Die elfjährige Quamer hat an ihrem Körper bereits viele Verbrennungen von den kleinen Perlen, die sie zunächst erhitzen und dann in mühsamer Arbeit mit der bloßen Hand auf die Armreife drücken muss. Ihre Mitarbeit bei der Herstellung der Schmuckstücke ist unverzichtbar, damit ihre arme Familie aus Hyderabad überleben kann. Der erst kürzlich beim Internationalen Kinderfilmfestival LUCAS mit einer lobenden Erwähnung bedachte Kurzdokumentarfilm "Quamers Alltag" von Preeya Nair (Indien 2007) scheut nicht davor zurück, ein ungeschöntes Bild der harten Lebensumstände von Kindern in anderen Ländern zu zeigen. Dennoch bleibt er in der Grundtendenz hoffnungsvoll und stets auf Augenhöhe mit seiner Protagonistin, die die Zuschauenden durch die indische Millionenstadt führt und lebensfroh, aber auch mit klarem Blick von ihrem Alltag erzählt.

Auf Augenhöhe mit dem jungen Publikum

Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche haben es hierzulande nicht leicht. Anders als in den Niederlanden oder Dänemark findet das Genre in Deutschland meist nur als Festivalbeitrag oder als anrührende Tier- oder Naturdokumentation den Weg auf die Kinoleinwände. Vermenschlichte Tiere wie in Luc Jacquets erfolgreichem Dokumentarfilm (Frankreich 2004) oder in Zum Filmarchiv: "Königreich Arktis" (Adam Revetch, Sarah Robertson, USA 2007) sind jedoch nur eine Möglichkeit, einem jungen Publikum einen dokumentarischen Zugang zu unbekannten Welten zu eröffnen. Jenseits dieser populären Darstellungsformen entstehen Filme, die, ähnlich wie "Quamers Alltag" , als eindrucksvolle Portraits von Kindern und Jugendlichen Gleichaltrigen (und Erwachsenen) einen Einblick in ihr Leben bieten. Durch dieses Anknüpfen an die Lebenswirklichkeit und Erfahrungen der jungen Zuschauenden werden auch schwierige oder abstrakte Themen anschaulich und verständlich. Als Reporter/innen oder Forschende, die stellvertretend für ihr Publikum die Welt deuten, überbrücken die Protagonisten/innen kulturelle, soziale oder regionale Distanzen und ermöglichen Vergleiche des Bekannten und Gewohnten mit dem Unbekannten und Fremden. Nicht zuletzt stellen sie selbst Vorbilder und Modelle für das Leben und Verhalten der Zuschauenden dar. Zu selten noch erreichen diese qualitativ hochwertigen Dokumentarfilme jenseits des Mainstreams allerdings ihr Publikum.

Sich selbst in Szene setzen

Seit 2001 versucht die Sektion doxs!, im Rahmen der Duisburger Filmwoche die Leerstelle des Kinderdokumentarfilms zu füllen. Nun hat doxs! in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in der DVD-Edition Junge Helden Dokumentarfilme zusammengestellt, die Kinder fordern und sie ernst nehmen. Fantasievoll setzen die Kinder sich darin oft selbst in Szene und gestalten das Bild mit, das später einmal von ihnen zu sehen sein wird. So etwa der kolumbianische Junge, der in "Lunars Bilder" von Jean-Stéphane Sauvaire (Frankreich 2000) wortlos mit dem Rahmen eines alten Fernsehers seine Verwandten und Mitmenschen in den Mittelpunkt rückt. Oder die zehn Kinder, die in "Die Villa" von Calle Overweg (Deutschland 2005) mit selbst gedrehten Szenen von ihrem Alltag in einem Berliner Kinderheim erzählen. Die traumatischen Erlebnisse ihrer Vergangenheit jedoch finden keine Entsprechung in realen Bildern: Sie wurden als Animationssequenzen inszeniert. Spielerisch verbinden sich in dokumentarischen Formaten für Kinder reale Aufnahmen mit fiktionalen Elementen. Und doch geschieht dies nicht als Konfrontation, sondern als authentische Ergänzung. Auch in "Ayla, das Tsunamimädchen" von Wilma Ligthart (Niederlande 2005) findet die Regisseurin im Animationsfilm eine angemessene Möglichkeit, um eine lebensgefährliche Situation ihrer Protagonistin während der Naturkatastrophe im Dezember 2004 in Südostasien kindgerecht, aber nicht verharmlosend in Bildern umzusetzen. Im Gegensatz zu Erwachsenen existieren für Kinder reale Welten und Traumwelten nicht rational von einander getrennt, die Übergänge sind fließend. So kann auch der Junge in Noud Holtmans "Samuel, zur Zahnspange verdammt" (Niederlande 2002) in inszenierten Szenen endlich zeigen, was er gerne mit seiner verhassten Zahnspange anstellen würde. Und alle können dies nachvollziehen. Auch dieses Wunschdenken ist Teil des Lebens.

Zu weiteren Entdeckungsreisen lädt im November 2007 das Kurzfilmfestival interfilm ein, das unter dem Titel Schau auf die Welt! einen Teil seines Kinderprogramms dem Dokumentarfilm widmet.

Literatur und Links

Themenschwerpunkt Kinderdokumentarfilm, Schnitt, Nr. 44, Köln 2006

Goethe-Institut, doxs! (Hrsg.): Junge Helden. Dokumentarfilme für Kinder & Jugendliche, 22 Kurzfilme auf 5 DVDs mit Altersempfehlungen, 2007

Zum externen Inhalt: www.lucasfilmfestival.de (öffnet im neuen Tab)
Inhaltsangabe und Medienpädagogisches Begleitmaterial zu Quamers Alltag

Zum externen Inhalt: www.do-xs.de (öffnet im neuen Tab)
Website von doxs!, der Kinder- und Jugendfilmsektion der Duisburger Filmwoche

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Vom Festival zum Kinostart und als DVD in die Schule? (Hintergrund vom 06.02.2007)
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