Hintergrund
Die Kunst, Recht zu behalten – Ein Streifzug durch die Rhetorik
"Das ist das Schöne an Argumenten: Wenn du gut argumentierst, hast du immer Recht!" Diesen Rat gibt Nick Naylor in der Satire
Thank You For Smoking seinem Sohn, als dieser sich in einem Schulaufsatz zu der Frage "Warum haben die USA die beste Regierung der Welt?" abmüht. Naylor selbst behält allein dank seiner Eloquenz in den zahlreichen von ihm geführten Debatten immer Recht, zumindest aus Sicht des Publikums. Denn der Lobbyist der Tabakindustrie beherrscht die Kunst der eristischen Argumentation ausgezeichnet. Diese will nicht durch die Wahrheit und Schlüssigkeit der vorgetragenen Argumente überzeugen, wie dies einer logischen Argumentation entspräche. In der Eristik (von griechisch eris: Streit, Zwietracht) als rhetorische Kunst des Streitens und Debattierens geht es allein darum, unabhängig vom jeweiligen Sachverhalt Recht zu behalten. Möglich wird dies durch ein umfangreiches Repertoire an Argumentationstechniken, welches vorrangig auf die Emotionen der Zuhörenden zielt und je nach Bedarf der Verschleierung, der Verteidigung oder dem Angriff dient.
Absichtliche Fehlschlüsse
Zu den wichtigsten Techniken der eristischen Argumentation zählen Scheinargumente und absichtliche Fehlschlüsse. Letztere werden mit Bezug auf die Sophisten, einer Gruppe griechischer Philosophen, die im 5. Jahrhundert vor Christus Philosophie und Rhetorik als erste gegen Bezahlung unterrichteten, abschätzig auch Sophismen genannt. Solche logischen Scheinbeweise entstehen durch eine inkorrekte Ableitung einer Schlussfolgerung (Konklusion) aus vorangegangenen Behauptungen (Prämissen).
Naturalistische Fehlschlüsse
Ein beliebter Sophismus ist der so genannte naturalistische Fehlschluss: Aus faktischen Informationen wird eine wertende normative Aussage abgeleitet, die objektiv schwer nachprüfbar ist. Ein Beispiel: Männer und Frauen sind "von Natur aus da". Ergo ist Heterosexualität eine "natürliche Lebensform". Diese Argumentation scheint zunächst korrekt, denn Faktum folgt auf Faktum. Ein Fehlschluss entsteht jedoch, wenn die Heterosexualität als moralisch positiv, eine homosexuelle Lebensform jedoch als negativ beurteilt wird. Solche naturalistischen Fehlschlüsse finden sich daher häufig in moralischen Ausführungen und Appellen. Als solche können sie ein äußerst wirkungsvolles Instrument der Manipulation sein – vor allem dann, wenn sie von Autoritäten geäußert werden.
Persönlicher Angriff und Sündenbock-Konstrukte
Während Sophismen zwar gezielt fehlerhaft aber dennoch rational argumentieren, benötigt ein Scheinargument keinen logischen Aufbau. Äußerst populär ist beispielsweise das "argumentum ad personam", der persönliche Angriff. Den Kontrahenten/innen wird unterstellt, aufgrund ihrer besonderen politischen Orientierung, Profession oder Vergangenheit mangele es ihnen an Glaubwürdigkeit oder an der Fähigkeit zur logischen Schlussfolgerung. Natürlich sind solche biografischen Merkmale irrelevant für die Validität einer geäußerten Aussage. Um ein Publikum zu beeinflussen oder die Gegner/innen zu provozieren, sind sie jedoch besonders hilfreich.
In politischen Debatten sehr beliebt ist das Konstrukt eines Sündenbocks oder das subtile Umschwenken auf ein genehmeres Thema. Auch mit Vorwurfstaktiken ("Warum haben Sie …") oder dem Verweis auf Experten/innenmeinungen in der so genannten Autoritäts-Technik ("Schon die Studie besagt …") lässt sich der eigene Standpunkt untermauern.
Die dunkle Seite der Rhetorik
Etwa 2.500 Jahre alt ist die Rhetorik, die Lehre von der Theorie und Praxis des wirkungsvollen Redens. Eristische Techniken zur Durchsetzung eigener Interessen gehören längst zum rhetorischen Alltag – sei es in der Politik, der Wirtschaft oder auch im privaten Bereich. Dennoch sind solche "unfairen" Mittel in der modernen Gesellschaft weiterhin so umstritten wie im antiken Griechenland. Dies mag vielleicht auch der Grund dafür sein, dass es insgesamt nur wenig Literatur zu dieser 'dunklen' Seite der Rhetorik gibt. Die vielleicht bekannteste Anleitung zur eristischen Argumentation stammt aus der Feder eines deutschen Philosophen. In Eristische Dialektik oder Die Kunst, Recht zu behalten beschreibt Arthur Schopenhauer 38 so genannte Kunstgriffe, um in Debatten das Oberwasser zu behalten. Allerdings hat der große Denker seinen Text nie zu Lebzeiten publiziert; erst nach seinem Tode wurde diese Schrift im Jahre 1864 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Ein Manipulationsinstrument
Seit ihren Anfängen ist die Rhetorik auch dem Manipulationsvorwurf ausgesetzt. Bei diesen Kontroversen steht sie stets im Spannungsfeld von rhetorischer Praxis und philosophischem Ideal. Eine abwertende Verengung der Rhetorik auf die Eristik wird der Komplexität dieser Disziplin weder gerecht noch ist sie ihr förderlich. Während die Populär-Rhetorik in Form von Verkaufsschulungen, Manager-Trainings und zahlreichen Ratgebern hierzulande seit einigen Jahrzehnten boomt, ist es mit der Präsenz der Rhetorik in den Bildungs- und Ausbildungsinstitutionen jedoch schlecht bestellt. Auch eine öffentliche Debattierkultur, wie sie in den USA und Großbritannien in Form von zahlreichen Debattierclubs besteht, ist in Deutschland kaum ausgeprägt. Das führt unter anderem dazu, dass die persuasiven (überredenden) Elemente in Werbung und Politik durch die Massenmedien stärker und subtiler geworden sind, das rhetorische Analysevermögen der Öffentlichkeit damit aber nicht Schritt halten kann, teilweise sogar abgenommen hat. Nur so lässt sich erklären, dass ein großer Teil des Publikums die argumentativen Tricks eines Nick Naylor oder anderer PR-Strategen/innen und Politiker/innen nicht durchschaut und sich mit eristischen Techniken regelrecht "einwickeln" lässt.
Literaturhinweise und Links
Ueding, Gert: Klassische Rhetorik. München 2000
Ueding, Gert: Moderne Rhetorik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, München 2000
Kolmer, Lothar/Rob-Santer, Carmen: Studienbuch Rhetorik, Paderborn 2002
Soudry, Rouven (Hrsg.): Rhetorik. Eine interdisziplinäre Einführung in die rhetorische Praxis, 2006
Rhetorik im Internet
www.uni-tuebingen.de/uni/nas/definition/rhetorik.htm
Eine Einführung in die Geschichte der Rhetorik von Gert Ueding
http://gutenberg.spiegel.de/schopenh/eristik/eristik.htm
Online Publikation des Manuskripts von Arthur Schopenhauer: "Eristische Dialektik oder Die Kunst, Recht zu behalten"
www.debattierclubs.de/
Internetportal mit Informationen zu deutschen Debattierclubs
Autor/in: Patrick Bal, 11.10.2006
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