Sie kreuzen in dicken Schlitten durch die Straßen der Stadt, lümmeln am Strand in schrillen Klamotten wie eine Mischung aus Punks und Jeunesse Dorée, die 'Boys' der Capulets und Montagues. Die beiden tief zerstrittenen Adelsgeschlechter aus dem mittelalterlichen Verona hat der 34-jährige Regisseur Baz Luhrmann in seiner MTV-fähigen Pop-Version des weltberühmten Shakespeare-Stoffes zu zwei kapitalstarken Familienclans in Verona Beach mutieren lassen und deren ergraute Oberhäupter wie eine Mischung aus Industriekapitän und Mafiaboß angelegt, die immer dann in ihren langgezogenen Limousinen auftauchen, wenn die stets randalebereiten Sprösslinge wieder einmal die Gegend unsicher gemacht haben. In dieser vergifteten Atmosphäre voller Hass und Dauerfehde zwischen den beiden Clans bricht die Liebe aus. Auf einem als opulente Revue inszenierten Maskenball der Capulets verlieben sich Romeo und Julia. Nach der heimlichen Hochzeit gerät Romeo in einen Kampf mit Julias Cousin Tybald und tötet ihn. Die Tragödie endet wie bei Shakespeare mit dem Tod der Liebenden.

Mit seiner Comic-strip-Version des vielfach erzählten, vertonten, getanzten und verfilmten Dramas ist Baz Luhrmann, der sich zuvor einen Namen als Opernregisseur gemacht hat, eine erstaunliche Kombination aus Zeitgeist, modernem Design und Shakespearscher Sprachgewalt gelungen. Er verbindet überbordenden Kitsch mit anrührender Gefühlstiefe. "Romeo und Julia sterben an einer Welt, die sie nicht leben lässt, wie sie wollen", sagt der Regisseur in einem Interview. "Viele Menschen verurteilen noch immer andere auf Grund ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, Religion oder sexuellen Neigung. Das kann zu ähnlichen Tragödien vor der eigenen Haustür führen." Perfekt werden die Rituale der Eskalation inszeniert. Gruppen konstituieren ihr Zusammengehörigkeitsgefühl über das Einhalten bestimmter Codes nach innen (Mode, Turnschuhmarke, Musikgeschmack etc.) sowie über die Abgrenzung nach außen. Nichts schweißt stärker zusammen, als ein gemeinsamer Feind. Wie Langeweile, Macho-Eitelkeiten und latente Lust auf Gewalt aus der geringsten Provokation heraus in ein Inferno der Zerstörung umschlagen können, zeigt der Film in tänzerisch choreografierten und suggestiv geschnittenen Kampfszenen. Seine Hochglanzbilder sind von derart luxuriöser Qualität, dass man nicht mehr unterscheiden kann, was ihm wichtiger ist: die Feier der Fetische oder die 'Message'. Immer wieder tauchen schillernde Pistolen in Großaufnahme auf, auch wenn der Film in keinem Moment Gewalt verherrlicht. Wenn ein smarter Capulet zum Kampf antritt, ist leinwandfüllend der versilberte Absatz eines nagelneuen Cowboystiefels mit Initialen zu sehen. Eine Demonstration von Luxus, eine Werbung für den teuren Schuh als Insignie der Macht – zugleich ein filmisches Zeichen von höchster Bedrohlichkeit. Dieser Absatz tritt langsam und genüsslich eine Zigarette aus – ein symbolischer Verweis auf die beabsichtigte Vernichtung des Gegners, der in den Staub getreten werden soll.

Souverän und auf sich selbst verweisend spielt der Film mit der Zeichenwelt der Gegenwart. Immer wieder macht er den Zuschauern klar, dass er ein Medienprodukt ist, das andere Medienprodukte zeigt. Die Eröffnungssequenz zeigt einen Fernseher, aus dem heraus die Geschichte des Films erzählt wird. Reklameschilder und Werbesprüche reflektieren seine Gefühlsdramaturgie, Schriftinserts erläutern die Identität der handelnden Personen. Der Regisseur zieht kräftige Register und doch gelingt es ihm, die Vieldeutigkeit seiner reichlich in Anspruch genommenen Metaphern bestehen zu lassen. Das infernalische Feuer einer brennenden Tankstelle taucht, sublimiert zu Spiritualität und Sinnlichkeit und gebändigt in Form von hunderten von Kerzen, in der Kirche und im Jungmädchenzimmer Julias wieder auf. Wasser bedeutet Reinheit und Unschuld. So dringt das erste Zauberspiel der Augen zwischen Romeo und Julia durch ein Aquarium, findet die berühmte Balkonszene im Pool der Villa Capulet statt. Doch Wasser zeigt auch Verderben an, wenn die Kamera Julia dabei beobachtet, wie sie versucht, so lange wie möglich untergetaucht zu bleiben.

Zwei weitere Phänomene präsentieren auf interessante Weise den Zeitgeist des ausgehenden Jahrhunderts. Der Film ist multikulturell: Ein australischer Regisseur dreht mit amerikanischen Hauptdarstellern in Mexico City – in ihrer Mehrheit sind die Darsteller nicht-weiß. Und er ist keusch: Nicht Gewalt und Leidenschaft, sondern Gewalt und Zärtlichkeit prallen in präzise kalkulierten Kontrastmontagen aufeinander. Selbst das letzte Bild kommentiert noch die mediale Vermitteltheit der Geschichte. Nicht mit der grandiosen Apotheose des nur und endlich im Tode vereinten Paares schließt der Film: Auf dem Fernsehbildschirm beendet die Nachrichtensprecherin ihren Bericht über den tragischen Liebestod eines jungen Paares. Sendeschluss.