Fenster zur Welt
Der erste Fernseher der Familie stellt im Sommer 1969 das Leben des 13-jährigen Frits vollkommen auf den Kopf. Die mitreißenden Reden des schwarzen US-amerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King halten Einzug in den abgelegenen Bauernhof auf der dänischen Insel Fünen. Für Frits scheint der fernab stattfindende Freiheitskampf gegen Unterdrückung und Diskriminierung plötzlich greifbar nah zu sein. Seine ganzen Ferien verbringt der Junge vor der Flimmerkiste, fasziniert von den Nachrichten aus aller Welt, die von gesellschaftlichem Aufbruch und Veränderung künden. Dabei hatte seine Mutter das Gerät nur angeschafft, um ihn über die Krankheit des Vaters hinwegzutrösten, der nach einer plötzlich eintretenden schweren Depression in die Psychiatrie eingewiesen wurde.
Die Welt im Wandel
Niels Arden Oplev verbindet in seinem Film das Private mit dem Politischen, die Veränderungen im Leben von Frits mit den großen gesellschaftlichen Umwälzungen in den späten 1960er-Jahren. Während eine Welle des sozialpolitischen Widerstandes, des kulturpolitischen Protests und der Suche nach neuen Lebensentwürfen, weltweit vor allem die Jugendkultur beeinflusst und traditionelle Normen immer brüchiger werden, bleibt Frits’ Lebensumfeld davon zunächst unberührt. Vor allem in der Schule herrschen unter dem unnachgiebigen Regiment des konservativen Rektors noch immer die "alten Sitten". Lindum-Svendsen duldet keinen Widerspruch und bestraft Regelverstöße unverzüglich mit schwerer körperlicher Züchtigung. Ausgerechnet dieser tyrannische Schulleiter wird nach den Sommerferien Frits’ Klassenlehrer. Zum Erschrecken des Jungen legen seine Mitschüler und Mitschülerinnen sogar eine voyeuristische Schadenfreude angesichts der harschen Sanktionen an den Tag: Heimlich sehen die neugierigen Kinder den Bestrafungen zu. Eines Tages wird Frits durch einen böswilligen Streich der Klassengemeinschaft selbst zum Opfer von Lindum-Svendsens Brutalität. Der Schulleiter, dem er mit seinen etwas längeren, zerzausten Haaren und seinem Widerspruchsgeist ohnehin ein Dorn im Auge ist, prügelt maßlos auf ihn ein und reißt ihm dabei beinahe ein Ohr ab. Empört beschließen Frits’ Eltern, unterstützt von dem idealistischen Musiklehrer Freddie Svale, ein Disziplinarverfahren gegen den Rektor in die Wege zu leiten. Doch die Machtposition von Lindum-Svendsen ist zu stark, als dass sich die Forderung nach gewaltfreier Erziehung und demokratischen Strukturen durchsetzen ließe. Unmissverständlich weist er seine Gegner/innen in die Schranken.
Eine Generation widerspricht
Frits jedoch hat zu diesem Zeitpunkt schon zu viel über die weltweiten gesellschaftspolitischen Freiheitsbestrebungen erfahren. Zudem ist ihm Freddie Svale, der seinen Unterricht auf Augenhöhe mit den Schülern/innen gestaltet, der lebende Beweis dafür, dass der Wandel allmählich auch die kleine Insel Fünen erreicht: An der Wohnzimmerwand des langhaarigen Musiklehrers prangt ein Bild Che Guevaras und im Unterricht lässt er die Schüler/innen das Protestpotential von rauem Blues und harter Rockmusik praktisch nachvollziehen. Zunehmend beeinflussen die zeitgenössischen Ideale und Ikonen des Kampfs gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung auch die Weltsicht von Frits: Er möchte nicht mehr alles hinnehmen müssen, sondern sich für die Veränderung einsetzen, eine Vision haben, einen Traum - so wie sein großes Vorbild Martin Luther King. Bei seinem gewaltlosen Kampf gegen den autoritären Rektor unterstützen ihn seine Eltern und Freddie Svale zunächst. Doch bald muss der Junge erfahren, dass sich die Erwachsenen einschüchtern lassen und letztlich sogar an ihren Idealen scheitern, weil ihnen das letzte Fünkchen Mut im entscheidenden Moment fehlt. Es ist die große Stärke des Films, diese Fehlbarkeiten nicht anklagend bloßzulegen, sondern sie als menschlich und nachvollziehbar darzustellen.
Eine zeitlose Geschichte
Stilsicher und zugleich ein wenig nostalgisch lässt Oplev die späten 1960er-Jahre auf der Leinwand wieder aufleben – fast wie eine Kindheitserinnerung. Warmes orangefarbenes Licht liegt über den Feldern und vermittelt eine wohlige Atmosphäre, subtile Szenen deuten das Erwachen der ersten Liebe an. Jenseits aller historischen Authentizität erzählt der Film eine zeitlose Geschichte vom Erwachsenwerden: Eine wichtige Epoche großer Veränderungen dient als Metapher für das Heranwachsen und die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit. Während die Gesellschaft nach Alternativen und neuen Zielen sucht, steht Frits an der Schwelle vom Kind zum Jugendlichen und muss seinen eigenen Weg finden. Als sein gewaltfreier Protest und seine ausdauernde Beharrlichkeit Früchte tragen, weiß er, dass er keine erwachsenen Vorbilder mehr braucht. Er hat seinen Traum gelebt.
Autor/in: Stefan Stiletto, 25.04.2007