Kategorie: Interview
"In der Chauvet-Höhle treten wir uns selbst gegenüber."
Werner Herzog über die Bedeutung der Chauvet-Höhle und die Herausforderungen der Dreharbeiten in 3D.
Werner Herzog über die Bedeutung der Chauvet-Höhle und die Dreharbeiten in 3D für seinen Film "Die Höhle der vergessenen Träume" .
Herr Herzog, woher kommt Ihr Interesse an Höhlenmalereien?
Als Junge hat mich ein Buch in einer Buchhandlung unglaublich bewegt. Darauf war das Bild eines Pferdes aus der Höhle von Lascaux und daneben Begriffe wie "steinzeitlich" und "15.000 Jahre alt". Das hat mich zutiefst ergriffen, ich musste es haben. Nachdem ich ein halbes Jahr als Balljunge auf dem Tennisplatz gearbeitet hatte, konnte ich es mir endlich kaufen und öffnen. Das Staunen, das ich damals empfand, spüre ich noch heute.
Was empfanden Sie, als Sie die Chauvet-Höhle zum ersten Mal betreten haben?
Im Grunde wusste ich, was mich erwartet: von Fotos und Gesprächen mit Wissenschaftlern. Aber als ich den Bildern dann erstmals gegenüber stand, überkam mich unerhörtes Staunen, vor allem weil es schien, als wären die Maler erst vor einer halben Stunde aus der Höhle gegangen. Man sieht dort die früheste Manifestation dessen, was den heutigen, kulturbefähigten Menschen auszeichnet. Und das fängt nicht klein und primitiv an, sondern ist als voll entwickelte Kunst da.
Womöglich ein mystischer Ort?
Nein. Da bin ich vorsichtig, man rutscht sonst schnell in vage Pseudo-Philosophie ab. Natürlich stehen wir etwas gegenüber, was nicht voll begreifbar ist, weil uns die Erklärungsmöglichkeiten fehlen. Trotzdem ist das tief beeindruckend: Wir treten uns dort selbst gegenüber.
Man könnte vielleicht auch sagen, wir betreten ein Steinzeit-Kino?
Auch da bin ich vorsichtig, wir können es ja nicht wissen. Wir wissen aber, dass niemand in der Höhle gelebt hat; die Menschen kamen nur zum Malen dorthin und sie betrachteten die Bilder im Fackelschein, was die Figuren zu beleben, zu pulsieren schien. Das Bild eines Bisons etwa weist acht Beine auf, als ob es sich bewegen würde.
Warum haben Sie in 3D gedreht? Welche Herausforderungen brachte das mit sich?
Glücklicherweise habe ich mir vor Drehbeginn einen kurzen Besuch der Höhle erbeten. Da war sofort klar: Das muss in 3D gedreht werden, anders ist das gar nicht vorstellbar, da die Maler die hervortretenden Steinformationen mitgenutzt haben. Normalerweise braucht man für 3D ein größeres Team. Da ich nur drei weitere Personen und nur tragbares Equipment mitbringen durfte, waren die technischen Herausforderungen enorm. Man kann da ja nicht zentnerschwere Technik mit dem LKW vorfahren. Die Tür zur Höhle öffnete sich nur, um uns rein oder raus zu lassen, damit das empfindliche Höhlenklima geschont wird. Drinnen war das winzige Team auf sich alleine gestellt und musste den Dreh durchziehen.
Für so einen empfindlichen Ort eine Drehgenehmigung zu erhalten, war sicher schwierig.
Da war viel Glück im Spiel. Die Franzosen kannten meine Filme, wussten also, dass ich kompetent bin. Außerdem räumte ich dem Staat unentgeltliche Nutzungsrechte ein, sodass zum Beispiel Schulen und Museen den Film nach Belieben zeigen dürfen. Aber das Verfahren ging über viele Instanzen und war langwierig. Einfach war es beim Kultusminister Frédéric Mitterand, der mir erstmal lang erklärte, wie bedeutsam meine Filme für seine Entwicklung gewesen sind. Ich dachte, ich höre nicht recht.
An wen richtet sich der Film? Was kann man daraus lernen?
In den USA rücken ganze Familien an – ein echtes gemeinschaftliches Erlebnis. Und keiner von denen spricht davon, im Kino gewesen zu sein. "Wir waren jetzt in diesen Höhlen", erzählen sich die Leute danach ganz aufgeregt. Etwas lernen muss man nicht, man muss ja nicht immer in der Schulklasse mit zusammengekniffenem Hintern auf dem Stuhl eine Lektion verinnerlichen. Wichtiger ist mir die außerordentliche Freude darüber, dass es so etwas vor so unglaublich langer Zeit in solcher Vollkommenheit schon mal gegeben hat, dass man sich von diesem Staunen ruhig mal überwältigen lässt.