Kategorie: Film
"In meinem Kopf ein Universum"
Chce się żyć
Mateus leidet unter einer zerebralen Bewegungsstörung, er kann seinen Körper nicht kontrollieren. Vergeblich versucht er, mit seinen Mitmenschen Kontakt aufzunehmen. Trotz aller Widrigkeiten gibt Mateus seinen Kampf um Anerkennung nicht auf.
Unterrichtsfächer
Thema
Seiner Mutter würde Mateus gerne mitteilen, dass er kein "Gemüse" ist. So hat ihn eine Ärztin einmal genannt. Zwar ahnt die Mutter, dass in ihm ein Bewusstsein steckt, sie findet jedoch kein Mittel, mit ihm zu kommunizieren. Mateus versteht sehr wohl, was seine Schwester, die Ärztin und alle anderen, die mal liebevoll, mal ahnungslos an ihm herumzupfen, über ihn sagen. Er begreift, was um ihn herum vor sich geht. Aber er leidet an einer zerebralen Bewegungsstörung. Mateus hat seinen Körper nicht unter Kontrolle. Um sich allein fortzubewegen, muss er auf dem Rücken über den Boden rutschen. Wenn er zu sprechen versucht, gibt er unartikulierte Laute von sich. Und um zu protestieren, lässt er sich aus seinem Rollstuhl fallen oder schlägt um sich. Seine Sorgeberechtigten schieben ihm in solchen Momenten einen Stock zwischen die Zähne und wiederholen gebetsmühlenartig, er möge sich doch beruhigen.
Wie muss es sich anfühlen, derart entmündigt zu werden? Obwohl er bei klarem Verstand ist, wird Mateus in ein Heim für geistig Behinderte eingewiesen, wo er seine Tage ohne Beschäftigung oder Anregung von Außen verbringt. Andere würden in dieser Situation vermutlich wütend werden und irgendwann einfach resignieren. Er aber nimmt sein Schicksal mit trockenem Humor. Es ist das Jahr 1987. Geistig und körperlich behinderte Menschen sind im kommunistischen Polen mit einem gesellschaftlichen Stigma versehen. Sonst würden die Ärzte und seine Mitmenschen wohl verstehen, dass Mateus kein "Gemüse" ist, nur weil er nicht sprechen kann.
Doch dann geschieht eine Art Wunder in Maciej Pieprzycas Film "In meinem Kopf ein Universum" , der die Geschichte von Mateus über einen Zeitraum von knapp 25 Jahren erzählt. Der Film basiert auf dem wahren Fall des Jungen Przemek, der bis heute in dem Heim für geistig Behinderte lebt. Eher zufällig erkennt eine Sprachtherapeutin seine kognitiven Fähigkeiten, sodass er langsam lernt, sich mit Hilfe von Blinzelsignalen und einem Zeigebuch mit sogenannten Bliss-Symbolen mit seiner Umwelt zu verständigen.
Darstellungen eines behinderten Menschen durch gesunde Schauspieler sind eine ambivalente Angelegenheit, weil die Herausforderung – wie etwa im Fall von Sean Penn in Zum externen Inhalt: Ich bin Sam (öffnet im neuen Tab) (2001) oder Cuba Gooding Jr. in Zum externen Inhalt: Sie nennen ihn Radio (öffnet im neuen Tab) (2003) – stets Gefahr läuft, zum bloßen Beweis schauspielerischer Exzellenz zu verkommen. Auch Nachwuchstalent Dawid Ogrodnik steht mit der Nachschöpfung der eigenwilligen Kommunikationsmuster Przemeks vor einer heiklen Aufgabe, meistert diese aber mit Bravour. Dies liegt nicht zuletzt an der nüchternen Haltung des Films gegenüber seinem Thema: Pieprzyca inszeniert Przemeks Geschichte nicht als rührseliges Melodram. So überbrückt der Film die Kluft zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung immer wieder durch Mateus’ trockene Zum Inhalt: Voice-over-Kommentare.
Pieprzyca geht es nicht darum, Mitleid zu erregen, sondern die Zuschauenden für Mateus’ Wahrnehmung der Welt zu sensibilisieren. Solange er zu Hause wohnt, kümmern sich die Eltern liebevoll um dem Jungen – während seine Schwester ihn, möglicherweise aus Eifersucht, als "schwachsinnig" bezeichnet. Die Eltern sind einfache Arbeiter, die ihr Möglichstes tun, um Mateus zu helfen. Doch gegen die staatlichen Autoritäten haben sie keine Handhabe. Eine Behinderung führte in sozialistisch geprägten Gesellschaften automatisch zum sozialen Ausschluss: zur Abschiebung ins Heim und damit zum "Verschwinden" in einer Verwahranstalt. In diesem Kontext ist die Tatsache, dass Mateus‘ Vater ihm einen Rollstuhl baut und die Familie den Jungen, solange es geht, in ihrem Kreis behält, schon als widerständig zu begreifen.
Auch Mateus hält unerschütterlich am Glauben auf seine Chance fest. Mit seiner konsequenten Sicht aus der Innenperspektive eines Behinderten ermöglicht "In meinem Kopf ein Universum" den Zuschauenden einen temporären Perspektivwechsel. Pieprzyca setzt Mateus’ lakonische Zum Inhalt: Off-Kommentare sparsam ein, und verlässt sich ansonsten auf das Ausdrucksvermögen von Darsteller Dawid Ogrodnik, der seine Figur mit begrenzten mimischen Mitteln Kontakt zur Außenwelt suchen lässt. Der Regisseur lässt dabei in vielen Zum Inhalt: Szenen offen, was Mateus seiner Umwelt mitteilen möchte, und verdeutlicht auf diese Weise auch die Ohnmacht eines jungen Menschen im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten, der seine komplexe Gefühlswelt nicht mit seinen Freunden und Familie teilen kann.
Dass jede Form von Kommunikation auf einem gegenseitigen Verständnis beruht, ist die zentrale Erkenntnis von "In meinem Kopf ein Universum" . Die Eltern, das Nachbarsmädchen Anka, das seine Sätze spricht, die Pflegeschülerin Magda und die Sprachtherapeutin Frau Jola finden einen persönlichen Zugang zu Mateus und ermöglichen ihm so eine Teilhabe am Leben. Ihre Bemühungen und emphatischen Gesten vermitteln vor allem das Ähnliche, Gemeinsame, Verbindende – und machen so aus dem vermeintlich anderen einen Nächsten.