Kategorie: Filmbesprechung
"Good Bye, Lenin!"
Wolfgang Beckers erfolgreiche Komödie stellt die Geschichte des Mauerfalls auf den Kopf.
Unterrichtsfächer
Thema
Die Zeit des Mauerfalls und die verwirrende Komplexität der deutschen Wiedervereinigung bot bereits mehrfach Stoff für Komödien wie "Sonnenallee" und "Helden wie wir" . Auch Wolfgang Beckers Film thematisiert die jüngere Vergangenheit, allerdings nicht nur mit lachendem Auge. Er reflektiert die politischen Ereignisse anhand der fiktiven Geschichte der Ostberliner Familie Kerner, zeigt den raschen Niedergang der DDR-Alltagskultur und stellt die Frage, was gewesen wäre, wenn die Geschichte einen anderen Kurs genommen hätte.
Kompensierte Vergangenheit
Rückblickend erinnert sich der Protagonist Alex an seine Kindheit in der DDR. Er empfindet sie sorglos und heiter, bis der Vater von einer Dienstreise aus Westberlin nicht mehr zurückkehrt. Für Alex hat er Land, Ideologie und vor allem seine Familie verraten und die Mutter verbannt nach einigen verstörenden Wochen ihren Mann aus Gesprächen und dem Leben. Fortan findet sie in politischem Über-Engagement Befriedigung, "heiratete das sozialistische Vaterland", wie Alex ironisch kommentiert.
Gespaltene Ansichten
Elf Jahre später feiert die DDR ihr 40-jähriges Bestehen mit einer gigantischen Militärparade. Originalaufnahmen kontrastieren in der Montage die Aufbruchsstimmung der Bürgerrechtler mit dem verstaubten Gebaren der Politiker. Auch bei den Kerners sind die Positionen unterschiedlich: während Christiane als vorbildliche Parteigenossin zu den Geladenen des Festakts zählt, demonstriert der inzwischen 22-jährige Alex am Abend des 7. Oktober 1989 für Reisefreiheit und überfällige Reformen.
Gesellschaftlicher und privater Infarkt
Als Polizisten die Demonstration zerschlagen, verhaften sie auch Alex. Die Mutter beobachtet die rüden Szenen, erleidet einen Herzinfarkt und fällt ins Koma. Acht Monate lang wird sie die Weltpolitik verschlafen – Becker lässt in schnellen Schnitten die wichtigsten Ereignisse mit Nachrichtenbildern aus Ost und West Revue passieren. Der eigentliche Chronist bleibt jedoch Alex mit seinen trockenen Kommentaren im Off.
Suchende im Konsumrausch
In kurzen Spielszenen zeigt Becker exemplarisch die Verwirrung, Orientierungslosigkeit und zunehmende Verbitterung der Älteren, kontrastiert sie mit der Lust der Jüngeren an Veränderung. Die ganze Stadt scheint zum Nabel der Welt geworden, alles ist möglich. Alex jedoch lässt sich nicht so schnell blenden. Zunehmend kritisch blickt er auf den Ausverkauf der DDR und den hemmungslosen Konsumrausch seiner Landsleute. Die entsprechenden Bilder des Films reduzieren sich jedoch auf bekannte Klischees: IKEA, Westautos, Burger King, Satellitenschüsseln, Sex-Shops und Coca-Cola sind die Vorreiter einer neuen Zeit. Ausgemistete Pressspanmöbel häufen sich auf Berliner Bürgersteigen, altes DDR-Design verbleicht, Kleidungsstücke outen ihre Träger als Ossis. Glücklicherweise zelebriert Becker die Erinnerung an den DDR-Alltag nicht als Requisitenschlacht wie einst "Sonnenallee" .
