Kann ein Lied töten? Das 1936 in einem Budapester Restaurant komponierte "Lied vom traurigen Sonntag" ist dem Tod, dem Freitod zumindest, sehr nah: ein poetischer Traum, der Liebsten in den Tod zu folgen, dem Leben im Schatten ein Ende zu setzen. Komponist Rezsö Seress und Texter Laszló Jávor nahmen mit der Melancholie, der Todessehnsucht von "Gloomy Sunday" eine damals verbreitete Stimmung auf. Hunderte von Menschen in vielen Ländern hörten dieses Lied, bevor sie sich töteten. Der in Hamburg lebende Autor Nick Barkow ließ sich von dieser traurigen Wirkungsgeschichte zu seinem Roman "Ein Lied von Liebe und Tod" inspirieren – Grundlage für den Film, den Regisseur und Koautor Rolf Schübel als internationale Koproduktion realisierte. Dieser führt im Film eine neue Figur ein: Ilona Varnai, die schöne Serviererin in László Szabós gutbürgerlichem Restaurant. Szabó liebt sie. Auch der kurzfristig engagierte Pianist András Aradi verliebt sich in sie und komponiert ihr zum Geburtstag dieses Liebeslied. Stammgast Hans Eberhard Wieck, ein deutscher Tourist, später einflussreicher SS-Offizier, will sie sogar heiraten. Die sensibel ausbalancierte Liebe zwischen Ilona, Szabó und Aradi hat unter der Bedrohung durch den SS-Mann keine Chance: Aradi bringt sich um und Szabó wird in einem Konzentrationslager ermordet.
Drei zentrale Motive durchziehen den Film: Die, eigentlich utopische, Liebe zu dritt, die Wirkungsgeschichte des Liedes und die Zerstörung von Lebensentwürfen und Persönlichkeiten im Faschismus. Wer von Schübel, dem durch politisch engagierte Dokumentarfilme profilierten Regisseur, eine Liebesgeschichte zwischen marschierenden Nazi-Stiefeln erwartet, wird (zum Glück) enttäuscht. Schübel erzählt von persönlichen Entwicklungen im Mikrokosmos des Budapester Restaurants, von Sinnlichkeit, von durch Macht bewirkte und durch sie erzwungene Korrumpierbarkeit und von der Konsequenz, den eigenen Lebensentwurf zu realisieren. Auch der politische Bezug auf das Nachkriegsdeutschland fehlt nicht: In einer in der Gegenwart spielenden Rahmenhandlung feiert der erfolgreiche Industrielle Wieck seinen achtzigsten Geburtstag in eben jenem Budapester Lokal, das er vor und während des Zweiten Weltkriegs so oft besucht hatte. Der lukrative Handel mit Ausreisepapieren für Juden war Grundlage seines späteren kommerziellen Erfolgs – ein Verweis auf Kontinuitäten in der Entwicklung Deutschlands.
Deutlich erkennbar ist Schübels Anspruch, seine Geschichte ganz nah an den Personen zu erzählen, doch obwohl die Hauptrollen durchweg gut besetzt sind, gewinnt zunächst nur die Figur von Wieck klare Konturen. Sie weist Widersprüchlichkeiten auf, hat Ecken und Kanten, verändert sich zur Kenntlichkeit. Ilona, Szabó und Aradi finden nach einer kurzen eifersüchtigen Phase zu einer gleichberechtigten Liebe, die keine Forderungen stellt. Die Vorgeschichte der drei Protagonisten, die sie fähig macht, eine solche Liebesbeziehung einzugehen, wird allerdings nur ansatzweise entwickelt. So ist Ilona zu lange einfach schön und sinnlich-attraktiv, erst durch ihren Kampf um Würde und Leben von Aradi und Szabó gewinnt sie Eigenständigkeit. Im Film bewahrt das Lied sein Geheimnis; schon als Melodie nimmt es gefangen, gleich beim ersten Mal. Schübel ist auch in der zentralen Szene, als Ilona das Lied singt, nicht der Versuchung erlegen, dessen inhaltliche Aussage filmisch auszubeuten – die Kamera behält ihren behutsamen Stil bei. Es geht nicht um eine quasi 'dämonische' Musik, die den Menschen den Tod bringt, sondern um Menschen, die andere Menschen zerstören. In der damaligen totalitären Bedrohung durch den Faschismus sahen viele nur noch den Ausweg des Freitods. Wenn es nicht mehr möglich ist, in Würde zu leben, dann beende dieses Leben – so die Botschaft des Liedes, die Schübel seinem Protagonisten Szabó in den Mund legt. Obwohl der Film an der Magie dieses "Gloomy Sunday" ansetzt, widerspricht er jedoch in seiner Gesamtaussage dieser Haltung. Ilona ist es, die ihre Würde hergibt, um Aradi und Szabó zu retten, doch sie zerbricht nicht an dem, was sie erleiden muss. Sie übt Rache in Selbstjustiz. Auch wenn diese üblicher filmisch-dramaturgischer Praxis entspricht, lässt sich hier kritisch fragen, ob Ilona keine anderen Mittel zur Verfügung standen, um die öffentliche Person Wieck zur Rechenschaft zu ziehen. Eindeutig dagegen ist das Verdienst des Films, nicht vordergründig auf der faszinierenden Atmosphäre von Kampf, Bedrohung und Tod aufzubauen, wie viele Filme, die zurzeit des Nationalsozialismus spielen. Schübel wollte keinen "Hakenkreuz"-Film, kein "Holocaust-Melodram" realisieren. So wie der Faschismus in Ungarn erst langsam vordrang, entwickelt sich seine Geschichte behutsam von der Liebesbeziehung zwischen zwei Männern und einer Frau zu der spannungsreichen Auseinandersetzung der drei mit dem Mann, den sie für einen Freund gehalten haben. Der Nazi hat, im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, ein Gesicht, ist nicht das Zerrbild des verblendeten Ideologen. Wiecks Verrat an Ilona und Szabó ist zugleich ein Verrat der Werte, die er anfangs selbst vertritt. Insofern regt der Film auch das Nachdenken über diejenigen an, die jene Zeit des Dritten Reichs skrupellos für ihren persönlichen Erfolg genutzt haben.
Autor/in: Eckart Lottmann, 01.10.1999