Hintergrund
Datenschutz und Privatsphäre
Die Bombe ging hoch: Ein Sprengstoffattentat auf die Berliner Diskothek "La Belle" im Jahre 1986 kostete drei US-Bürgern das Leben. Als Vergeltung ließ der damalige Präsident Ronald Reagan einen Luftangriff gegen die lybische Hauptstadt Tripolis fliegen – abgehörte Telefongespräche hätten die lybische Urheberschaft für den Anschlag bewiesen, lautete die Begründung. Durch den Anschlag erfuhr die bundesdeutsche Öffentlichkeit erstmals von der Telefonüberwachung durch die "National Security Agency" (NSA). Der US-amerikanische Geheimdienst hörte bis zur Wiedervereinigung etwa jedes dritte Ferngespräch in Deutschland mit. Fielen bestimmte Schlüsselwörter, wie etwa "Präsident" und "Drogen", schalteten Computer die Bandaufzeichnung ein.
Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) hat nach dem BND-Gesetz die Erlaubnis, bei bestimmten Straftatbeständen Telefone abzuhören. Prinzipiell kann dadurch jeder Bürger ins Netz der Fahnder geraten, wenn scheinbar aussagekräftige Schlüsselwörter während eines harmlosen Telefonats fallen. Die Daten müssen allerdings gelöscht werden, falls sie unwichtig für die Bekämpfung von Drogenhandel und Terrorismus erscheinen, und sie dürfen nicht an Polizei oder Verfassungsschutz weitergegeben werden. Doch das auf dem Markt verfügbare Arsenal an Abhörtechnik ist groß – und damit die potenzielle Gefahr des Eingriffs in die Privatsphäre eines Menschen. Moderne Wanzen sind mit Sender nur noch so groß wie Stecknadeln, Gespräche im Freien können mit Richtmikrofonen aus Entfernungen bis zu mehreren Kilometern abgehört werden. Selbst in geschlossenen Räumen lassen sich Gespräche ohne Wanzen abhören, wenn mittels eines Laserstrahls die Schall-Schwingungen auf dem Fensterglas abgetastet werden. Auch das Bild auf einem Computermonitor kann aus einiger Entfernung reproduziert werden: Die elektromagnetische Strahlung des Monitors wird dazu aufgefangen. Die für eine solche Anlage nötigen Bauteile kosten im gut sortierten Fachhandel unter hundert Mark ...
Den deutschen Strafverfolgern ist seit zwei Jahren der so genannte "Große Lauschangriff", von dem einige Berufsgruppen grundsätzlich ausgenommen sind, gestattet. Erst durch eine Grundgesetzänderung wurde dies möglich. Verdächtige oder Personen, die mit diesen in Verbindung stehen, dürfen seitdem auch in ihrer Privatwohnung mit Wanzen oder anderen technischen Mitteln abgehört werden. Eine wichtige Entscheidungsinstanz ist jedoch die Justiz, denn zuvor muss die Aktion von einem Richter auf der Basis schwerwiegender Gründe genehmigt werden. Durch den Lauschangriff soll vor allem der Kampf gegen das organisierte Verbrechen erleichtert werden – eine These, die von Kritikern bezweifelt wird: Verbrecher in mafia-ähnlichen Organisationen würden mit Abhöraktionen rechnen und könnten Gegenmaßnahmen ergreifen. Das Recht auf Privatsphäre werde deshalb ohne erkennbaren Nutzen ausgehöhlt.
Dieser Konflikt zeigt das grundsätzliche Problem. Eingriffe in die Grundrechte von Bürgern sind nur gerechtfertigt, wenn ein höher einzustufendes Gut oder die Grundrechte anderer dadurch geschützt werden können. Die Trennlinie ist eben schwer zu ziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem so genannten "Volkszählungsurteil" von 1983 aus dem "Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit" auch ein "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" abgeleitet. Demnach hat jeder Bürger das Recht zu wissen und zu bestimmen, wo und in welchem Umfang über ihn Daten gespeichert werden. Die Karlsruher Richter haben durch ihr Urteil klargestellt, was angesichts einer anschwellenden Datenflut im Computerzeitalter immer wichtiger wird: Datenschutz hat Verfassungsrang. Doch noch oft hinken die konkreten Gesetze hinter der technischen Realität hinterher. In jedem dritten Haushalt steht inzwischen ein Computer, etwa sieben Millionen Deutsche verfügen über einen Internet-Zugang, mit schnell steigender Tendenz. Korrespondenz und Bankgeschäfte werden darüber abgewickelt, private und sogar intime Informationen fallen im leicht auswertbaren, binären Code an. Teilweise unbemerkt vom Besitzer können über das Internet Daten aus dem heimischen Computer abfließen, wenn nicht durch Verschlüsselungs-Programme vorgesorgt wurde. Wenn jemand mit seinem Handy telefoniert, kann festgestellt werden, zu welcher Uhrzeit er an welchem Ort war. Wer mit seiner Kredit- oder Eurocheque-Karte bargeldlos bezahlt, bei dem fallen Informationen über seine Kaufgewohnheiten an ... Würden diese Informationen auch nur teilweise kombiniert, entstünde ein Profil der Persönlichkeit. Damit ginge ein wesentliches Stück der Privatsphäre und damit der Selbstbestimmung verloren.
Weiterführende Literatur:
Beat Leuthardt: "Leben online", rororo-aktuell Nr. 13765.
Udo Kauß: "Der suspendierte Datenschutz bei Polizei und Geheimdiensten", Campus-Verlag.
Erich Schmidt-Eenboom: "Der BND – Die unheimliche Macht im Staate", Econ-Verlag.
Autor/in: Olaf Kaestner, 11.12.2006