So manche Künstler spielten im Dritten Reich eine zweifelhafte Rolle, selbst oder gerade wenn sie sich nur widerspruchslos als 'unpolitische' Entertainer begriffen. Mit einem besonders prominenten Mitläufer setzt sich der ungarische Regisseur István Szabó in seinem neuen Kinofilm auseinander : Wilhelm Furtwängler (1886-1954) gilt neben Arturo Toscanini als bedeutendster Dirigent seiner Generation. Er blieb nach 1933 trotz mehrerer Emigrationsmöglichkeiten in Deutschland, ließ sich zum Staatsrat befördern und von den Nazis als Aushängeschild der deutschen Hochkultur benutzen. Andererseits rettete er jüdische Musiker vor dem sicheren KZ-Tod, indem er ihnen zur Flucht verhalf.
Ein Theaterstück als Vorlage
Der britische Dramatiker Ronald Harwood hat den Fall Furtwängler in seinem Stück "Taking Sides" verarbeitet, das 1995 in London mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Das Besondere am Stück und an seiner Drehbuchvorlage ist die Verweigerung einfacher Antworten auf komplexe Fragen zum Verhalten von Künstlern in der Diktatur zwischen Kollaboration und Widerstand. Das Publikum wird zum Schiedsrichter bestellt und muss sich ein eigenes Urteil bilden, so wie der Filmtitel ins Deutsche übersetzt "Stellung beziehen" lautet.
Die Figuren
Im Herbst 1945 soll der US-Major Steve Arnold in Berlin ein Exempel am international hoch angesehenen Dirigenten Wilhelm Furtwängler statuieren und eindeutige Beweise für seine Kollaboration mit den Nazis sammeln. Zwei Deutsche werden ihm zur Seite gestellt: Emmi Straube ist die Tochter eines hingerichteten Widerstandskämpfers und KZ-Überlebende, David Wills ein deutsch-jüdischer Emigrant in US-Armeediensten. Arnold ist als hartnäckiger Verfechter einfacher Schwarz-Weiß-Kategorien erstaunt, dass die beiden Furtwängler trotzdem wegen seiner musikalischen Leistungen schätzen. Als ehemaliger Versicherungsdetektiv lässt sich Arnold jedoch nicht davon abhalten, seine bewährten harschen Befragungsmethoden anzuwenden. In hitzigen Wortgefechten treibt der gnadenlose Offizier den sensiblen Dirigenten argumentativ und emotional in die Enge.
Theatralische Inszenierung
Szabó, auf der Berlinale 2002 mit einem neu geschaffenen Friedenspreis geehrt, behält die kammerspielartige Grundkonstellation bei und lockert sie lediglich durch Dokumentaraufnahmen und Szenen im Freien auf, die Schlaglichter auf das Kriegsgeschehen werfen. Damit handelt er sich zwar den Vorwurf einer allzu theatralischen Inszenierung ein, zwingt das Publikum jedoch zur Konzentration auf den anspruchsvollen inhaltlichen Diskurs. Einmal mehr bewährt er sich als glänzender Schauspielerregisseur, der hier Harvey Keitel und Stellan Skarsgard als intellektuelle Kontrahenten zu Höchstleistungen führt. Die deutsch-französisch-britische Koproduktion vermeidet die Ausstellung von Klischeefiguren und stattet die Protagonisten mit charakterlicher Tiefenschärfe und ambivalenten Zügen aus. So erfährt man während des unerbittlichen Verhörs, dass Arnolds Selbstgerechtigkeit seine Ehe scheitern ließ und dass der bewunderte Dirigent seine Anziehungskraft auf Frauen zu zahlreichen Affären ausgenutzt hat, die uneheliche Kinder zur Folge hatten.
Entnazifizierung im Nachkriegsdeutschland ...
Während viele Filme zum Kollaborationsproblem während der NS-Diktatur spielen, wie Szabós Oscar-gekröntes Meisterwerk
Mephisto nach Klaus Manns Roman über den Staatsschauspieler Gustaf Gründgens oder der aktuelle französische Kinofilm
Der Passierschein von Bertrand Tavernier, ist
Taking Sides in der direkten Nachkriegszeit angesiedelt. Nicht zuletzt durch die Einschaltung eines unbeteiligten US-Provinzlers ermöglicht dies eine distanziertere Bewertung der Vorgänge. Deutlich werden dabei zugleich die unterschiedlichen Positionen der Besatzungsmächte, ja sogar die widerstreitenden Ansichten zum Umgang mit der NS-Problematik auf amerikanischer Seite.
... mit zweierlei Maß
So liest man im Abspann, dass Furtwängler nach 1945 nicht mehr in den USA auftreten durfte, sein junger Rivale Herbert von Karajan, ein zweimaliges NSDAP-Mitglied, aber nach Furtwänglers Tod durchaus die Nachfolge als Dirigent der Berliner Philharmoniker antreten durfte – und Weltkarriere machte. In mehreren Szenen wird ferner angedeutet, dass dem trinkfreudigen sowjetischen General und Musikliebhaber in der sowjetischen Besatzungszone, der Furtwängler im Auftrag Stalins durch einen Deal mit den Amerikanern in den Osten holen sollte, die Liquidierung drohte, falls sein Vorhaben misslingen würde.
Kunst und Politik
Während Furtwängler im Film auf dem Standpunkt beharrt, dass Kunst und Politik nichts miteinander zu tun haben, glaubt der moralisch rigorose Arnold Beweise dafür gefunden zu haben, dass der Künstler doch mehr als ein Opportunist war. Der verbale Machtkampf der beiden wird immer verbissener und übertrifft souverän die Konflikttiefe gängiger amerikanischer Court Yard-Filme. Das deutsche Publikum, das im Fernsehen gerade Gerichtsshows boomen lässt, sollte eine solche intensive Dramatik zu schätzen wissen.
Gegenwartsbezüge
Szabó selbst hat den paradigmatischen Charakter der Fallstudie eines künstlerischen Drahtseilaktes herausgestellt, indem er die Brücke zum Stalinismus schlug, unter dessen Regime er selbst in Ungarn seine ersten Filme drehte. Harwoods Fragen seien auch seine Fragen: "Wie lebt man unter dem Druck autoritärer Regime? Wie kann man da überleben?" Harvey Keitel fügte hinzu: "Diese Fragen sind universell relevant." Künstler, die heute in politischen Systemen wie China, Nordkorea, Kuba oder dem Iran leben, werden gewiss zustimmen.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.03.2002