Kategorie: Filmbesprechung
"Rico, Oskar und die Tieferschatten"
Lebhafte Kinderbuchverfilmung um zwei Jungen und ihre Jagd auf einen Kindesentführer.
Unterrichtsfächer
Thema
Der zehnjährige Rico nennt sich selbst „tiefbegabt“. Diese Behauptung trägt er gegenüber seinen Mitmenschen mit so viel Selbstvertrauen vor, dass man ihn dafür nur bewundern kann. Manchmal, erzählt Rico in Neele Leana Vollmars Film "Rico, Oskar und die Tieferschatten" , fallen ihm einfach seine Gedanken aus dem Kopf – wie die Kugeln in einer Bingotrommel. Bingo ist das Hobby von Ricos alleinerziehender Mutter Tanja. Einmal in der Woche gehen die zwei zum Bingo-Abend in ihrer Nachbarschaft, sonst hat Tanja nicht viel Zeit für ihren Sohn.
Das Mietshaus als Mikrokosmos
Nachts arbeitet Ricos Mutter in einem Amüsierlokal, um den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn zu verdienen. Tagsüber holt sie Schlaf nach. Doch obwohl sie mit der Mutterrolle manchmal überfordert scheint, tut sie alles, um Rico das Leben zu erleichtern. Anweisungen, die ihm bei der Bewältigung des Alltags helfen, spricht sie auf Kassetten und schreibt sie auf Notizzettel. Ricos überschaubares Universum ist sein Zum Inhalt: Wohnhaus im Berliner Bezirk Kreuzberg mit einigen sehr exzentrischen Nachbarn, die auch ein Querschnitt der bundesdeutschen Bevölkerung sein könnten: der arbeitslose Nörgler Fitzke, den Milan Peschel wunderbar heruntergekommen im Schlafanzug und mit geklebter Brille darstellt, der smarte Anzugträger Kiesling, der Mann vom Schlüsseldienst Marrak und die sympathische Frau Dahling, mit der Rico regelmäßig Liebesschnulzen im Fernsehen guckt.
Rico erkundet seine Umwelt
Die Sommerferien haben begonnen und Rico muss sich wieder mal allein beschäftigen. Da er Probleme mit der Orientierung hat, konzentriert er sich auf sein Haus und sammelt Fundstücke, die er auf der Straße entdeckt: ein Kaugummipapier oder eine gekochte Nudel, deren Herkunft er neugierig erforscht. Dabei steht eines Tages der zwei Jahre jüngere Oskar vor ihm, der auf Ricos selbstbewusste Behauptung, er sei "tiefbegabt", herausfordernd entgegnet, dass er dafür "hochbegabt" sei. Über Oskar erfährt der Zuschauer nur, dass er bei seinem alleinerziehenden Vater lebt, an dessen Liebe der schmächtige Junge jedoch zweifelt. Vielleicht ist er darum auch so ängstlich. Auf die Straße geht er nie ohne Helm, schließlich besagen die Unfallstatistiken, dass jederzeit etwas Schreckliches geschehen könnte.
Dem Entführer auf der Spur
So kommt es dann auch: In Berlin treibt der Schnäppchen-Entführer Mister 2000 sein Unwesen. 2000 Euro verlangt er für die Freilassung der entführten Kinder – das relativ niedrige Lösegeld können sich ja wohl alle Eltern irgendwie leisten. Als Oskar das nächste Opfer von Mister 2000 wird, ist Rico plötzlich auf sich allein gestellt. Um seinen neuen Freund aus den Händen des Entführers zu befreien, muss Rico all seinen Mut zusammen-nehmen und seine vertrauten Straßen verlassen. Regisseurin Neele Leana Vollmar erzählt diese Zum Inhalt: Detektiv-Story allerdings eher nebenbei, ohne großes Aufheben darum zu machen. Ihr geht es vor allem um die Freundschaft der beiden unterschiedlichen Jungen und um die Welt, in der sie sich bewegen.
Gemeinsam stark
Rico und Oskar haben eins gemeinsam: Sie haben keine Freunde. In ihrer Verschiedenheit ergänzen sie sich jedoch ausgezeichnet. Rico ist mutig und selbstbewusst, Oskar dafür furchtbar gescheit. Mit ihren jeweiligen Fähigkeiten können sie sich vorbehaltlos aufeinander verlassen. Wenn Rico mal wieder ein Fremdwort Oskars nicht verstanden hat, spricht er es in seinen Kassettenrekorder und es ist ihm nicht peinlich, Wörter wie "arokant" in seinem Lexikon nachzuschlagen. Dass er möglicherweise an einer Aufmerksamkeitsstörung (ADS) leidet, kann der Zuschauer nur vermuten. Ausgesprochen wird das Wort im Film nicht. Rico weiß um seine Schwäche, lässt sich aber nie unterkriegen. Oskar folgt seinem älteren Freund und auf der Dachterrasse kann er mit ihm zusammen sogar ohne Angst über das Geländer blicken.
Kindliche Selbstbehauptung
Neele Leana Vollmar hat für die Zum Inhalt: Adaption von Andreas Steinhöfels erfolgreichem Kinderbuch eine plastische Zum Inhalt: Filmsprache gefunden, die dennoch nie plakativ wirkt. Ricos Kugeln im Kopf werden mit Bilddopplungen dargestellt und wenn er mal wieder angestrengt nachdenkt, folgt ihm die Kamera in Zum Inhalt: Zeitraffer, um seine Verwirrung zu veranschaulichen. Angelehnt an die Buch-Illustrationen weisen Zum Inhalt: animierte Zeichnungen den Weg über das Dach zu den unheimlichen Tieferschatten, die Rico nachts in der verlassenen Wohnung gegenüber beobachtet. Dazu haben die Sportfreunde Stiller ihm den mitreißenden Zum Inhalt: Titelsong "Mein Kopf spielt Bingo" gewidmet, der wie eine Hymne über kindliche Selbstbehauptung vorgetragen wird. Neele Leana Vollmar ist es wunderbar gelungen, eine Stimmung und ein Gefühl für die beiden Jungen zu transportieren. Sie hat sich der Vorlage mit großem Respekt genähert und einen visuell eigenständigen Zugang zu einer Geschichte gefunden, die von ihren authentischen Figuren lebt.