Nachtein, nachtaus sitzt der Mondmann in seiner silbernen Kugel und langweilt sich. Doch dann ergreift er kurz entschlossen den Schweif eines vorüberziehenden Kometen und lässt sich aus seiner gewohnten Umgebung fortreißen. Als er auf der Erde aufprallt, beginnt für den Neuankömmling ein turbulentes Abenteuer, das ihm bald über den vergleichsweise großen Kopf wächst und bei Groß und Klein für Aufregung sorgt. Denn seitdem der Mondmann nicht mehr am Firmament weilt und auf die Kinder aufpasst, finden diese nachts keine Ruhe mehr. Und während die meisten Erwachsenen den Glauben an den Mondmann verloren haben, meint der Präsident, die Ankunft des Fremden auf "seiner" Erde bedrohe seine Allmacht, und will nunmehr auch noch den Mond erobern. Bunsen van der Dunkel, "der Erfinder von Allem", soll ihm zu diesem Zweck eine Rakete bauen. Dieser fühlt sich vom Auftrag des mächtigen Mannes zunächst sehr geehrt. Doch dann lernt Bunsen den Mondmann kennen, der mittlerweile großes Heimweh hat, und er erkennt, an welcher Stelle seine Hilfe wirklich gebraucht wird. Gemeinsam überlisten die neuen Freunde den Präsidenten und stellen die Ordnung wieder her: Der Mondmann, nun sich seiner Bedeutung für den Seelenfrieden der – vor allem kleinen – Erdbewohner/innen bewusst, kehrt zum Mond zurück und die Kinder können endlich wieder schlafen.

Vom Bilderbuch zum Animationsfilm

"Der Mondmann" von Stephan Schesch ist ein Zeichentrickfilm (Glossar: Zum Inhalt: Animationstechniken) nach dem gleichnamigen Kinder-Bilderbuch von Tomi Ungerer, das 1966 noch vor der ersten Mondlandung erschienen ist. Der handgezeichnete Film entstand in enger Zusammenarbeit mit Ungerer, der – wie bereits zuvor in "Die drei Räuber " (Hayo Freitag, Deutschland 2007) – als Erzähler (Glossar: Zum Inhalt: Voiceover) fungiert, und erweitert die einfach und knapp gehaltene Geschichte der Vorlage um mancherlei Themen, kulturgeschichtliche und historische Motive sowie ein veritables Feuerwerk an Farben (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung), Formen und visuellen Einfällen.

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Unterwegs zum eigenen Ich

Die dem Film "Der Mondmann" zugrunde liegende Struktur ist die der Reise. Es geht dabei um die konkreten Bewegungen der verschiedenen Figuren von Ort zu Ort, aber auch um die inneren Wandlungen, die diese Figuren zu Erkenntnissen über sich und die Welt und ihren Platz in derselben führen. Im Mittelpunkt steht die Reise, die der Mondmann zur Erde und wieder zurück nach Hause unternimmt, im Zuge derer er nicht nur ein Bewusstsein für seine Bestimmung entwickelt, sondern auch feststellt, dass er keineswegs alleine ist. Ebenso bewegt sich der Erfinder Bunsen van der Dunkel – zunächst vom Präsidenten gedrängt, dann vom Interesse am Mondmann motiviert – aus seinem Elfenbeinturm heraus in die Gesellschaft seiner Mitmenschen hinein und findet im Mondmann schließlich sogar einen echten Freund. Dagegen begibt sich der Präsident auf einen Irrweg: Getrieben von Machthunger greift er mit der geplanten Eroberung des Mondes nach den Sternen, scheitert und wird schließlich in einer sehr realen Isolation auf sich selbst zurückgeworfen. Alle diese Reisen handeln in verschiedenen Graden und auf unterschiedlich gelingende Weise von Freundschaft, Vertrauen und Selbsterkenntnis.

Ein Road Movie

Das Kino hält für diese Reisen, die von der Literatur als Entwicklungsroman gestaltet werden, das Genre des Zum Inhalt: Road Movies bereit. Als Road Movie ist auch die Rahmenhandlung von "Der Mondmann" angelegt, in der ein Vater gemeinsam mit seiner Tochter und dem Hund Laika (so hieß auch der Hund, der 1957 im Rahmen der sowjetischen Mission Sputnik 2 als erstes Lebewesen ins All geschossen wurde) in einem prächtigen Wagen ohne Verdeck durch weite Landschaften von Autokino zu Autokino unterwegs ist. Sie reden, philosophieren, essen Eis und tragen schließlich zur Rettung des Mondmannes bei, den sie nächtens beinahe überfahren und dann zu Bunsen bringen, von wo aus er endlich die Heimreise antreten kann.

Bilder- und Tonwelten

So vielfältig wie diese unterschiedlichen Bewegungen durch den Raum sind auch die bildlichen Strategien, die "Der Mondmann" für die visuelle Umsetzung bereithält. Wundersam bunt, magisch-lyrisch, rund und sanft wird es immer dann, wenn der Mondmann auf seiner Entdeckungsreise durch die Welt zu sehen ist. Wenn er, von Elch und Kauz beobachtet, die neugierige Nase in leuchtend farbige Blumen steckt oder in einem zärtlichen Flüsschen wie durch eine Zauberlandschaft treibt, glaubt man sich fast in die Gemälde von Henri Rousseau versetzt. Wenn er mit den Kindern tanzt, tanzt er in der schwerelosen Welt der italienischen Pittura Metafisica zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und wenn er mit Bunsen an der Rakete schraubt, übernimmt Universalgenie Leonardo da Vinci die Ausstattung. Demgegenüber eckig, kantig, schroff und schwarz-rot-blau monochrom ist die Welt des Präsidenten. Die Gesichter seiner Anhänger/innen sind verzerrt wie jene auf den Bildern George Grosz'. Metallisch sind die Oberflächen, verwinkelt und wie von M.C. Escher mathematisch durchkonstruiert ist die Umgebung des Herrschenden.

Der Mondmann schwimmt zu "Moon River" (Filmclip, © Neue Visionen Filmverleih)

Nicht weniger dem kulturellen Gedächtnis verpflichtet ist die Musikauswahl, die das Geschehen nicht so sehr begleitet, als vielmehr in Stimmung versetzt, und die von Klassikern wie Der Mond ist aufgegangen und Moon River über Jun Miyakes Ambient-Jazz, sanfte Chansons und milde Pop-Songs bis hin zum psychedelischen 1960er-Jahre-Hit In-A-Gadda-Da-Vida von Iron Butterfly reicht. Zudem erinnern die ersten Schritte des Mondmannes auf der Erde an den "Moonwalk" von Michael Jackson, und er lernt "nach Hause" zu sagen, als wäre er Zum Filmarchiv: "E.T. – Der Außerirdische" ("E.T.: The Extra-Terrestrial" , Steven Spielberg, USA 1982). Diese vielfältigen Bezüge, die "Der Mondmann" zwischen den Kunstformen und quer durch die Zeiten herstellt, bezeugen die große Bedeutung, die der bleiche Himmelskörper für die Menschheit hat. Sie erinnern die Erwachsenen an seine bezaubernde Qualität – und den Kindern eröffnen sie einen Raum voll vergnüglicher Wunder.

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