Gianfranco Rosis Zum Inhalt: Dokumentarfilm Zum Filmarchiv: "Seefeuer" (I, F 2016) beschreibt in erschütternden Bildern die Zustände auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa, wo jährlich mehr als Zehntausend geflüchtete Menschen nach gefährlicher Überfahrt aus Nordafrika ankommen. Der Film stellt den Alltag der einheimischen Bevölkerung, die unmittelbar mit dieser humanitären Katastrophe konfrontiert ist, der Situation der geflüchteten Afrikaner/-innen gegenüber, die oft nur mit Hilfe der Seenotrettung die europäische Küste erreichen. Mit dieser Perspektivierung wagt "Seefeuer" einen anderen Blick auf die europäische Flüchtlingskrise, die im internationalen Kino immer öfter in den Fokus rückt. So haben sich in dem Zeitraum zwischen (Großbritannien 2002) und Zum Filmarchiv: "Mediterranea" (Italien, Frankreich, USA, Deutschland, Katar 2015) verschiedene Narrative herausgebildet, die den Darstellungen in den Medien ein differenzierteres Bild von Fluchterfahrungen und Fluchtmotiven gegenüberstellen.

Mediterranea, Szene (© DCM)

Verhältnis zwischen Europa und Afrika

Vor dem Hintergrund aktueller globaler Fluchtbewegungen können diese Filme helfen, Fluchtursachen besser zu verstehen, Verständnis für die Lage der Geflüchteten zu entwickeln und Ressentiments abzubauen. Die Schule ist ein Ort, an dem ein Diskurs über die Ursachen und Folgen der Flüchtlingskrise sowie über das Schicksal der geflüchteten Menschen frühzeitig stattfinden sollte. Ein Film wie "Seefeuer" , der das Verhältnis zwischen Europa und dem globalen Süden an einem europäischen Brennpunkt darstellt, kann hier einen Dialog eröffnen, muss aber auch im Zusammenhang mit der jüngsten Welle von Filmen zum Thema betrachtet werden, die ganz unterschiedliche Aspekte von Flucht und Migration beleuchten. Diese Filme lassen sich nach den Kategorien Herkunftsland, Flucht und Ankunft unterscheiden, was insofern sinnvoll ist, als jedes dieser drei Narrative spezifische Erfahrungen und Zusammenhänge der Flüchtlingskrise thematisiert.

Verlust der Identität

Die oft traumatischen Erfahrungen vieler Geflüchteter in ihrer Heimat veranschaulicht etwa der Dokumentarfilm "Haunted" (Frankreich, Syrien, Libanon 2014) von Liwaa Yazji, der im Herbst 2016 seinen Kinostart haben wird oder den man vorab als DVD über den Verleih mec film beziehen kann: Verwackelte Handyvideos und Skype-Telefonate legen Zeugnis ab von der prekären Lage syrischer Zivilisten, die in den Wirren des Bürgerkriegs, unter dem Eindruck von Bombardements und Feuergefechten die existenzielle Entscheidung treffen müssen, zu fliehen oder zu bleiben. In Beirut sprechen bereits geflüchtete Syrer, untermalt von visuellen Erinnerungsfragmenten, über den Verlust ihrer Häuser und damit auch den schmerzlichen Verlust der Heimat. An diesem zentralen Thema des Films lässt sich im Unterricht eindringlich vermitteln, in welchem Maße Flucht und Vertreibung die Identität eines Menschen erschüttern. Beim schulischen Einsatz sollte stets die emotionale Belastbarkeit der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden, da sich einige Szenen in "Haunted" erst ab der 9. Jahrgangsstufe eignen.

Sehnsuchtsort Europa

Filme, in denen die Flucht selbst im Mittelpunkt steht, vermitteln hingegen einen Eindruck von den tödlichen Gefahren entlang der Wegstrecke und den psychischen wie physischen Belastungen. Der Dokumentarfilm (Deutschland, Mali, Algerien, Marokko 2011) beschreibt, wie die mitunter jahrelange Flucht in Richtung Europa zu einer wachsenden Entfremdung führt. Der Bauernsohn Mohammed aus Mali und der Musiker Jerry aus Kamerun sitzen an der marokkanischen Küste fest. Das Warten, aber auch die Repressionen durch lokale Behörden zehren an den Nerven und führen zu Frustrationen. Wenn Jerry von einer Karriere als Musiker in Europa träumt, lässt sich im Unterricht etwa beispielhaft herausarbeiten, wie die idealisierten Wunschbilder mancher Geflüchteter ("Paradies Europa") auf die soziale Realität ("Festung Europa") treffen. Eine Sichtungsmöglichkeit für "Fremd" kann man beim Peripher Filmverleih erhalten.

