Atomkraftwerke sind in Spielfilmen nicht gerne gesehen, Unfälle in Atomkraftwerken erst recht nicht. Wer in die Datenbank Internet Movie Database den Suchbegriff "nuclear accident" eingibt, erhält 31 Treffer. Spezifiziert man die Suche mittels der Begriffe "movie" und "drama" bleiben neun Titel übrig, von denen sich wiederum drei dezidiert mit einem Unfall in einem Kernkraftwerk beschäftigen. Freilich kann eine solche Abfrage lediglich eine Tendenz abbilden, zu denken gibt einem das magere Ergebnis trotzdem.

Der GAU – ein schwieriges Filmthema

An einem Samstag, Russland, Ukraine, Deutschland 2011

NFP

Filme über Atombombenexplosionen und deren Folgen gibt es nämlich ungleich mehr. Was damit zu tun haben mag, dass Einigkeit über die Schrecklichkeit dieser Waffe herrscht und niemand ihren Einsatz gut heißt. Mit der Bombe hat sich das Atom sozusagen in ein Gutes und ein Böses gespalten. Und Atomkraftwerke stehen auf der Seite der "Guten", weil sie nicht der Zerstörung, sondern dem Wohlergehen des Menschen dienen; so zumindest will es die PR-Strategie von der "friedlichen Nutzung der Kernenergie". Sich mit deren Störungsanfälligkeit und ihren potenziell tödlichen Gefahren zu beschäftigen, birgt gewisse Verunsicherungen. Niemand will wissen, wie groß genau das Pulverfass ist, auf dem er oder sie sitzt. Wer einen Film über ein solches Ereignis dreht, muss mit reflexartiger Abwehr und mit Verdrängungsimpulsen rechnen.

Störfälle

In den wenigen Filmen, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen und es nicht als Hintergrund für eine reine Genre-Erzählung nutzen, bildet sich dies in dem Widerstand ab, mit dem es die um Aufklärung und Information der Öffentlichkeit bemühten Figuren zu tun bekommen. "Das China-Syndrom" (The China Syndrome, James Bridges, USA 1979) etwa handelt von einem Störfall in einem Atomreaktor, der von einem zufällig anwesenden Fernsehteam aufgenommen wird. In der Folge haben sowohl die Journalisten/innen als auch einer der Kraftwerksmitarbeiter/innen mit Vorgesetzten zu kämpfen, die den Vorfall unter den Teppich kehren wollen und dabei auch vor Gewaltanwendung nicht zurück schrecken. Ebenso ergeht es der Gewerkschaftlerin Karen Silkwood, die im gleichnamigen Film (Silkwood, Mike Nichols, USA 1983) massiv unter Druck gesetzt wird, als sie damit beginnt, die Arbeitsbedingungen und Sicherheitsmängel im Kraftwerk zu kritisieren. Beide Filme zeigen das Handeln der je Verantwortlichen als fahrlässig und von Profitgier motiviert, während der Umgang der Arbeiter/innen mit dem radioaktiven Material wiederum von geradezu naiver Sorglosigkeit zeugt.

Investigative Thriller

Die genannten Filmen wollen offensichtlich ein Bewusstsein für die Probleme im Umgang mit Kernkraftwerkstechnologie schaffen. Wie die Figuren, so müssen auch die Zuschauer/innen erst lernen, dem "guten Atom" nicht bedingungslos zu vertrauen. Die Filme übernehmen in diesem Kontext aufklärerische Funktion. Zu Hilfe kommt ihnen dabei ihre Wirklichkeitsnähe: "Silkwood" beruht auf einer wahren Geschichte und "Das China-Syndrom" wurde zwei Wochen, nachdem er in die US-Kinos kam, von der Realität eingeholt, als es im Atomkraftwerk Three Mile Island in der Nähe von Harrisburg zu einer partiellen Kernschmelze kam – was dem Film wiederum ein enormes Medienecho bescherte.