Wiederkehr des Alten
Kurz vor der Währungsunion im Sommer 1990 erwacht Christiane Kerner. Da ihr die neue Realität das Leben kosten könnte, beschließt Alex, der heiß geliebten Mutter den vertraut verstaubten Alltag vorzuspielen und trimmt die inzwischen verwestlichte Plattenbauwohnung wieder auf DDR-Niveau. Die Familie rangiert bei ihm weiterhin an erster Stelle und für sie ist er auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Allerdings muss Alex mit der Wiederkehr der alten "Normalität" einen riesigen Spagat zwischen zwei Realitäten leisten. Er jagt den plötzlich rar werdenden "Ost"-Produkten hinterher – Alltagsgütern wie Spreewaldgurken oder Tempo-Linsen. Derweil konzentriert sich im mütterlichen Schlafzimmer die Beschaulichkeit der alten Zeit. Doch seit er bei einem Westberliner Unternehmen arbeitet, scheinen die Uhren plötzlich schneller zu ticken. Becker verdeutlicht das im Film mit einem leichten Zeitraffer. Und dann gibt es für Alex noch seine erste Liebe mit der russischen Lernschwester Lara. Bevor Alex ihr endlich seine Gefühle offenbart, spricht er sich mit einem alten DDR-Parteimotto Mut zu: "Wir lösen die Probleme im Vorwärtsschreiten."
Realitätsverzerrungen
Lange kann Alex die neue Wirklichkeit vor der Wohnungstür nicht mehr ausbremsen: Während Christianes Geburtstagsfeier wird auf einer gegenüberliegenden Hauswand ein irritierendes Coca-Cola-Transparent entrollt. Nun ist Arbeitskollege Denis gefragt, mit dem Alex sich trotz des unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds angefreundet hat: Denis, ein pfiffiger Westberliner und Videotüftler, träumt davon, eines Tages Regisseur zu werden. Als neuer Sprecher der "Aktuellen Kamera" lässt er die DDR in einem Patentverfahren nicht nur über den Coca-Cola-Konzern siegen, sondern behauptet sogar, dass das Getränk eigentlich eine sozialistische Erfindung gewesen sei.
Geschichte und Geschichten
Eine Notlüge erzwingt die nächste. Alex und Denis werden zu Regisseuren einer erfundenen Wirklichkeit. Als die Mutter eines Tages auf die Straße hinunter stolpert und eine ihr fremde Welt entdeckt, wird Denis in seiner "Aktuellen Kamera" erklären: Erich Honecker habe der Einreise der seit zwei Monaten in den DDR-Botschaften von Prag und Budapest Zuflucht suchenden BRD-Bürger zugestimmt. Arbeitslosigkeit, mangelnde Zukunftsaussichten und die zunehmenden Wahlerfolge der neonazistischen Republikaner hätten sie dazu bewogen. Christiane Kerner glaubt tatsächlich das Unfassbare. Als sie dann allerdings beschließt, den neuen Bürgern die Familiendatsche zu überlassen, wird Alex klar, dass sein Spiel ein Ende finden muss.
Bittersüße Komödie
So schwungvoll "Good Bye, Lenin!" beginnt, gegen Schluss zieht sich der Film unnötig in die Länge. Nicht immer glückt der Spagat zwischen Komödie und Tragödie, dann wirkt der Film unentschlossen, gar oberflächlich. Wenige Schlüsselszenen unterbrechen die klassische Erzählstruktur des Films. Eine davon ist der Abtransport der riesigen Lenin-Statue mit einem Hubschrauber. Christiane Kerner nimmt wie im Traum Abschied von dem Idol. Im Vorbeiflug scheint Lenin ihr seinen Arm zum Gruß hinzustrecken: "Good bye, Lenin!”. Enden so Idole und Visionen? Was, wenn die Geschichte der Wiedervereinigung wirklich anders verlaufen wäre? Regisseur und Drehbuchautor zeichnen leider nur einen merkwürdig verhaltenen Entwurf, der sich zu sehr von den Fakten der Geschichte knebeln lässt.
Blick nach Vorne
Bemüht, möglichst viele Facetten der Wiedervereinigung zu zeigen, konzentriert sich der Blick zu sehr auf das Geschehen in Ostberlin. Als einziges deutsch-deutsches Verbindungsglied fungiert die Fußballweltmeisterschaft – und das ist etwas dürftig. Zu einer echten, charakterisierenden Gegenüberstellung zwischen Ost und West kommt es leider nicht. Alex indes ist ein sympathischer Reiseleiter in die Vergangenheit. Frei von politischen Dogmen, doch mit ausgeprägtem sozialen Gewissen, repräsentiert er jene Generation, die sich in die neue gesellschaftliche Wirklichkeit einfinden kann. Doch erst gegen Schluss scheint ihm bewusst zu werden, was die DDR für ihn wirklich war: "Ein Land, das es in Wirklichkeit nie so gegeben hat, das in meiner Erinnerung immer mit meiner Mutter verbunden sein wird."