Die Tanzbewegungen hat sich die 15-jährige Mia aus den Videoclips im Fernsehen abgeschaut. Heimlich stiehlt sie sich fast jeden Tag in eine verlassene Wohnung in dem Hochhaus in einer Brennpunktsiedlung am Stadtrand und übt dort ihre Schritte. Tanzen anstatt der ständigen Flüche, die den Umgangston in ihrer Familie und unter Gleichaltrigen bestimmen. Als Mia eines Morgens in ihrer Küche den neuen Freund ihrer Mutter trifft, ist sie ebenso abweisend wie fasziniert. Zu sehr hat sie sich schon an das Partyleben ihrer Mutter gewöhnt. Aber Connor findet sie attraktiv. Und dieser wiederum lässt sich nicht von ihrer barschen Art abschrecken, sondern akzeptiert sie, wie sie ist. Mia sucht seine Nähe, obwohl sie weiß, dass sie damit das brüchige Gleichgewicht in ihrer Familie in Gefahr bringt.
Mit einem
dokumentarischen, ruppigen Stil und dennoch berührend, begleitet Andrea Arnold die Entwicklung von Mia. Die
Handkamera bewegt sich frei im Raum und suggeriert ständige Bewegung, Suche und Veränderung;
Jump Cuts erhöhen die Dynamik der ohnehin schon unsteten Kameraführung und greifen bildlich das Gefühlschaos in Mias Leben auf. Dass das junge Mädchen in seiner Umgebung kaum Spielräume und Perspektiven hat, darauf verweist das heute ungewöhnlich gewordene Bildformat mit einem Seitenverhältnis von 1,33:1, die so genannte Academy Ratio, die die Bildbreite und damit den Handlungsspielraum der Figuren erheblich einengt. Mit dem titelgebenden "Fish Tank", dem Aquarium, wird Mias Situation treffend beschrieben: ein Leben unter einer Glashaube, allein und abgeschottet.
Mia findet zu Hause nicht den Halt, den sie sich wünscht, schützt sich durch harsches Verhalten und ist irritiert von ihren Gefühlen für Connor, in dem sie sowohl einen Vaterersatz sieht als auch einen sexuell attraktiven Mann. Ihre Figur und ihre Lebenssituation fordern auf mehreren Ebenen zur Auseinandersetzung heraus: Zum einen zeigen sich darin stellvertretend Themen des Erwachsenwerdens wie die Auseinandersetzung mit den Eltern und die Unsicherheit, was man mit dem Leben anfangen soll. Zum anderen werden die Grenzen und Probleme des sozialen Milieus deutlich, in dem Mia aufwächst. Dennoch macht ihre Figur Mut, indem sie vorführt, wie sich trotz widriger Umstände Gestaltungsräume schaffen lassen. Diese unterschiedlichen Ebenen werden durch eine authentisch wirkende Inszenierung miteinander verknüpft, welche sich als eigener Betrachtungspunkt in Deutsch oder Kunst analysieren lässt. Dabei kann insbesondere der Frage nachgegangen werden, wie Mias Gefühle durch die filmische Gestaltung gespiegelt werden.
Autor/in: Stefan Stiletto, 22.09.2010
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