Kategorie: Filmbesprechung
"Heil"
Unterbelichtete Neonazis, überforderte Verfassungsschützer, sensationslüsterne Medien und mittendrin ein afrodeutscher Autor, der nach einem Schlag auf den Kopf rechte Parolen von sich gibt. "Heil" ist eine schrille Satire auf die deutsche Mediengesellschaft im Jahr 2015.
Unterrichtsfächer
Thema
"Das sind doch keine Nazis", beschwichtigt der Bürgermeister des fiktiven brandenburgischen Dörfchens Prittwitz den engagierten Polizisten Sascha Heinze (Oliver Bröcker). "Das sind doch nur ein paar Jugendliche mit überschüssigen Energien." Der Dorfpolizist hat noch eine ganz andere Theorie, die er einem Fernsehreporter (Richard Kropf) vor laufender Kamera erklärt: „Die sind alle sexuell frustriert.“ Schon die ersten Minuten von "Heil" bestimmen also das überschaubare Niveau, auf dem die Protagonisten des Films über das Thema Rechtsextremismus reden. Dass es die bizarre Erklärung des Polizisten tatsächlich bis ins Fernsehen schafft (wo sie sein erboster Vorgesetzter sieht), ist bezeichnend für das Erregungspotenzial der Medienlandschaft, die Regisseur und Drehbuchautor Brüggemann ebenfalls ins Visier nimmt.
Für den gedankenlosen Umgang mit gesellschaftlichen Ressentiments und politischen Allgemeinplätzen im Mediendiskurs findet der Film gleich im Prolog ein exemplarisches Bild. In der Eröffnungsszene (Glossar: Zum Inhalt: Szene) korrigiert der West-Reporter eine im Kamera- Zum Inhalt: Off angedeutete, orthografisch desaströse Neonazi-Schmiererei, im Hintergrund bemerkt der Neonazi den Reporter und aus sicherer Entfernung beobachtet der perplexe Dorfpolizist beide, während sich vom Bildrand (Glossar: Zum Inhalt: Kadrage/Cadrage) her eine alte Dame mit ihrem Rollator langsam auf die Kamera zubewegt. In dieser durch die Tiefenstaffelung der Figuren geometrisch komponierten Totalen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) finden weithin verbreitete Vorurteile über den Komplex "Ostdeutschland und Rechtsextremismus" zu einem absurden Tableau vivant zusammen: die Medien, die nach Spuren rechtsextremer Aktivitäten suchen, aber blind sind für die offensichtlichen Indizien (und notfalls auch nachhelfen), Neonazis, die unbehelligt agieren können, eine machtlose Polizei und die überalterte Bevölkerung.
Nicht immer sind die kritischen Spitzen Brüggemanns so pointiert wie in der Eröffnungsszene von "Heil" . In seiner Satire auf den öffentlichen Diskurs um das Thema Rechtsextremismus im Jahr 2015 überwiegt der Klamauk, der schon im Figurenarsenal des Films angelegt ist. Der karrierebewusste Neonazi Sven Stanislawski (Benno Fürmann) will von Prittwitz aus die ostdeutschen Neonazi-Gruppen unter seiner Führung zu einer schlagkräftigen rechtsextremen Bewegung vereinen und durch einen Einmarsch in Polen zudem das Herz von Kameradschaftsführerin Doreen (Anna Brüggemann) erobern. Stanislawskis Widersacher Heiko Georgi (Jörg Bundschuh) versucht in Hamburg unter dem Motto "Hansestadt Hitler" eine moderne rechtsextreme Gruppe mit veganer Weltanschauung und "Gesichtsbuch"-Auftritt aufzubauen. Der Verfassungsschutz meint, die Lage im Griff zu haben (auch wenn die Internetverbindung im Büro etwas langsam ist): Die Behörden Sachsen, Brandenburg und Thüringen haben ihre V-Leute in die rechte Szene eingeschleust – dummerweise weiß die eine Hand nicht, was die andere tut. Dynamik kommt in die Geschichte, als der populäre afrodeutsche "Integrationsautor" Sebastian Klein (Jerry Hoffmann) auf einer Lesereise in Prittwitz bei einem Angriff von Neonazis sein Gedächtnis verliert und kurz darauf als vermeintlich seriöser Integrationskritiker durch die Talkshows tingelt.
