Ungebändigte kindliche Energie

Der kleine Junge, der in Maurice Sendaks Bilderbuch Wo die wilden Kerle wohnen den ganzen Tag "nur Unfug im Kopf hatte", treibt offenbar auch in den Filmstudios der Warner Bros. sein Unwesen. Das bekannte Studiologo wurde für diesen Film ebenso mit kindlichen Kritzeleien versehen wie der gesamte Vorspann – ein poetisches Versprechen des Regisseurs Spike Jonze, sich so weit wie möglich mit dem "wilden" Helden zu identifizieren. Tatsächlich besteht die Zum Inhalt: ExpositionExposition des Films aus einem sorgsam inszenierten Tumult: Mit der Zum Inhalt: KamerabewegungenHandkamera verfolgt Jonze, wie der zehnjährige Max den Familienhund quer durch die Wohnung jagt, eine Schneeballschlacht mit den Freunden seiner älteren Schwester beginnt und in Tränen ausbricht, als sein Iglu dabei zerstört wird. Max fühlt sich von seiner Schwester im Stich gelassen und randaliert in deren Zimmer. Verunsichert wird er zusätzlich durch einen neuen Freund seiner allein erziehenden Mutter, der am Abend zu Besuch ist. Er schlüpft in sein geliebtes Wolfskostüm, stört das Rendezvous und beißt seiner Mutter während einer heftigen Auseinandersetzung sogar in den Arm. Die sprunghafte Zum Inhalt: MontageMontage dieser Sequenz, untermalt von einem dynamischen Zum Inhalt: FilmmusikSoundtrack, verstärkt den Eindruck einer ungebändigten kindlichen Energie und überschlägt sich geradezu, als Max gekränkt in die winterliche Nacht hinausstürmt.

König der wilden Kerle

Nach diesem furiosen Auftakt beginnt die fantastische Reise zu den wilden Kerlen: Max findet ein Boot, setzt die Segel und landet auf einer von sieben Bilderbuchriesen bewohnten Insel. Für den Jungen ist es das Paradies: Zumindest auf den ersten Blick darf man hier alles tun, was zu Hause verboten ist. So lässt sich der Ankömmling auch nicht davon einschüchtern, dass ihn die wilden Kerle zunächst fressen wollen. Max gibt sich erfolgreich als mächtiger Herrscher aus, verspricht den mit menschlichen Charakterzügen ausgestatteten Monstern, sämtliche Sorgen von der Insel zu vertreiben, und wird von ihnen daraufhin zum König gekrönt. Seine erste Amtshandlung ist ein wildes Spiel mit Herumtoben und Gebrüll, später wird er allerdings mit Problemen konfrontiert, die ihn überfordern: Weder kann er das zerstrittene Liebespaar Carol und Judith versöhnen noch die wilden Kerle von ihrer Traurigkeit erlösen noch Carols unbändige Aggressionen im Zaum halten. Max gesteht sich und seinen Untertanen ein, dass er kein König ist, und fährt bedrückt, aber auch erleichtert heim.

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Bilderbuchgeschichte mit wenigen Worten

Maurice Sendaks Bilderbuch von 1967 wurde bereits als Kurzfilm, Oper und Ballett adaptiert und zieht seinen bleibenden Reiz nicht zuletzt aus seiner Einfachheit. Sendak erzählt die Geschichte in weniger als 350 Worten und beschränkt sich auch in seinen Illustrationen auf das Wesentliche. Im Bilderbuch wird Max ohne Essen ins Bett geschickt. Er träumt sich in eine Fantasiereise zu den wilden Kerlen, zähmt sie, sehnt sich dann aber nach familiärer Geborgenheit. Die entwicklungspsychologische Komponente der wortarmen Bildergeschichte erschließt sich eher nebenbei: Max kann seine Wildheit und seine Allmachtsfantasien in einem Imaginationsraum ausleben und danach in den Schoß der Familie zurückkehren, wo das Essen auf ihn wartet - "und es war noch warm".

Adaption als abendfüllender Spielfilm

Um Sendaks Vorlage auf die Länge eines abendfüllenden Spielfilms zu bringen, erweitert Jonze den familiären Hintergrund und schmückt die Inselhandlung deutlich aus. Max ist ein Scheidungskind, das seinen Vater vermisst und sich von seiner Mutter alleine gelassen fühlt. Die wilden Kerle bekommen ein Eigenleben und individuelle Persönlichkeiten angedichtet und die psychologische Entwicklung des Helden wird in einer gut einstündigen Erzählung ausbuchstabiert: Max sieht sein eigenes Verhalten in Carols Zerstörungswut gespiegelt, übernimmt als überforderter König gleichzeitig die Rolle seiner Mutter und beginnt, die eigenen Gefühle und die komplexe Natur menschlicher Emotionen im Allgemeinen zu verstehen.

Familienfilm mit therapeutischem Charakter

Der therapeutische Charakter der Fabel wird in Spike Jonzes Adaption etwas über Gebühr betont, insgesamt ist es jedoch ein gelungener Film über die Natur der kindlichen Fantasie, über Wut, Ängste, Bedürfnisse, über Rebellion und deren Überwindung. Dazu trägt neben dem durch einfache Arrangements und eingängige Independent-Rocksongs geprägten Zum Inhalt: FilmmusikSoundtrack auch die Darstellung der wilden Kerle durch überlebensgroße Puppen bei. Diese sind ihren literarischen Vorbildern exakt nachempfunden und treten in naturalistischen, durch die unmittelbare Nachbarschaft von Wald- und Wüstengegenden allerdings auch wieder surreal anmutenden Landschaften auf; lediglich der lebensechten Mimik der Kreaturen wurde mit Zum Inhalt: SpezialeffektSpezialeffekten nachgeholfen. Unter dem Motto In jedem von uns steckt einer wird die fantastische Welt der wilden Kerle als Familienfilm beworben, und das vielleicht zu Recht: Angesprochen fühlen von dem ungewöhnlichen Geschehen dürften sich natürlich Kinder, denn sie kennen die ungestümen Gefühle von Max aus ihrem eigenen Erleben. Jugendliche wiederum blicken mit der nötigen Lebenserfahrung auf diese Entwicklungsphase zurück. Erwachsenen offeriert der Film ein doppeltes Vergnügen: Sie können sich in die eigene Kindheit zurückversetzen und als geplagte Eltern Trost aus dem Geschehen ziehen.

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