Bei der rezeptiven Filmarbeit in Regel- und Willkommensklassen steht nicht nur das gemeinsame und verbindende Seherlebnis im Vordergrund. Über Film und Kino lassen sich – außerhalb des üblichen schulischen Rahmens – Unterricht, Spracherwerb und Vermittlung von Kultur und Lebenswelten miteinander verbinden. Filmarbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen eröffnet somit vielseitige Möglichkeiten, den Spracherwerb zu fördern, die Kommunikation anzuregen, aber auch etwa gesellschaftliche und kulturelle Werte zu vermitteln. Zugleich erfordert dies aber auch ein erhöhtes Maß an interkultureller Sensibilität, um den Austausch zwischen den Schülerinnen und Schülern zu unterstützen sowie die geflüchteten Jugendlichen an die Kultur ihrer neuen Heimat heranzuführen.

Was für einen Kinobesuch mit einer Regelklasse gilt, nämlich genau abzuwägen, ob der ausgewählte Film der Zielgruppe in Bezug auf Alter, Thematik und Machart entspricht, gilt ebenso, wenn nicht sogar verstärkt, für Willkommensklassen. Dabei spielen hier besondere Faktoren eine Rolle. Denn die Kinder und Jugendlichen sind aus Krisen- und Kriegsgebieten nach Deutschland gekommen, haben individuelle Fluchterfahrungen und wurden nicht selten von ihren Familien getrennt. Solche einschneidenden Ereignisse sind besonders in jungen Jahren schwer zu verarbeiten, Heranwachsende leiden oft über Jahre unter den Folgeschäden. In der Psychologie spricht man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Ihre Symptome sind auf den ersten Blick schwer zu erkennen, was insbesondere für Pädagoginnen und Pädagogen, die psychologisch nicht ausgebildet sind, eine Herausforderung darstellt. Äußere Merkmale können von Apathie und Konzentrationsstörungen über Angstzustände bis hin zu körperlichen Aggressionen reichen.

Die Filmarbeit ist in solchen Fällen ein sensibles Thema, weil das Medium Film eine besonders starke Wirkung auf die Betrachtenden ausübt, wie Martina Bock, Traumapädagogin der Stiftung Wings of Hope, erklärt: "Traumata werden nicht als ganze Erinnerung abgespeichert, sondern fragmentarisch. Diese Fragmente können Töne, Bilder, Atmosphäre, Gerüche, Gedanken oder Gefühle sein. Weil Filme auf unterschiedliche Sinneskanäle einwirken, reagieren Menschen auch auf ganz unterschiedliche Reize." Das betrifft umso mehr Kinder und Jugendliche, die weniger darin geübt sind, zwischen Film und Realität zu unterscheiden. Für die Filmarbeit im Unterricht gilt es zu berücksichtigen, dass unter Umständen schon ein Geräusch, eine starke Emotion oder gar eine Stimmung eine traumatische Erinnerung auslösen kann. Eine gewissenhafte Vorbereitung ist daher ratsam. Für geflüchtete Kinder und Jugendliche, die möglicherweise noch nie in einem Kino waren, kann allein das Sitzen in einem dunklen Saal eine ungewohnte und durchaus ängstigende Situation darstellen. Alternativ bietet sich dann eine Filmvorführung im vertrauten Klassenzimmer an. Sichtet die oder der Lehrende den Film vorab, kann er diesen auf kritische Stellen hin prüfen und die Schülerinnen und Schüler für bestimmte Szenen bereits vor der Filmvorführung entsprechend vorbereiten und sensibilisieren.

Ein grundlegendes Verständnis von den Ursachen und Wirkungen eines Traumas kann dabei helfen, Reaktionen von Kindern und Jugendlichen richtig einschätzen zu können. Martina Bock beschreibt Traumata als Ereignisse, die mit großem Erschrecken, Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht einhergehen. Sie übersteigen die normalen Bewältigungsmöglichkeiten des Menschen. Die Alarmreaktionen der betroffenen Person werden aktiviert. "Traumata sind keine abgeschlossenen, verarbeiteten Erfahrungen. Sie werden im Gehirn nicht mit Anfang und Ende und einer zeitlich-räumlichen Orientierung abgespeichert, sondern bleiben zeitlos. Ein Schlüsselreiz – ein Bild oder ein Geräusch – kann eine traumatisierte Person wieder in das alte Erlebnis versetzen." Ein davon betroffenes Kind braucht in diesem Moment das Gefühl, dass es sich in Sicherheit befindet. Dies kann man mit einfachen Mitteln, die Lehrerinnen und Lehrer aus ihrem Schulalltag bereits kennen dürften dürften, erreicht werden.

Solche Re-Orientierungstechniken haben das Ziel, den Menschen wieder in die Realität zurückzuholen. Erfahrungsgemäß gelingt dies am besten, indem die oder der Lehrende das Kind beim Vornamen anspricht und beruhigt. Ein Ortswechsel schafft eine neue Situation und ermöglicht dem Kind, sich wieder in das vertraute Umfeld einzugewöhnen, wobei es nicht ratsam ist, es in dieser Situation alleine zu lassen. Ein Schluck Wasser oder etwas zu essen hilft ebenfalls, ein Stück Normalität wiederherzustellen.

"Auch die Gruppendynamik innerhalb einer Klasse spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle", erklärt Traumapädagogin Martina Bock. "Das betroffene Kind darf nicht das Gefühl bekommen, anders zu sein und sich für sein Verhalten schämen zu müssen." Darum sollte es darin bestärkt werden, dass eine solche Reaktion aufgrund der persönlichen Erfahrung ganz normal ist. Damit es nicht zu Hänseleien kommt, empfiehlt es sich, das Thema mit zeitlichem Abstand im Klassenverbund zu besprechen. Die beschriebenen Maßnahmen sind jedoch eher als "Erste Hilfe" zu verstehen, ersetzen also durchaus keine professionelle Hilfe einer Schulpsychologin oder eines Schulpsychologen, welche(r) langfristig helfen kann die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.