Kalifornien, 1973: Beim Fototermin für das Schul-Jahrbuch verliebt sich der 15-jährige Gary Hals über Kopf in die zehn Jahre ältere Alana, die dem Fotografen assistiert. Hartnäckig wirbt der Teenager um die eher amüsierte junge Frau, die sich Garys naiven Charme jedoch nicht ganz entziehen kann
und sich auf ein Date mit ihm einlässt. Er plant nach ersten Jobs als TV-Darsteller weitere Karriereschritte, sie dagegen will sich beruflich noch nicht festlegen. Doch ob als Wasserbettverkäufer oder Betreiber eines kleinen Spielsalons – stets gelingt es Gary, sie als Kompagnon in seine Geschäfte einzubeziehen. Kleinere Misserfolge
und Eifersüchteleien können nicht verhindern, dass beide über die Arbeit immer mehr zueinander finden. Für seinen Wunsch, so schnell
wie möglich erwachsen zu werden, hat Gary eine ideale, wenn auch äußerst eigenwillige Gefährtin gefunden.
Der erste
Jugendfilm des renommierten US-Filmemachers Paul Thomas Anderson bietet ein
farbenreiches Nostalgiepanorama der kalifornischen Siebzigerjahre. Es ist eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, die geprägt ist von der Ölkrise
und letzten Schatten des Vietnamkriegs, aber auch dem großen Freiheitsversprechen der Hippie-Ära. Der unvermeidliche
Flower-Power-Soundtrack trägt Alana
und Gary durch allerlei verrückte, manchmal auch gefährliche Abenteuer. So führt die Suche nach dem eigenen Platz im Leben Alana zunächst in die Arme eines zwielichtigen Filmregisseurs, schließlich in das Wahlteam eines Präsidentschaftskandidaten mit geheimem Doppelleben. Gespickt mit Kindheitserinnerungen des selbst im
San Fernando Valley nahe Hollywood aufgewachsenen Regisseurs – der Titel bezieht sich auf ein damaliges Schallplattengeschäft gleichen Namens –, streift
Licorice Pizza die düsteren Themen früherer Filme aber nur am Rande. Im Mittelpunkt der eher losen Handlung steht jederzeit der Enthusiasmus der jungen Hauptfiguren, die von der Desillusionierung des amerikanischen Traums noch weit entfernt sind.
Gary wirkt
wie die freundliche Variante der Unternehmerfiguren, die Anderson in Filmen
wie Boogie Nights (USA 1997)
und There Will Be Blood (USA 2007) porträtiert hat. Auch zum optimistischen Gründergeist der Computerpioniere Bill Gates
und Steve Jobs finden sich Parallelen. So lässt sich in Politik
und Geschichte die spannende Frage diskutieren, welche Geschäftsfelder er wohl heute ergreifen würde. Vielleicht einen YouTube-Kanal? Von unkalkulierbaren Rückschlägen – für die auf Plastik angewiesene Wasserbettenindustrie erweist sich die Ölkrise als fatal – lässt er sich jedenfalls nicht beirren. Eine starke Identifikationsfigur ist auch Alana, die sich stärker als Gary auf einer Sinnsuche befindet. Bei ihren Ausflügen in Showbusiness
und Politik erlebt sie nicht zuletzt die Schattenseiten des jeweiligen Geschäfts. In den fröhlichen Siebzigern sind ein scheinbar augenzwinkernder Sexismus
und auch Rassismus gang
und gäbe. Ist das der Preis der Freiheit? Der Film lädt dazu ein, den sozialen, kulturellen
und ökonomischen Kontext einer spannenden Zeit mit der Gegenwart zu vergleichen
und eigene Lebensentwürfe in einer historischen Entwicklung zu sehen.
Autor/in: Philipp Bühler, 26.01.2022
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