Gerade aus der Haft entlassen, wird Johann Rettenberger sofort rückfällig: Er überfällt eine Bank. Auf gestohlene Fluchtautos verzichtet er bald, denn ein intensives, bereits im Gefängnis begonnenes Lauftraining ermöglicht ihm ertragreiche Raubzüge zu Fuß. Seine Beute versteckt er jedoch achtlos unter dem Bett. Das Laufen und das Rauben scheinen Rettenbergers wahre Passionen zu sein und markieren sein Doppelleben: Einerseits ist er ein gefeierter Marathon-Sieger, anderseits ein Krimineller auf der Suche nach dem nächsten Kick. Sein soziales Leben beschränkt sich auf die Beziehung zu seiner alten Liebe Erika, der er sich aber nicht öffnen kann oder will. Als er nach einem weiteren Laufwettbewerb seinen Bewährungshelfer erschlägt, hat die Polizei endlich eine Spur. Auf einer Hetzjagd durch das Wiener Umland rennt Rettenberger wie ein einsamer Wolf um sein Leben.

Benjamin Heisenberg adaptiert mit "Der Räuber" die Geschichte des österreichischen Serienräubers und Marathonläufers Johann Kastenberger, der im Jahr 1988 Polizei und Presse monatelang in Atem hielt. Wie sein unnahbarer Protagonist zeigt der Regisseur ausschließlich Interesse an der Bewegung. Der Räuber erfährt keinerlei psychologische Motivierung, auch auf eine soziale Analyse seiner Umgebung wird verzichtet. Heisenbergs minimalistischer Stil beschränkt sich auf eine konzentrierte Kameraarbeit, rhythmische Zum Inhalt: Montage und nur sehr wenige Dialoge. In den Fluchtsequenzen kennzeichnen allerdings harte Beats (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik), gelegentlich auch Opernmusik, die gehetzte Stimmung des Verfolgten. Nur Radiomeldungen (Glossar: Zum Inhalt: Off-/On-Ton) unterrichten ihn und das Publikum über den Stand der Ermittlungen.

Der im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale mit Beifall aufgenommene Film ist keine leichte Kost. Rettenberger ist mitnichten ein Sympathieträger. Was ihn antreibt, bleibt ungeklärt, steht aber als Frage im Raum. Der Regisseur möchte offensichtlich ein Gefühl existenzieller Einsamkeit und Getriebenheit zum Ausdruck bringen. In der misslungenen Kommunikation mit Erika lässt sich erahnen, dass Verletzungen und eigene Fehler in der Vergangenheit das Handeln des Räubers bestimmen. "Der Räuber" eigenet sich, wie auch klassische Stummfilme, vor allem zur Schulung des filmischen Blicks. Die Umsetzung von Bewegung in Bilder, das Hauptmotiv des Actionkinos, erscheint hier in seiner reduziertesten Form. Zudem lässt sich im Deutschunterricht die Erzählweise zwischen Romanvorlage und Verfilmung vergleichen, wobei auch die Berichterstattung über den tatsächlichen fall analysiert werden kann.

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