Peru, um 1900. Brian Sweeney Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo, ist ein Mann mit Visionen, Pioniergeist und einer unbändigen Liebe zur Oper. Sein größter Traum ist es, ein Opernhaus in der Stadt Iquitos zu bauen – mitten im Urwald. Für die Finanzierung seines waghalsigen Vorhabens beabsichtigt er, ein Kautschukvorkommen an einem Nebenfluss des Amazonas auszubeuten. Da der Wasserlauf wegen seiner Stromschnellen als unpassierbar gilt, entspinnt Fitzcarraldo einen irrwitzigen Plan: Von einem Nachbarfluss aus soll ein Dampfschiff über eine steile Anhöhe im Regenwald geschleppt werden, um in das noch unerschlossene Zielgebiet vorzudringen. Und tatsächlich: Nach Wochen der Entbehrungen und Rückschläge gelingt mit Unterstützung indigener Gruppen das scheinbar Unmögliche. Doch dann muss Fitzcarraldo erkennen, dass die Einheimischen mit dem Schiff eigene Pläne verfolgen.
Fitzcarraldo erzählt von einem Getriebenen, der für die Verwirklichung seines Traums zum Äußersten bereit ist. Nicht wenige Kritiker haben in der Unnachgiebigkeit, mit der Werner Herzog sein spektakuläres Filmprojekt trotz zahlloser Hürden verwirklichte, eine Parallele erkannt. Der Regiestar des
Neuen Deutschen Films hatte bereits – ebenfalls mit dem berüchtigten Exzentriker Klaus Kinski in der Hauptrolle –
Aguirre, Der Zorn Gottes (BRD, Mexiko, Peru 1972) im peruanischen Urwald gedreht. Im Aufwand übertraf
Fitzcarraldo den Vorgänger jedoch bei weitem. Herzog
inszenierte die Schlüssel
szenen des Films mit einem echten Schiff und hunderten einheimischen Statist/-innen, vor allem Angehörige der Asháninka und Ashéninka, fernab jeder Infrastruktur unter den extremen Bedingungen
im tropischen Regenwald. Mit den Einstellungen des großen weißen Dampfschiffs auf dem Hang gelangen so einzigartige Kinobilder – die zugleich sinnbildlich für den Vorwurf des künstlerischen Größenwahns stehen können, den das sich über drei Jahre hinziehende Projekt auf sich zog. Schon die Dreharbeiten wurden von Skandalberichten etwa über die mutmaßliche Ausbeutung der indigenen Mitwirkenden, Unfälle und Erkrankungen von Crew-Mitgliedern oder diverse Eskapaden Klaus Kinskis begleitet. Einen lebhaften Eindruck von den tatsächlichen Schwierigkeiten des Projekts vermittelt Les Blanks Dokumentation
Burden of Dreams (USA 1982).
Aus heutiger Sicht löst nicht nur das im Film gezeigte Abholzen des Urwalds negative Gefühle aus – angesichts des gewachsenen Bewusstseins für die Bedeutung des Regenwaldes. Auch die einseitig weiße Perspektive auf indigene Menschen und ihre Lebenswelt ist problematisch. Unbestreitbar bleibt die beeindruckende Wirkung des Films, der dichotomisch Natur und Kultur aufeinandertreffen lässt. In
Fitzcarraldo ist der dunkle schwüle "Dschungel" mehr als bloß
Schauplatz. Er ist zugleich machtvoller Gegenspieler der weißen Eindringlinge – speziell des von Kinski gewohnt expressiv gespielten Protagonisten. Die Beklemmung der Europäer angesichts der ihnen fremden tropischen Landschaft und ihrer vermeintlich feindseligen und lange Zeit unsichtbar bleibenden indigenen Bewohner/-innen wird regelrecht greifbar. Dazu tragen Herzogs oft dokumentarisch wirkende Inszenierung, die
Totalen des Urwalds mit Nahaufnahmen der Darsteller/-innen eindringlich kombiniert, sowie das
Sounddesign und die sphärische
Score von Popol Vuh entscheidend bei. Von zentraler Bedeutung im Film ist aber auch die Opernmusik. Die von Fitzcarraldo im Urwald auf dem Grammophon abgespielten Originalaufnahmen Carusos wirken befremdlich und können als Demonstration einer vermeintlich überlegenen europäischen Kultur betrachtet werden. Das Gewaltige des Gesangs findet seine Entsprechung im Film, der von Tragik, Wahn und rücksichtsloser Kraftanstrengung erzählt - wie auch in der Dimension des zwiespältigen Filmprojekts selbst. Zugleich vermittelt die Musik eine Ahnung von der Macht der Träume. Oder wie es in einer Szene heißt: "Nur Träumer können Berge versetzen."
Autor/in: Dr. Verena Schmöller, Filmwissenschaftlerin, Journalistin und Filmpädagogin, 22.08.2022
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