vamp gezeugt. Doch eine Schöpfung aus Menschenhand ist kinematografisch bekannter geworden als alle anderen: das namenlose Monster, das Frankenstein aus Leichenteilen zum Leben erweckt. Die Geschichte der Verfilmungen von Mary W. Shelleys Roman beginnt im Jahr 1910. Inzwischen ist ihre Zahl Legion. Doch ist es besonders interessant, die Diskrepanz zwischen der berühmtesten Verfilmung, James Wahle's "Frankenstein" von 1931, und der jüngsten, Kenneth Branagh's Mary Shelley's "Frankenstein" von 1994, zu betrachten. Bei Whale verkörpert Boris Karloff den künstlichen Menschen als eine Art Roboter und verweist damit auf das Denken des industriellen Zeitalters. Robert De Niros Monster dagegen wird aus dem Geist der postindustriellen Epoche heraus in einer Art künstlichen Gebärmutter chemisch gebacken; es könnte auch ein Produkt der Genmanipulation sein.

In der literarischen Science-Fiction haben biologisch gezüchtete, chemisch veränderte, womöglich noch mit Computern verbundene Kunstmenschen (Cyborgs) mechanische Roboter längst verdrängt. Der Film hat hier langsamer auf die neuen Entwicklungen reagiert. Die berühmtesten Kunstmenschen des Kinos, angefangen von der magisch-elektrisch belebten, zweiten Maria mit dem Auftrag zu Verführung und Vernichtung in Fritz Langs Zum Inhalt: Metropolis (DE 1926), fortgesetzt von dem Friedenswächter Gort in "Der Tag an dem die Erde stillstand" ("The Day the Earth Stood Still" , Robert Wise, USA 1951) über das Komiker-Paar R2-D2 und C-3PO in Zum Inhalt: Krieg der Sterne ("Star Wars: Episode IV – A New Hope" , George Lucas, USA 1976), die Helden-Puppen in "Westworld" (Michael Crichton, USA 1973) und "Futureworld" (Richard T. Heffron, USA 1976), bis zur Zerstörungsmaschine aus der Zukunft in "Terminator" (James Cameron, GB/USA 1984) sind mehr oder weniger menschlich verkleidete Roboter.

Bisher haben sich nur ganz wenige Zum Inhalt: Science-Fiction-Filme des Themas biologischer Androiden angenommen, auch wenn es mit L. Commander Data aus der "Serie Star Trek – Die nächste Generation" (1987-94) einen filmischen Kult-Androiden gibt. Einzigartig und unübertroffen ist jedoch Ridley Scotts Zum Inhalt: Blade Runner (USA/HK 1982) nach dem Roman von Philip K. Dick. Hier werden die Implikationen künftiger Menschenzucht-Anstalten düster und rückhaltlos untersucht. Die so genannten Replikanten, Zuchtprodukte, die ferne Planeten urbar machen sollen, lassen sich von ihren Schöpfern kaum noch unterscheiden. Die Identitäten von Geschöpf und Schöpfer verwischen sich. Defizit der künstlichen Brüder ist lediglich ihre Lebenserwartung von bloß vier Jahren. Scott spielt mit der Idee, dass der Androide letztlich humaner sein könnte als der Mensch.

Die Replikanten in "Blade Runner" sind geschaffen, um den Menschen Arbeit unter extremen Bedingungen abzunehmen. Das ist überhaupt der Hintergrund des Menschheitstraums vom Androiden: Er soll der Sklave sein, der seinem Ausbeuter kein schlechtes Gewissen bereitet, da er keine Seele hat. Die Vorstellung funktioniert auch im erotischen Zusammenhang der Männerfantasie vom ewig willigen, künstlichen, weiblichen Lustobjekt – ein Thema, das besonders intelligent in Bryan Forbes' Film "Die Frauen von Stepford" ("The Stepford's Wives" ) aus dem Jahr 1974 behandelt wird.

Es kann aber noch einen anderen Grund zur künstlichen, genmanipulierten Aufzucht geben: den Versuch, einen Übermenschen ins Leben zu rufen, die Unvollkommenheiten der Natur zu beseitigen. Aldous Huxleys berühmter Roman Schöne neue Welt erzählt von beiden Aspekten der konzipierten Schwangerschaft in der Retorte. In dieser negativen Utopie wird sowohl die Herren-, wie die Sklavenklasse nach Plan aufgezogen. Das Buch ist merkwürdigerweise nie verfilmt worden. Rüdiger Sünners Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Schwarze Sonne" (DE 1997) über die esoterischen Hintergründe der nationalsozialistischen Weltanschauung belegt allerdings den Versuch der Zuchtauswahl des arischen Supermannes im Dritten Reich. Andrew Niccols "Gattaca" (USA 1997) greift nun als erster Film die inzwischen realen Möglichkeiten zur genetischen Kontrolle des menschlichen Entwicklungsprogramms auf. Ein Fehler darin könnte eines Tages zur gesellschaftlich sanktionierten Behinderung erklärt werden. Dann wäre die "schöne neue Welt" bedenklich nahe gerückt. Dort gilt es als Rebellion, als ein "Wilder" von außerhalb der totalitären Zucht-Zivilisation sein Menschenrecht auf Unglück einfordert, das auch die Rechte auf Krankheit, Schmerzen und Furcht umfasst.