Hintergrund
Schuld und Gerechtigkeit
Über den Umgang von Filmen mit NS-Tätern vor Gericht
1959 wurde mancher deutsche Kinosaal zum Tribunal. Damals lief Wolfgang Staudtes Film Rosen für den Staatsanwalt an, eine Satire mit bitteren Untertönen. Ein kleiner Handlungsreisender trifft den Militärrichter wieder, der ihn kurz vor Kriegsende zum Tode verurteilt hatte, weil er ein Stückchen Schokolade stahl. Der furchtbare Jurist ist zum angesehenen Staatsanwalt aufgestiegen. Nur unbewusstes Fehlverhalten bei einem Plädoyer entlarvt sein einstiges Mitläufertum.
Mörder unter uns
Der Film hat kontroverse Debatten hervorgerufen, denn zu diesem Zeitpunkt mochten viele Deutsche nicht an die jüngere Vergangenheit erinnert werden. Man verdrängte die Verbrechen, die im Nationalsozialismus begangen worden waren, denn wer wollte schon wissen, ob ein NS-Täter in der Nachbarschaft lebte. Regisseur Wolfgang Staudte hatte auf diesen Umstand schon im ersten Spielfilm aufmerksam gemacht, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland entstand: in der Defa-Produktion
Die Mörder sind unter uns (1946). Ein Verantwortlicher für Massenerschießungen an der Ostfront lebt als Fabrikant unbehelligt in der Nachkriegsgesellschaft. Weil gerichtliche Verfolgung nicht einsetzt, spielt die Hauptfigur des Films mit dem Gedanken an Selbstjustiz. In
Die Mörder sind unter uns setzte sich Staudte nicht nur mit der deutschen, sondern auch mit seiner eigenen Vergangenheit auseinander – er hatte als Darsteller in dem NS-Propagandafilm
Jud Süß (Veit Harlan, D 1940) mitgewirkt.
Der Hauptkriegsverbrecherprozess
Was den Nationalsozialismus betraf, so herrschte Ende der 1950er-Jahre mit wenigen Ausnahmen in deutschen Kinos ähnliche Ruhe wie in deutschen Gerichtssälen. Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen hatten bis 1949 vor allem die Tribunale der Alliierten in Nürnberg geleistet. Dabei kommt den Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus (1945-1946) besondere Bedeutung zu – auch was die filmhistorische Tragweite betrifft. Die Verhandlungen gegen führende NS-Politiker wie Hermann Göring, Rudolf Heß oder Albert Speer wurden filmisch ausführlich dokumentiert. Dieses Dokumentationsmaterial wiederum bildet die Grundlage vieler Filme über die Nürnberger Prozesse.
Dokumente aus Nürnberg
Noch 1946 wurde das Material für zwei unterschiedliche Kompilationsfilme bearbeitet. Roman Karmen und Jelisaweta Swilowa produzierten für die UdSSR Das Gericht der Völker (Sud Narodow). Im Auftrag des Büros der Militärregierung der USA in Deutschland entstand 1947 Nürnberg und seine Lehre (Nuremberg, Stuart Schulberg). Der nur kurze Zeit im Rahmen der "Umerziehung" (Reeducation) in Deutschland gezeigte Film montierte Prozess-Ausschnitte mit Szenen aus Wochenschauen, Film- und Fotomaterialien des NS-Staates sowie Bildern aus Konzentrationslagern nach der Befreiung. Ziel war es, die Deutschen über den Massenmord an den Juden und andere Verbrechen des NS-Staats aufzuklären. Über zehn Jahre später, 1958, stellte Felix von Podmanitzky unter dem Titel Wieder aufgerollt: Der Nürnberger Prozess ein Filmdokument zusammen, für das erstmals die Bundesrepublik Deutschland als Produktionsland zeichnete. Heimlicher "Held" dieses Films ist der Angeklagte Albert Speer, angeblich widerständig und reuig. Diese Maske wird ihm erst im Epilog von Heinrich Breloers Fernsehfilm Speer und Er (D 2005) genommen, in dem der Prozess ebenfalls großen Raum einnimmt.
Gespielte Spektakel
Heinrich Breloer hat in einem sogenannten Dokumentarspiel die Filmdokumente mit Spielszenen kombiniert und die Auftritte der NS-Täter mit Schauspielern neu inszeniert. Noch freier ist das zweiteilige TV-Drama Nürnberg – Im Namen der Menschlichkeit (Nuremberg, USA, Kanada) aus dem Jahr 2000 mit dem Stoff umgegangen. Regisseur Yves Simoneau arrangierte ein buntes, melodramatisches Spektakel über den Hauptkriegsverbrecherprozess. Albert Speer, gespielt vom deutschen Akteur Herbert Knaup, erscheint auch hier in unangemessen positivem Licht.