"Heil" hat keine Zum Inhalt: Dramaturgie im herkömmlichen Sinne, Brüggemanns Zum Inhalt: Drehbuch erinnert vielmehr an eine Nummernrevue. Die handelnden Figuren sind keine entwickelten Charaktere, sondern beruhen auf Stereotypen, deren Sätze – ähnlich wie der rasant geschnittene Vorspann – aus einer Vielzahl an Zitaten (historischen Quellen, gesellschaftlichen Ressentiments, Nachrichtenmeldungen, politischen Phrasen, Popkultur- und Kunst-Referenzen) bestehen, welche in einen hintersinnigen und stellenweise irrwitzigen Dialog treten. Wenn der Chefredakteur eines Nachrichtensenders sich die Filmaufnahmen von Nazi-Ausschreitungen ansieht, antwortet er mit einem Zitat des Künstlers Martin Kippenberger: "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken." Ein tumber Neonazi brüllt bei der bloßen Erwähnung des Begriffs "Holocaust" reflexartig: "Das ist eine infame Lüge." Die ideologische Verblendung, die Brüggemann beschreibt, zeigt "Heil" in allen Bereichen des politischen Spektrums auf: rechts, links und in der bürgerlichen Mitte, die ihre eigenen Vorurteile hinter dem Anschein wohlfeiler Toleranz pflegt. "Die Leute lieben es, wenn ein Neger mit putzigem Dialekt redet", sagt im Film eine afrodeutsche "Tatort" -Darstellerin – und meint damit das öffentlich-rechtliche Fernsehpublikum.
Dass Brüggemann sich in seinem Gesellschaftsporträt nicht konsequenter auf die Stilmittel der politischen Satire konzentriert, sondern – gerade in den Beschreibungen der rechtsextremen Szene – vor allem auf Situationskomik und Slapstick setzt, ist durchaus begründet. Brüggemann geht es nicht um eine politische Analyse, sondern um die Kenntlichmachung eines Zustands durch plakative Überzeichnungen. "Heil" entlarvt die Inszenierung einer gesellschaftlichen Realität: auf formaler Ebene etwa durch collagenartige Nachrichten-Montagen oder die Parodie des Talkshow-Formats, auf dramaturgischer Ebene in Form der Farce. Der politische Gehalt der Dialoge steht in keinem Verhältnis zum intellektuellen Vermögen der Redner, dennoch schreiten diese mit ungebrochenem Selbstbewusstsein zur Tat. So treten die Akteure unfreiwillig hinter ihren Rollen hervor, wie etwa die Verfassungsschützer, die ihre V-Leute in den Fernsehnachrichten bei Ausschreitungen zwischen Rechts- und Linksextremen in beiden politischen Lagern wiedererkennen, ohne zu realisieren, dass sie damit ihrer eigenen Inszenierung aufgesessen sind.
Der drastische Nazi-Klamauk von "Heil" hat in der Filmgeschichte Vorbilder. Mel Brooks' "Frühling für Hitler" (1967), Christoph Schlingensiefs "100 Jahre Adolf Hitler" (1989) und natürlich Dani Levys (2007) haben auf unterschiedliche Weise versucht, den Nationalsozialismus der Lächerlichkeit preiszugeben. Diese Filme thematisieren jedoch ein historisches Sujet. "Heil" klopft hingegen einen aktuellen Diskurs auf seine Widersprüche ab, was bei Schülerinnen und Schülern zunächst ein gutes Grundwissen über die gegenwärtigen innenpolitischen Diskussionen voraussetzt. Da Brüggemann aber nicht mit vorgefassten Argumenten arbeitet, stellt "Heil" trotz seines teils grobschlächtigen Humors eine gute Diskussionsgrundlage dar, um im Unterricht die Verbreitung von rechtsextremen Gedankengut im gesellschaftlichen Mainstream, die Mechanismen medialer Diskurse und die Anforderungen an eine moderne Zivilgesellschaft zu behandeln.