Los Angeles, 1937. Während die auf Sand gebaute Stadt unter einer Dürreperiode ächzt, nimmt der desillusionierte Privatdetektiv J.J. Gittes einen vermeintlichen Routinefall an: Er soll Hollis Mulwray, den Chefingenieur der städtischen Wasserwerke, beschatten, den seine Ehefrau der Untreue bezichtigt. Doch kurz darauf wird Mulwray ermordet. Und als Gittes auf die Witwe Evelyn trifft, steht er einer völlig Unbekannten gegenüber. Der ehemalige Cop begreift, dass er für eine tödliche Intrige eingespannt wurde. In seiner Berufsehre gekränkt, will er Licht ins Dunkel bringen. Seine Nachforschungen führen Gittes zu den Orangenplantagen in der kalifornischen Wüste, an ein ausgetrocknetes Flussbett und zum zwielichtigen Noah Cross, ein früherer Geschäftspartner von Mulwray und Evelyns Vater. Die Ermittlung deckt eine umfassende Korruptionsaffäre auf, die am Fundament der Stadt rüttelt. Gittes wird bedroht und angegriffen, bald fallen Schüsse. Doch die Kette an Enthüllungen reißt nicht ab.
Chinatown gilt als ein essenzieller Höhepunkt der
New-Hollywood-Ära. Zugleich schufen der Autor Robert Towne und der Regisseur Roman Polanski mit ihrer Hommage an die Klassiker des
Film noir, den fatalistischen Hollywood-Krimis der 1940er- und 1950er-Jahre, einen stilprägenden Neo-Noir-
Thriller. Den klarsten Referenzpunkt bildet
Die Spur des Falken (
The Maltese Falcon, USA 1941), dessen Regisseur John Huston bei Polanski in der Altersrolle des Oberschurken brilliert. Jack Nicholsons "Schnüffler" Gittes beerbt Humphrey Bogarts zynischen Detektiv Sam Spade, Faye Dunaways maskenhaft-mysteriöse Evelyn evoziert dagegen die von Rita Hayworth gespielte Titelheldin aus
Die Lady von Shanghai (
The Lady from Shanghai, Orson Welles, USA 1947). Der Bezug zu den Schwarzweiß-Klassikern ist auch ohne das genretypische Chiaroscuro (Glossar:
Licht und Lichtgestaltung) und das gängige
Voice Over allgegenwärtig.
Chinatown funktioniert wie ein Film noir – bloß in
Farbe und im
Breitbildformat, mit expliziteren
Szenen und vielen Außendrehs (Glossar:
Drehort/Set), die mit der alten Studioästhetik brechen. Eine eigene Atmosphäre erzeugt auch das gleißende Sonnenlicht, in dem Los Angeles als staubbedeckte, hoffnungslos korrupte Reißbrettstadt erscheint.
Eine Analyse im Sprachunterricht oder im Fach Medienkunde kann bei der Genrezuordnung des Films ansetzen. Die klassische Phase des US-amerikanischen Film noir wurde zunächst als Strömung, später als Subgenre (Glossar:
Genre) des Kriminalfilms verstanden, der in Hollywood unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs einen zynischeren Tonfall anschlug. Vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung und in der Schlussphase des Vietnamkriegs stellt Polanskis Modernisierung des Genres die behauptete moralische Überlegenheit der USA ganz grundlegend in Frage. Dafür verwarf er auch das im Drehbuch vorgesehene glückliche Ende. Wie akzentuiert das die pessimistische Haltung des Films zur Welt? Besprechenswert ist auch die sozialpolitische Dimension des Films. Der
Plot rekurriert auf die Kalifornischen Wasserkriege zu Beginn des 20. Jahrhunderts und lässt sich leicht auf seine Entstehungszeit sowie auf heutige Verhältnisse münzen, auf Trockenheit und Wasserpolitik. Ein außerfilmischer Bezugspunkt sind die wiederholten Vergewaltigungsvorwürfe gegen Roman Polanski, die eine Diskussion der Beziehung zwischen Autor und Werk veranlassen können.
Autor/in: Christian Horn, 18.06.2024
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