Gestrandet, Szene (© Pandora)

Soziales Engagement

In Filmen über die Aufnahme in Europa werden die Geflüchteten meist mit Ressentiments und Vorurteilen konfrontiert. Besser ergeht es den Protagonisten in der Langzeitbeobachtung Zum Filmarchiv: "Gestrandet" (Deutschland 2016), in der die Neuankömmlinge in einem ostfriesischen Dorf spontane und organisierte Hilfe durch Einheimische und Behörden erfahren. Differenziert beschreibt der Film, wie ehrenamtliche Helfer/-innen die fünf Männer aus Eritrea, die auf der Flucht Angehörige und Freunde verloren haben, bei den ersten schwierigen Schritten zur Inklusion unterstützen. Diese Unterstützung reicht von der Übersetzung von Behördenbriefen über einen unkonventionellen Deutschunterricht bis zur Vermittlung eines Jobs auf dem Bauhof. Zugleich sensibilisiert der Film für die individuellen Schicksale der Asylsuchenden, die unter der Ungewissheit über ihren Status leiden. So bietet "Gestrandet" die Gelegenheit, im Unterricht über Chancen (aber auch Beschränkungen) des humanitären Engagements zu sprechen. Am Beispiel der Lokaljournalistin Christiane, die die Geflüchteten bei Behördengängen begleitet, lassen sich der Spracherwerb und das interkulturelle Lernen als Bausteine einer erfolgreichen Eingliederung aufzeigen.

Angst und Ablehnung

Der Spielfilm "Mediterranea" beschreibt alle drei Stationen der Flucht zweier junger Männer aus Burkina Faso. Nach der strapaziösen Durchquerung der Sahara und einer gefährlichen Bootsreise über das Mittelmeer landen sie schließlich in Süditalien, wo sie sich als Erntehelfer durchschlagen, aber auch mit Gleichgültigkeit oder gar Rassismus der einheimischen Bevölkerung konfrontiert werden. Das mit nüchternem Realismus inszenierte Drama greift die fremdenfeindlichen Unruhen in der Kleinstadt Rosarno im Jahr 2010 auf. Am Beispiel dieser wahren Begebenheiten könnte man im Unterricht auch auf das gesellschaftliche Klima eingehen, auf das die Geflüchteten in Europa stoßen. Neben Anteilnahme und Unterstützung begegnet den Geflüchteten auch ein zum Teil gewaltbereiter Rassismus. Die sozialen Ursachen für Angst und Ablehnung sollten in diesem Zusammenhang ebenfalls diskutiert werden.

Viele Fluchtmotive

Die genannten Filme beschreiben eine Vielzahl von Fluchtursachen und –motiven.
Vor allem in den afrikanischen Koproduktionen ist häufig zu sehen, dass Armut und Hunger die Menschen in die Flucht treiben. So suchen der Bauernsohn Mohammed in "Fremd" oder der Familienvater Ayiva in "Mediterranea" in Europa Arbeit, um ihre notleidenden Familien finanziell zu unterstützen. Viele Geflüchtete sind auch von der bloßen Hoffnung auf ein besseres Leben getrieben – wie etwa die Afrikaner im Dokumentarfilm "Les Sauteurs" (Dänemark 2016, deutscher Kinostart: 17. November 2016), die die Grenzanlagen der spanischen Exklave Melilla in Marokko überwinden wollen. Hinzu kommen oft übersteigerte Vorstellungen über das Leben in Europa, die wie etwa in "Mediterranea" durch geschönte Facebook-Berichte auch von angekommenen Geflüchteten verbreitet werden.

