Für einen amerikanischen Mainstreamfilm gibt sich
Ich bin Sam erstaunlich mutig. Immerhin wagt Jessie Nelson die provokante These, dass ein geistig Behinderter mit Herzensbildung geeigneter ist, ein Kind zu erziehen als manche so genannte "Normalfamilie". Längst weiß man, dass in der Regel ganz "normale" Väter aus besten Verhältnissen ihre Kinder in Zeitmangel und Gleichgültigkeit vor dem Fernseher parken, schlagen oder gar sexuell missbrauchen. Verkehrte Welt also, wenn das Jugendamt ausgerechnet einem gütigen Mann das Sorgerecht für seine Tochter absprechen will, weil er ihr in der geistigen Entwicklung nicht mithalten kann?
Sam als Beatle-Fan
Sam Dawson hat den Intellekt eines Siebenjährigen. Deshalb kann er nur anspruchslose Tätigkeiten verrichten. In einem Kaffeehaus deckt der kleine Angestellte nur die Tische, denn mit dem Kochen von Kaffee ist er bereits überfordert. Zwar kann er nicht so gut lesen und schreiben wie seine siebenjährige Tochter Lucy, aber Sam ist nicht dumm. Zwischen seiner Biographie und der von John Lennon, aus dessen Leben der glühende Beatles-Fan Details erzählt, wenn er nach seiner Kindheit befragt wird, gibt es durchaus Parallelen: Sam musste ins Heim, weil sein Vater nach seiner Geburt das Weite suchte und die Mutter schwer krank wurde. John Lennons Mutter starb, als er noch ganz klein war.
Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit
Jedem, der ihm über den Weg läuft, begegnet Sam freundlich und hilfsbereit. Aggressionen und Wut sind ihm fremd. Sean Penn, der in dieser Rolle für den Oscar nominiert wurde, zeigt ihn als einen so selbstlosen Menschen, dass niemand in Versuchung geriete, ihn für seine Schwächen auszulachen. Geschickt lenkt Jessie Nelson immer wieder den Blick auf seine Stärken: Im Gegensatz zu anderen, die sich mit vielen kleinen Lügen über den Alltag retten, besteht Sam immer auf der Wahrheit. Oft geht seine Ehrlichkeit so weit, dass er sich dabei selbst schadet, vor allem in seinem Sorgerechts-Prozess. Diese Eigenschaften sowie seine unendliche Geduld und Mitleidsfähigkeit zeichnen ihn aus. Er würde nie auf die Idee kommen, die Mutter seiner Tochter, die sich nach der Entbindung einfach davon gemacht hat, anzuzeigen.
Glück im Unglück
Dennoch ist sich der frisch gebackene Vater seiner Defizite bewusst. Solange Lucy ein Säugling ist, weiß er sich zu helfen. Praktische Tipps holt er sich bei seiner Nachbarin. Das allmählich größer werdende Mädchen liebt seinen Daddy über alles, weil er ihr viel Zeit widmet und die beiden viel Spaß haben. Doch das reicht nach Meinung des Jugendamts nicht aus. Ausgerechnet an Lucys achtem Geburtstag werden Vater und Tochter brutal auseinander gerissen. Sam hat aber Glück im Unglück: Die erfolgreiche Star-Anwältin Rita Harrison übernimmt seinen Fall. Sogar – und das ist allerdings ein wenig unglaubwürdig – ganz umsonst.
Lösungsansätze
Trotz des großen Engagements der Juristin verliert Sam seinen ersten Prozess. Erst als Lucys verständige Adoptiveltern begreifen, dass nichts und niemand die Kleine von ihrem Daddy trennen kann, wendet sich das Blatt zum Guten, ziehen alle an einem Strang. Das rührende Happy End wirkt zwar nach Hollywood-Masche ein wenig konstruiert, dennoch bietet der Film mit seinem Plädoyer für mitmenschliche gegenseitige Hilfe und spezielle Fortbildungsangebote für geistig Behinderte Lösungsansätze.
Eine überforderte Mutter ...
Gleichzeitig veranschaulicht der Film an der Anwältin Rita als überforderter Mutter, dass erfolgreiche, gebildete Menschen nicht automatisch die besseren Eltern sind. Als Workaholic hat diese Frau so gut wie nie Zeit für ihren Sohn. Das ändert sich erst unter Sams positivem Einfluss. Dessen Leben ist trotz Handicap weit geordneter als das von Rita. Mit ihrem Perfektionsanspruch verkörpert sie den Prototyp einer modernen Frau, die alles will und sich dabei verzettelt. Entsprechend überreizt und übermüdet hetzt Rita von einem Termin zum nächsten, findet kaum eine Minute für ein privates Gespräch, rast im Porsche mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt und gönnt sich noch nicht einmal, in Ruhe zu essen.
... und ein Vater mit sozialer Kompetenz
Es braucht schon einen Außenseiter wie Sam, dessen spontane Reaktionen bewusst machen, welch absurde Formen mittlerweile die Existenz in schnelllebiger Fastfood-Zeit bestimmt, in der zwar für gemeinsame Unternehmungen mit der Familie keine Zeit mehr ist, dafür aber eine wöchentliche Sitzung beim Psychotherapeuten unumgänglich scheint. Aus solcher menschlicher Schieflage gewinnt der Film komische Momente, in der sich immer wieder die Frage stellt, wer hier eigentlich der Verrückte ist: ein harmloser Behinderter, der mit seinem Leben ganz gut ohne Psychiater zurecht kommt, oder eine perfektionsbestrebte Frau, die sich einbildet, ohne Therapeuten den Boden unter den Füßen zu verlieren? So zielt der Film auf angenehme, amüsante Weise auf soziale Kompetenzen, die unserer Leistungsgesellschaft zunehmend abhanden kommen: menschliche Wärme, Identifikationsvermögen und Taktgefühl.
Autor/in: Kirsten Liese, 01.05.2002