Kategorie: Filmbesprechung
"Voll verzuckert – That Sugar Film"
That Sugar Film
Um die Folgen des Zuckerkonsums auf seine Gesundheit zu prüfen, unternimmt der Filmemacher Damon Gameau einen Selbstversuch: 60 Tage lang ernährt er sich ausschließlich von als gesund deklariertem Essen. Das Resultat ist erschreckend.
Unterrichtsfächer
Thema
Der 24. September 1955 war ein bedeutsames Datum für die Ernährungsforschung. An diesem Tag erlitt US-Präsident Dwight D. Eisenhower einen Herzinfarkt, der die Öffentlichkeit auf ein gesellschaftliches Phänomen aufmerksam machte: die Zunahme von Herzerkrankungen in der amerikanischen Bevölkerung. In den folgenden 20 Jahren bildeten sich unter Ernährungsexpertinnen und –experten zwei Fraktionen heraus. 1956 schrieb der US-Amerikaner Ancel Keys gesättigten Fettsäuren in tierischen Produkten die Schuld für die wachsende Zahl an chronischen Herzerkrankungen zu. Der englische Physiologe John Yudkin identifizierte in seinem 1972 veröffentlichten Buch „Süß, aber gefährlich“ (deutsche Übersetzung 1974) hingegen raffinierten Industriezucker als größte Gefahr für die Gesundheit des Menschen. Keys gewann den Expertenstreit und beeinflusste mit seiner These die öffentliche Meinung: In den 1980er-Jahren erklärte die US-Gesundheitspolitik fettarme Ernährung für unbedenklich. Als Konsequenz begann die Nahrungsmittelindustrie, Cholesterin durch hochkonzentrierten Fruchtzucker wie Maissirup zu ersetzen.
Selbstversuch am eigenen Körper
Der Streit zwischen Keys- und Yudkin-Anhängern ist nur eine Fußnote in Damon Gameaus Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Voll verzuckert – That Sugar Film" , doch beide Wissenschaftler fungieren als Kronzeugen für den historischen Irrtum. Der australische Schauspieler und Filmemacher will in seinem Film die Folgen des Zuckerkonsums auf seine eigene Gesundheit testen und unterzieht sich dafür einem Selbstversuch: 60 Tage lang wird er sich ausschließlich von als gesund und „natürlich“ deklariertem Essen ernähren und dabei täglich 40 Teelöffel Zucker zu sich nehmen – die durchschnittliche Ration der australischen Bevölkerung. Beraten wird er von einem Team aus Ärztinnen und Ärzten sowie Ernährungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die mit zunehmender Besorgnis sein Experiment beaufsichtigen. Die Folgen der Ernährungsumstellung werden bald sichtbar: In zwölf Tagen nimmt Gameau 3,2 Kilo zu, nach drei Wochen zeigt er erste Anzeichen einer Fettleber – obwohl sich die Kalorienwerte seiner Nahrung nicht geändert haben und er weiterhin Sport treibt. Verblüfft von diesen ersten Ergebnissen stellt er Nachforschungen über die Ursachen für seinen sich rasch verschlechternden Gesundheitszustand an.
Die Folgen des Zuckerkonsums
Damon Gameau übernimmt in "Voll verzuckert – That Sugar Film" eine Doppelrolle als Erzähler und Versuchskaninchen. Mit Charme und Witz führt er das Publikum durch sein Experiment, gelegentlich unterstützt von prominenten Gästen wie Hugh Jackman und Stephen Fry, die in humorvollen Einschüben Hintergründe zum Thema Zucker erläutern. Im Mittelpunkt aber steht Gameau, der die unterschiedlichsten Orte aufsucht, um Belege für die schädlichen Folgen des Zuckerkonsums zusammenzutragen: die Aborigine-Gemeinde Amata, die 2007 alle Zuckerprodukte aus ihren Supermärkten verbannte; die Kleinstadt Barbourville im verarmten US-Bundesstaat Kentucky, in der ihm der Zahnarzt Edwin Smith das unter Kindern und Jugendlichen verbreitete Phänomen des nach dem Softdrink benannten „Mountain-Dew-Munds“ demonstriert; oder gar – mithilfe von Zum Inhalt: CGI- Zum Inhalt: Animationen – die Leber des Schauspielers Brenton Thwaites, in die er sich in Anlehnung an den Science-Fiction-Film "Die phantastische Reise" (1966) begibt, um den Zuckerstoffwechsel aus nächster Nähe zu erklären.
Clip-Ästhetik statt Talking Heads
Solche visuellen Spielereien machen den besonderen Reiz von Gameaus populärwissenschaftlichem Ansatz aus. Der Regisseur erzielt durch seine persönlichen Erfahrungen, die er mit seinem Publikum und via Skype-Kamera mit seiner schwangeren Freundin teilt, ein hohes Identifikationspotenzial gerade für junge Zuschauende, für die medizinische Fakten allein möglicherweise zu trocken wären. Das Prinzip, sachliche Interviews und kurze Sketch- und Zum Inhalt: Musicaleinlagen zu kombinieren, ermöglicht es ihm, mit seiner Darstellung eines gesellschaftlichen Problems eine möglichst große Zielgruppe zu erreichen. Selbst den Dokumentarfilm-Standard der Zum Inhalt: Talking Heads umgeht Gameau spielerisch, indem er die Köpfe seiner Expertinnen und Experten z.B. auf Lebensmittelverpackungen platziert.
Die Rolle der Nahrungsmittelindustrie
Neben wissenschaftlichen Standards folgt "Voll verzuckert – That Sugar Film" auch einem journalistischen Ansatz, denn Gameau beleuchtet genauso die Rolle der Nahrungsmittelkonzerne, die wie im Fall der Keys-Studie wissenschaftliche Forschungsergebnisse benutzen, um die Politik zu beeinflussen. So erzählt der Ernährungsforscher John Sievenpiper unverblümt vor der Kamera, dass Coca-Cola seine „zuckerfreundlichen“ Forschungen finanziell unterstützt. Der populärwissenschaftliche Ansatz ist jedoch nicht ganz unproblematisch, weil sich „Personality-Dokumentarfilmer“ wie Morgan Spurlock (Zum externen Inhalt: Super Size Me (öffnet im neuen Tab)), Michael Moore (Zum externen Inhalt: Fahrenheit 9/11 (öffnet im neuen Tab)) oder Damon Gameau gerne des rhetorischen Stilmittels der Polemik bedienen. So verwendet der Australier Gameau immer wieder Bilder von übergewichtigen US-Amerikanerinnen und -Amerikanern, um seine Argumente zu bekräftigen. Auch geht sein Film nur am Rande auf die sozialen Gründe – wie Armut oder Bildung – für die starke Verbreitung von Adipositas in westlichen Gesellschaften ein. Insgesamt überwiegen jedoch die positiven Aspekte von "Voll verzuckert – That Sugar Film" , der kritisch und leicht verständlich den aktuellen Erkenntnisstand über die Volksdroge Zucker zusammenfasst.