Fremd, Trailer (© Peripher Filmverleih)

Erzählperspektiven

Gemeinsam ist diesen Filmen, dass sie Einzelschicksale in den Mittelpunkt stellen und so den Menschen aus der Masse anonymer Fluchtbewegungen individuelle Gesichter verleihen. Dieser Fokus erleichtert die Anteilnahme am Schicksal der Asylsuchenden. Dabei kommt auffällig oft die Handkamera zum Einsatz, die in Filmen wie "Fremd" , "Mediterranea" und "Les Sauteurs" die subjektive Erfahrung der geschilderten Fälle unterstreichen und darüber hinaus oft eine dramatische Wirkung entfalten soll.

Bemerkenswert ist der neue Ansatz, geflüchtete Menschen nicht auf die Rolle von Protagonisten/-innen zu beschränken, sondern sie auch als Erzähler/-innen ihrer eigenen Geschichte zu ermächtigen. Wenn Filmschaffende die Kamera an die Geflüchteten weitergeben, werden diese von passiven Objekten der Beobachtung zu Akteuren. In "Les Sauteurs" überlassen die deutschen Regisseure die Kamera dem malischen Migranten Abou Bakar Sidibé, in "Life on the Border" (Irak 2015) lädt der kurdische Produzent Bahman Ghobadi acht Kinder aus den Flüchtlingslagern Kobanê in Syrien und Sindschar im Irak ein, mit Videokameras ihre eigene Lebensgeschichte zu erzählen.

Filmeinsatz in der Grundschule

Durch den leichten Zugang über eine visuelle Erzählung eignet sich das Medium Film besonders für die Arbeit mit jüngeren Altersstufen. Hierfür sollten Filme mit einfacher Geschichte und klarer Botschaft gewählt werden, um das Empathievermögen der Grundschüler/-innen und grundlegende Werte des interkulturellen Zusammenlebens zu fördern. Es bieten sich Filme wie Zum Filmarchiv: "Paddington" (Großbritannien, Frankreich 2014) oder "Hotel California" (Deutschland 2016) an. "Paddington" , eine Kombination aus Zum Inhalt: Trick- und Realfilm, hat keine Fluchtthematik im eigentlichen Sinne, vermittelt Kindern im Grundschulalter aber auf intuitive Weise ein Verständnis für die Probleme eines Lebens in der Fremde. Ein schweres Erdbeben zwingt einen tollpatschigen Jungbären aus Peru zur Emigration nach London, wo der Heimatlose in einer britischen Familie unterkommt. Durch slapstickhafte Einlagen erzählt so die Familienkomödie von kulturellen Anpassungsschwierigkeiten und bringt so Kindern ab sieben Jahren eine exemplarische Fluchterfahrung nahe. Dass Flucht auch Teil der europäischen Geschichte ist, verdeutlicht etwa eine Szene, in der in einer Zum Inhalt: Rückblende die Geschichte des Antiquitätenhändlers erzählt wird, der als Kind vor dem Nationalsozialismus floh und nach England einwanderte.

Der Kurzspielfilm "Hotel California" eignet sich für den Einsatz zu Beginn der Sekundarstufe I. Das Kooperationsprojekt entstand unter professioneller Anleitung 2015 in Workshops des ABC Bildungs- und Tagungszentrums in Drochtersen-Hüll. Dabei begegneten sich je ein Dutzend junge Erwachsene mit und ohne Fluchterfahrung vor der Kamera, um typische Konflikte in einer Sammelunterkunft für Asylsuchende darzustellen. Kritisch beleuchtet wird vor allem, wie die Hürden der Bürokratie und individuelle Schikanen die viel zitierte "Willkommenskultur" untergraben. Die deutschen und ausländischen Jugendlichen lernen schließlich, ihre Vorurteile zu überwinden und sich gegenüber Menschen in Not solidarisch zu zeigen. Die metaphorisch überhöhte Schlusssequenz, in der die Abschiebung eines afrikanischen Asylbewerbers verhindert wird, ermöglicht eine erste Auseinandersetzung mit dem deutschen Asylrecht. Abseits der Verantwortung auf politischer Ebene kann so auch die Frage diskutiert werden, was der Einzelne tun kann, um geflüchteten Menschen zu helfen.

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