Bootsflüchtlinge auf Gran Canaria
Sonne, Sand und Meer – unbeschwerte Ferien auf den Kanaren haben Nathalie und ihr Freund Paul geplant. Doch dann kommt alles ganz anders. Beim Baden am Strand sieht sich die junge Frau unversehens einem Flüchtlingsboot mit toten und halbverdursteten Afrikanern/innen gegenüber. Einem der Überlebenden, Zola, der mit seinem kleinen Sohn Mamadou über das Meer geflohen ist, verspricht sie, Wasser zu holen und rennt los. Als Nathalie zurückkehrt, ist die Polizei schon da. José, ein zynischer junger Beamter, fordert sie auf zu gehen: Man kümmere sich schon um alles Notwendige. Und während Zola und Mamadou ins Flüchtlingslager transportiert werden, wo beide ihrer Abschiebung harren, kehrt die Urlauberin in die komfortable Hotelanlage zurück.
Konfrontation mit verdrängter Realität
Der Schrecken des Flüchtlingselends bricht ein in die Wohlstandswelt einer deutschen Touristin – ein Realitätsschock, der die Frau verstört und sie die Brutalität des westlichen Lebensstils ebenso empfinden lässt wie die Gleichgültigkeit Europas gegenüber der Not der Afrikaner/innen. Eine Not, die eben noch – jenseits des Ozeans – so fern schien. Wie wird Nathalie mit dem Erlebten umgehen? Wird sie "erfolgreich" verdrängen? Oder reicht ihre Solidarität mit den Flüchtlingen über den spontanen Impuls hinaus?
Schicksale verbinden sich
Die Farbe des Ozeans behandelt mehr als nur eine Geschichte. Der Film erzählt von José, dem Grenzpolizisten, den das Leid seiner heroinsüchtigen Schwester gefühlskalt gemacht hat und der, ohne Zögern, die Hoffnungen der "Illegalen" auf ein Leben in Europa zerstört. Das Elend im eigenen Land interessiere auch keinen, sagt er. Dann die Geschichte von Zola, der seinem Sohn eine Zukunft ermöglichen will, mit ihm aus dem Lager flieht und in einem Spaßbad vor der Polizei Unterschlupf findet. Und natürlich die von Nathalie und ihrem Freund, der sich vom Flüchtlingselend vor Ort nicht beirren lässt in seinen Urlaubsplänen. Schließlich hat er seinen Beitrag zu einer besseren Welt schon daheim durch Spenden an Hilfsorganisationen abgegolten. Nathalie fordert er auf, sich aus den Angelegenheiten anderer herauszuhalten. Doch genau das tut sie nicht. Als Zola unerwartet um Hilfe und um 500 Euro für die Weiterfahrt nach Frankreich bittet, kann sie nicht "nein" sagen.
Darstellung einer zusammengehörigen Welt
Nicht nur in seiner episodenhaften Struktur erinnert
Die Farbe des Ozeans an Alejandro González Iñárritus Globalisierungsdrama
Babel (USA 2006). Auch die Bildsprache, die geprägt ist durch harte
Schnitte, den ständigen Wechsel zwischen Nähe und Distanz und die kontraststarken Aufnahmen der agilen Cinemascope-Kamera, ähnelt der des preisgekrönten Vorbilds. Maggie Peren vermittelt so filmisch, dass die Menschheit eben nicht eine "Erste", "Zweite" oder "Dritte Welt" bewohnt, sondern eine einzige. Mag sein, dass die Vertiefung der Problematik wie in so vielen Episodenfilmen ein wenig zu kurz kommt, die Figuren mitunter zu deutlich für eine vom Drehbuch festgelegte Position stehen und der Film insgesamt etwas didaktisch erscheint – das Ziel, zum Nachdenken anzuregen, erreicht
Die Farbe des Ozeans gleichwohl.
Die Perspektive Westeuropas
Der multiperspektivische Ansatz wird dabei nicht mit letzter Konsequenz verfolgt. Vielmehr konzentriert sich der Film auf die Situation der Touristin. Eine Entscheidung, die die Zuschauer/innen hier dazu animiert, sich mit einer Frage auseinander zu setzen, die uns alle angeht: Wie verhalte ich mich, wenn ich unmittelbar mit der Not fremder Menschen konfrontiert werde? Dass dies nicht einfach zu beantworten ist, zeigt sich an Nathalies innerer Zerrissenheit, die die Hauptdarstellerin Sabine Timoteo auf subtile Weise spürbar macht. So ist
Die Farbe des Ozeans, bei aller erkennbaren Sympathie für die Heldin, denn auch keineswegs ein naiver Aufruf zu tatkräftiger Solidarität. Denn tatsächlich verschlimmert Nathalies Eingreifen die Situation von Zola und Mamadou.
Elend und Luxus im Kontrast
Der Film findet zudem eindringliche Bilder, um die Ignoranz und Grausamkeit der westlichen Konsumgesellschaft zu veranschaulichen, etwa mit den
Totalen des Spaßbads und der Hotelanlage, die in den Sanddünen so irreal wirken wie eine Fata Morgana und in ihrem Luxus das Elend der Flüchtlinge im Sammellager kontrastieren. Gezeigt werden Polizisten, die Mülleimer leeren, damit die flüchtigen Afrikaner ihren Durst nicht mit den Resten weggeworfener Wasserflaschen stillen können, und Touristen/innen, die sich in Bars amüsieren, während ganz in der Nähe Menschen eingesperrt werden. Wiederholt begrenzen Zäune und Gitter den Blick in die Ferne: das Tourismusparadies als Gefängnis. Fesselnd auch, wie Gran Canaria als ein geschundener, lebensfeindlicher Ort inszeniert wird: eine verdörrte Landschaft unter gnadenlos herab brennender Sonne, in der abgewrackte Plantagen von der zerstörerischen Wirkung unserer Wegwerfkultur zeugen. Die visuelle Qualität des Films verdichtet sich in einem Motiv: Der Blick aufs Meer verheißt hier keine Freiheit mehr. Er weckt zwiespältige Gefühle.
Autor/in: Jörn Hetebrügge, Autor und Journalist mit Themenschwerpunkt Film, 07.05.2012
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