Im Ernstfall

Die Wolke, Deutschland 2006

Concorde

Die Wolke (Georg Schnitzler, Deutschland 2006), der auf dem gleichnamigen Jugendroman von Gudrun Pausewang beruht, entstand knapp drei Jahrzehnte später und beschäftigt sich mit den Auswirkungen eines GAUs in einem deutschen Atomkraftwerk. Auf der Flucht vor der radioaktiven Wolke werden die jugendliche Protagonistin und ihr kleiner Bruder Zeugen des Zerfalls sozialer Strukturen und ziviler Ordnung. Panik und Rücksichtslosigkeit bestimmen das Verhalten der flüchtenden Massen, jeder ist sich selbst der nächste, Mitgefühl und Solidarität bleiben auf der Strecke. Einen anderen Zugang wählt "An einem Samstag" (V Subbotu, Aleksandr Mindadze, Russland, Ukraine, Deutschland 2011), der am Tag eins nach der Katastrophe von Tschernobyl seiner Hauptfigur durch die noch ahnungslose Stadt Pripyat folgt. Mindadze bezeichnet sein Werk als eine "filmische Metapher". Figuren, die nicht von der Stelle kommen, und eine Zum Inhalt: KamerabewegungenHandkamera, die weder Räume noch Perspektiven eröffnet, tanzen den sprichwörtlichen "Tanz auf dem Vulkan": Verzweifelte erkämpfen sich letzte, vom drohenden Tod überschattete Momente des Glücks.

Überleben nach der Bombe

Der Verlust von Humanität und das Ringen um Mitmenschlichkeit im Angesicht der Apokalypse ist Motiv vieler Filme, die sich mit den Folgen von Atomkriegen beschäftigen. Beispielhaft genannt seien "The Day After" (Nicholas Meyer, USA 1983), der die Chronik des Dritten Weltkrieges multi-perspektivisch in Ballungsgebieten nachvollzieht, sowie "Panik im Jahre Null" (Panic in Year Zero!, Ray Milland, USA 1962), ein kluges, bitteres B-Picture, das den Überlebenskampf einer einzelnen Familie in einem abgelegenen Landstrich nachvollzieht. Erkennbar wird hier auch eine Veränderung gegenüber der euphorischen Technikbegeisterung, die in US-amerikanischen Bildungs-, Werbe- und Propagandafilmen der 1940er- und 1950er-Jahre zum Ausdruck kam, und die in "The Atomic Cafe" (Jayne Loader, Kevin Rafferty, Pierce Rafferty, USA 1982) ausschnittsweise zu einer entlarvenden Collage montiert sind. Darunter findet sich auch der legendäre Zivilverteidigungsfilm für Kinder "Duck and Cover" (Anthony Rizzo, USA 1951), dessen naive Ratschläge zum Verhalten bei A-Bomben-Explosionen – nämlich: Ducken und Bedecken – wiederum den britischen Autor und Zeichner Raymond Briggs zu seiner Graphic Novel Strahlende Zeiten (1983) inspiriert haben mögen. 1986 machte Jimmy Murakami aus der Geschichte eines älteren Ehepaares, das sich gutgläubig an die offiziellen Anweisungen zum Überleben im Ernstfall hält, den ergreifenden Zum Inhalt: ZeichentrickanimationZeichentrickfilm "Wenn der Wind weht" (When the Wind Blows; Großbritannien).

Godzilla & Co

Ein Kapitel für sich bilden die zahlreichen Monsterfilme der 1950er-Jahre, deren meist durch Atombombentests entstandene Kreaturen – wie zum Beispiel die Riesenameisen in "Formicula" (Them!, Gordon Douglas, USA 1954) – im Kontext von Kaltem Krieg, Angst vor kommunistischer Unterwanderung und Furcht vor den unwägbaren Risiken der Kernenergie gesehen werden wollen. Einen Sonderfall innerhalb dieses Genres stellen wiederum die Godzilla-Filme dar, mit denen Japan, beginnend mit "Godzilla" (Gojira, Ishiro Honda, Japan 1954) eine Art Aufarbeitung des eigenen Atombomben-Traumas unternimmt. Godzilla, der urzeitliche Riese, der von radioaktiver Strahlung aus einem jahrtausendelangen Schlaf erweckt wird und ein Verwüstungswerk ungeahnten Ausmaßes beginnt, verleiht den in der Kernspaltung entfesselten Kräften sinnbildlich Gestalt. Godzilla ist der Körper der atomaren Strahlung, die man nicht sehen, nicht hören, nicht schmecken und nicht riechen kann. Und die man erst fühlt, wenn es bereits zu spät ist. Atomare Strahlung ist unfilmisch. Und darstellbar nur vermittelt über Ereignisse, die schrecklich sind, in Handlungen, die grausam sind, und an Oberflächen, die zerstört sind. Ein weiterer Grund dafür, dass sich nur so wenige Spielfilme ihrer annehmen. Atomare Strahlung lässt kein Happy End zu.

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