Nach dem Anschlag vom 11. September 2001 kam der gesamte US-Flugverkehr für einige Tage zum Erliegen, mit Ausnahme einiger Maschinen, die über 20 Angehörige der Familie bin Laden und weitere Saudis ausflogen. Michael Moore nimmt diese befremdliche Maßnahme zum Ausgangspunkt seines neuen Films, um die langjährigen, sehr freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Familien Bush und bin Laden aufzudecken. Aber eigentlich ist sein neuer Film, der auch angesichts des eher trockenen Stoffs multinationaler Wirtschaftsverflechtungen viel sachlicher als die bisherigen wirkt, eine persönliche Abrechnung mit George W. Bush und seiner Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten. Moore ruft gleich zu Beginn in Erinnerung, dass Bush von vielen seiner Landsleute nicht als gewählter Präsident erachtet wird und dokumentiert, wie auch der Kongress alle Einwände von vorwiegend schwarzen Parlamentariern/innen abschmetterte. Der Hauptteil des Films handelt von der Entwicklung der eher glücklosen Entwicklung des Amtsinhabers in den ersten Monaten, über dessen ironisch kommentierte (Nicht-)Reaktionen unmittelbar nach den Attentaten hin zu einem "Kriegspräsidenten", der letzten Endes Moores Argumentation zufolge aus rein wirtschaftlichen Interessen schließlich in den Irak einmarschierte. Im Gegensatz zu seinen früheren Filmen ist Moore selbst nur noch selten im Bild zu sehen, stattdessen montiert er unzählige in Fleißarbeit ausgesuchte TV- und Filmausschnitte und Dokumente, lässt einiges für sich selbst sprechen, kommentiert und karikiert anderes, stellt provokative Fragen, die er aber nur ansatzweise beantwortet. Robert Greenwald beispielsweise hat in seiner Dokumentation Uncovered: The War on Iraq oft mit denselben Filmdokumenten gearbeitet, kommt zu den gleichen Schlussfolgerungen, argumentiert insgesamt aber wesentlich differenzierter. Nur manchmal reicht Moores Film über das hinaus, was bereits in seinem Buch "Volle Deckung, Mr. Bush" nachzulesen ist, etwa wenn er gegen Ende hin den verhängnisvollen Zusammenhang von amerikanischer Wirtschaftspolitik, Verarmung großer Teile der Bevölkerung, Rekrutierungsmethoden der Armee für Jugendliche ohne Zukunftsperspektiven und ihren unfreiwilligen Einsatz in einem fremden Land aufzeigt, in dem viele auf Seiten der Amerikaner wie der Iraker sinnlos sterben müssen. Rein filmisch betrachtet ist Fahrenheit 9/11 also kein Glanzlicht, als politischer Film hingegen ist und bleibt er sehens- und diskussionswert.
Autor/in: Holger Twele, 01.07.2004