Fragen der Schuld
Der berühmteste Film über die Nürnberger Prozesse ist allerdings eine reine Fiktion: Stanley Kramers Das Urteil von Nürnberg (Judgment at Nuremberg, USA 1961). In diesem wuchtigen und moralischen Gerichtsdrama entwirft Kramer ein Zeitbild von Fanatismus, vermeintlicher Ehre und letztendlicher Schuldakzeptanz. Der französische Film-Essayist Marcel Ophüls stellt in Nicht schuldig? (The Memory of Justice, GB, BRD, F, USA 1975) die Frage, wie das Recht, das in Nürnberg als Präzedenzfall geschaffen wurde, den Staaten der Anklage selbst zur Last fallen könnte. Der Dokumentarfilm ist eine Bestandsaufnahme des Umgangs der Deutschen und der alliierten Staaten mit ihrer Vergangenheit - zwanzig Jahre nach dem Ende des Krieges. Ohne die deutschen Verbrechen zu relativieren, betrachtet Ophüls die Nürnberger Prozesse auch aus der Perspektive der nachfolgenden Kriege in Algerien und Vietnam und fragt nach politischer und historischer Verantwortung.
Der Fall Klaus Barbie
Ophüls war es auch, der das filmische Porträt des NS-Täters Klaus Barbie in all seinen Facetten gezeichnet hat. Erst 1987 wurde der Prozess gegen den Kommandanten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Lyon in Frankreich eröffnet. Nach dem Ende des Nationalsozialismus hatte Barbie Karriere als Agent des US-amerikanischen Counter Intelligence Corps (CIC) und politischer Berater in Bolivien gemacht. In Hotel Terminus – Leben und Zeit von Klaus Barbie (F, BRD, USA 1988) hat Ophüls Zeugenaussagen gesammelt, hat sie gegeneinander gestellt und einen mörderischen Charakter entfaltet, ohne selbst als Regisseur zum Richter zu werden. Das Urteil muss das Publikum fällen.
Der Fall Adolf Eichmann
Ein anderer Täter, der seine Opfer um viele Jahre überlebte, war Adolf Eichmann, der als Leiter des für die Organisation der Deportation der Juden zuständigen Referats des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) zentral mitverantwortlich für die Ermordung von etwa sechs Millionen Menschen war. Seit seiner Entführung aus dem Fluchtland Argentinien durch den israelischen Geheimdienst im Jahr 1960 ist der Fall Eichmann zu einem Kristallisationskern zahlreicher filmischer Bearbeitungen geworden. Die früheste dokumentiert unter dem Titel Eichmann-Prozess (Eichmann Trial, Leo Hurwitz, USA 1961) den Prozess in Jerusalem, der mit dem vollstreckten Todesurteil endete. 1994 gab ein Mossad-Agent für die TV-Dokumentation Die Jagd auf Adolf Eichmann (The Hunt for Adolf Eichmann, Dan Setton, USA, Israel) seine Version der Entführung zu Protokoll. 1996 inszenierte William A. Graham für das US-amerikanische Fernsehen die Filmfiktion Der Mann, der Eichmann jagte (The Man who Captured Eichmann). Zwei Jahre später erregte die polemische Dokumentation Ein Spezialist (Un spécialiste, F) des israelischen Filmemachers Eyal Sivan Aufsehen und Widerspruch. Der Fall Adolf Eichmann bleibt offenbar virulent und damit Stoff für die Medien.
Der Auschwitzprozess
In der Bundesrepublik Deutschland begann der erste große Prozess gegen NS-Verbrecher im Jahr 1963. In Frankfurt wurde gegen Personal des Vernichtungslagers Auschwitz verhandelt. Damit war die juristische Friedhofsruhe im Land endlich gestört. Die Medien berichteten nun. Zu einer künstlerischen Verdichtung des Prozess-Geschehens kam es allerdings erst, als der Theaterautor Peter Weiss die Zeugenaussagen 1965 zu dem Doku-Drama Die Ermittlung komponierte. Ein Jahr später adaptierte der Regisseur Peter Schulze-Rohr das Stück für das Fernsehen – eine ebenso nüchterne wie erschütternde Bestandsaufnahme des Massenmords in einem Vernichtungslager der Nationalsozialisten. Ein fiktionaler Versuch zu dem Thema blieb dem jugoslawischen Regisseur Zika Mitrovic mit Die Zeugin aus der Hölle (Gorke trave, BRD, Jugoslawien 1967) im Pathos stecken. Dagegen beeindruckte der deutsche Fernseh-Dokumentarist Eberhard Fechner 1984 mit seinem analytischen Dreiteiler Der Prozess über das Verfahren gegen SS-Angehörige im Konzentrationslager Majdanek.
Balance zwischen Dokument und Fiktion
Spielfilme über reale NS-Taten sind offenbar heikle Unterfangen. Sie tendieren zu Gut-Böse-Schemata und zu Anklagepathos, die der Sache oft abträglich sind.
Aus einem deutschen Leben, Theodor Kotullas Film über den Auschwitz-Kommandanten Adolf Höss (BRD 1977), ist deswegen gelungen, weil er die Balance zwischen Dokument und Fiktion spröde zu halten vermag. Auch Stephen Daldrys Verfilmung von Bernhard Schlinks Roman
Der Vorleser (Deutschland, USA 2008) ist ein Resultat gelungener Balance. Buch und Film erinnern an die Zeiten des Schweigens, als man Aufklärung und Anklage lieber unterdrückte, als in der Nachbarschaft die Täter zu entdecken.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, Publizist, Medienpädagoge und Dozent an der Universität Erlangen, 28.01.2009
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